Bau Lausitz, Abriss Potsdam?: Streit um Gesundheit und Medizin in Brandenburg – Wissen

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Bau Lausitz, Abriss Potsdam?: Streit um Gesundheit und Medizin in Brandenburg – Wissen

Es ist eines der großen Prestigeprojekte für die Lausitz, mit dem große Hoffnungen für die Region verbunden sind. In Cottbus soll eine eigenständige ärztliche Ausbildung aufgebaut werden. Aus dem Topf gibt es zwei Milliarden Euro für die Strukturstärkung in Kohleregionen. An der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) ist gemeinsam mit dem Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum eine entsprechende Fakultät mit rund 80 Professuren, das Innovationszentrum für Universitätsmedizin Cottbus (IUC), geplant. Es wäre seit langem die erste neue medizinische Fakultät in Deutschland.

So hochtrabend die Pläne auch sind, sie kollidieren mit einem längst im Bau befindlichen Projekt. Seit 2018 gibt es in Brandenburg eine Fakultät für Gesundheitswissenschaften (FGW). In der Landesregierung scheint diese Einrichtung, deren Bau noch nicht abgeschlossen ist, keine besondere Bedeutung mehr zu haben. Nach einem Landtagsbeschluss Ende 2021 wurden die jährlichen Landesmittel von 2,5 Millionen Euro für die Gesundheitswissenschaften halbiert.

Die Kürzungen träfen ins Schwarze, sagt der Potsdamer Universitätspräsident

Die Interuniversitäre Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Potsdam, die BTU und die Private Brandenburgische Medizinische Hochschule in Neuruppin (MHB) haben ins Schwarze getroffen, sagt der Potsdamer Universitätspräsident Oliver Günther im Tagesspiegel.

Doch er gibt nicht auf und hat ein Konzept entwickelt, um die Anlage noch zehn Jahre am Leben zu erhalten. Nicht um zu retten, was zu retten ist, sondern weil es die beste Lösung für das Land wäre, wie Günther sagt. Denn die Gesundheitswissenschaften sind eine optimale Vorstufe für die geplante Cottbuser Medizin.

Medizinische Versorgung im ländlichen Raum

Die Fakultät für Gesundheitswissenschaften konzentriert sich auf die Gesundheit im Alter und die medizinische Versorgung im ländlichen Raum. Die Altersmedizin, Pflege- und Rehabilitationswissenschaften, Telemedizin, aber auch Kardiologie und Physiologie sollen in der Einrichtung eine zentrale Rolle spielen. Es wurde 2018 gegründet, weil bis dahin in Brandenburg keine Ärzte ausgebildet worden waren. Die private medizinische Fakultät sollte durch eine akademische Fakultät untermauert werden.

„Es wäre fahrlässig, die bestehende Fakultät einfach abzustempeln, ohne dass die Cottbuser Universitätsmedizin in Sicht ist“, sagte Günther. Er hält es für wichtig und richtig, dass die Region die medizinische Ausbildung in Cottbus aufbaut. Aber das Projekt ist kompliziert und langwierig. Es sollte noch gut zehn Jahre dauern, bis dort Ärzte ausgebildet werden konnten. Deshalb will Günther trotz der Halbierung der Landesmittel die bestehende Fakultät für Gesundheitswissenschaften als Brücke zur künftigen IUC und für die MHB auf den Weg bringen.

Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam.Foto: Sebastian Gabsch PNN

Eigentlich waren für die Einrichtung 16 Professuren geplant. Aufgrund der beschlossenen Kürzungen wären nur zehn möglich. „Das reicht nicht, damit kann man die Gesundheitswissenschaften noch lange nicht abdecken“, sagt Günther. Sein Vorschlag, den er kürzlich dem Wissenschaftsausschuss des Landtags vorstellte, sieht eine Halbierung der Kürzungen von 2,5 auf 1,25 Millionen Euro pro Jahr vor. „Damit kann eine Schmalspurfakultät betrieben werden, die zumindest die gewünschten Funktionen erfüllt und in zehn Jahren mit der IUC, der MHB und der Universität Potsdam zusammengeführt werden kann.“ Mit diesen Mitteln wären laut Günther dann 13 Professuren möglich, vier für die MHB und neun weitere aufgeteilt zwischen der BTU und der Universität Potsdam.

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„In der Fakultät können wir bereits die nächste Generation ausbilden, die in den künftigen Einrichtungen der IUC und MHB arbeiten wird.“ Die Fakultät hätte dann das Promotions- und Habilitationsrecht, die Promotionsordnung wurde bereits Mitte Januar vom Senat der Universität Potsdam beschlossen. „Das alles zu vernichten, um 2,5 Millionen Euro pro Jahr einzusparen, also 0,02 Prozent des Staatshaushalts, scheint mir nicht im besten Interesse des Staates zu sein“, sagt Günther.

Doch das brandenburgische Wissenschaftsministerium (MWFK) lehnt den Vorschlag bisher ab. „Es geht wohl nicht mehr um 1,25 Millionen Euro mehr oder weniger, sondern um den Gesichtsverlust“, glaubt Günther.

Die Institutsleitung ist vakant

Bleiben die Kürzungen von 2,5 Millionen Euro, „haben wir ein echtes Problem“. Tatsächlich hat der Senat der Universität Potsdam bereits eine gemeinsame Berufung mit dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, Abteilung Bioanalytik & Bioprozesse, für dessen Leitung beschlossen. Das Institut soll seinen Sitz in Potsdam haben. „Aber ich kann keinen Termin machen, wenn ich kein Geld habe“, sagt Günther. Die Geschäftsführung des IZI wird im Februar vakant.

Auch die private Brandenburgische Medizinische Hochschule kann nicht aus eigener Kraft ausgebaut werden, da sie kein Promotionsrecht hat. „Es wäre ein Affront, ihr ohne Beschluss des Wissenschaftsrates per Federstrich das Promotionsrecht des Landes einzuräumen“, warnt Günther. Über die gemeinsame Fakultät mit der Universität Potsdam und der BTU war geplant, Promotionen und Habilitationen durchzuführen. „Das ist die beste Lösung, damit Promotionen und Habilitationen in Medizin und Gesundheitswissenschaften weiterhin in Brandenburg durchgeführt werden können.“

„Wer soll denn nach Cottbus kommen?“

Günther glaubt, wenn die Fakultät abgebaut werden müsste, hätte das bundesweit eine fatale Signalwirkung. „Wer soll denn nach Cottbus kommen, wenn man sieht, wie das Land Brandenburg mit seinen Hochschulen umgeht?“

Das sieht auch die Präsidentin der BTU, Gesine Grande, so. „Es wäre ein enormer Reputationsschaden, wenn die laufenden Berufungsverfahren für die Gesundheitswissenschaften gestoppt würden, um sie in drei Jahren wieder für die neu geplante Universitätsmedizin auszuschreiben“, sagte sie dem Tagesspiegel. Sie sieht die bestehende Fakultät als wichtigen Puzzlestein im Entwicklungsprozess der geplanten Cottbuser Universitätsmedizin. „Vieles wurde richtig gemacht“ Die bestehende Fakultät und ihre Professuren würden inhaltlich und fachlich „hervorragend“ zum Profil der zukünftigen Universitätsmedizin passen, beispielsweise die Professuren für Bioinformatik oder für die interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen.

Gesine Grande, Präsidentin der BTU Cottbus.Foto: picture alliance/dpa

„Es wäre klug, auf die sehr guten Kandidaten zurückzugreifen, die sich jetzt durchgesetzt haben, um das Feld für die IUC vorzubereiten. Als Eckprofessuren konnten sie die Entwicklung der Studiengänge und der Fakultät selbst vorantreiben und damit den ambitionierten Zeitplan unterstützen“, so Grande. Grande sieht das nicht ein: „Dann müssten wir für die IUC noch einmal von vorne anfangen.“

Den Vorwurf des Ministeriums, der Aufbau der Fakultät habe zu lange gedauert, hält sie für nicht gerechtfertigt. Die Fakultät verfügt über eine deutschlandweit einmalige, herausfordernde Betreuungsstruktur, für die zunächst ein Governance-Modell gefunden werden musste. Der komplette Umbau des IUC mit Lehrangeboten, insgesamt 80 Berufungen, Forschungsaktivitäten und unterstützenden Infrastrukturen wird viel Zeit in Anspruch nehmen. „Hier wäre eine gewisse Kontinuität wünschenswert“, sagt Grande und verweist auf Günthers Vorschlag, die Kürzungen zu halbieren.

Angst vor der privaten MHB

Auch beim privaten MHB, die von den Kürzungen nicht direkt betroffen ist, wird befürchtet, dass der Hochschulpolitik unnötig Schaden zugefügt wird, was sich auch auf die Gründung der IUC auswirken könnte. „Wir freuen uns über alle Anregungen, die dazu beitragen, eine erfolgreich etablierte Struktur für die Zukunft zu sichern“, sagt MHB-Präsident Hans-Uwe Simon. „Wenn wir eines aus der aktuellen Corona-Pandemie gelernt haben, dann dass künftig deutlich mehr und nicht weniger Geld in den gesamten Bereich der Gesundheitssicherung investiert werden muss.“ Simon bezeichnet die Kürzungen daher als „ein hochschulpolitisches und höchst falsches und kontraproduktives Zeichen“.

Allerdings weist das Wissenschaftsministerium in Brandenburg darauf hin, dass im Jahr 2015, als die Idee der gemeinsamen Fakultät für Gesundheitswissenschaften geboren wurde, nicht absehbar war, dass mit der IUC eine staatliche Universitätsmedizin in Brandenburg etabliert werden könnte. „Inzwischen haben wir die Rahmenbedingungen geändert“, sagt Ministeriumssprecher Stephan Breiding. Zudem hat die Expertenkommission für die IUC-Planung nicht vorgeschlagen, die Gesundheitswissenschaften als Brückenkopf für die Entwicklung der Universitätsmedizin zu nutzen. Das Ministerium betont zudem, dass die Strukturmittel des Bundes für die Cottbuser Hochschulmedizin nur in die Lausitz fließen können, also für die Universität Potsdam und die MHB in Neuruppin nicht in Frage kommen.

Hoffe, dass das Ministerium und der Landtag noch einmal darüber nachdenken

Die MHB hingegen, die von der Einsparung ausgenommen ist, soll bis zu ihrer Akkreditierung jährlich fünf Millionen Euro zusätzlich erhalten. Letztlich wurde die Finanzierung der Fakultät für Gesundheitswissenschaften für 2022 bereits endgültig vom Landtag beschlossen. „Den beteiligten Hochschulen steht es frei, die Finanzierungslücke notfalls aus eigenen Mitteln zu füllen“, sagt Breiding.

Potsdams Uni-Chef Günther hofft, dass Ministerium und Landtag noch einmal überdenken, was für das Land sinnvoll und tragfähig ist – zumindest für den nächsten Landeshaushalt. Mit dem Argument, wegen Corona sparen zu müssen, wie es anfangs hieß, ausgerechnet die Fakultät für Gesundheitswissenschaften zu streichen, sieht Günther einen Schrittwitz: „Das muss man erst mal jemandem erklären.“