Buchempfehlung: Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Ökonomie

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Buchempfehlung: Mission.  Auf dem Weg zu einer neuen Ökonomie

Von Mondschüssen und Missionen

Ein Space Shuttle schießt in den Sternenhimmel. Das sieht gut aus, getaucht in aufregende Komplementärfarben! Aber warum auf dem Cover eines Buches über die „New Economy“? Geht sie gerade durch die Decke? Wird wieder unendliches Wachstum versprochen? Astronomische Steigerungen sozusagen? Keines davon. In diesem Buch geht es um „Moonshots“, also Projekte oder auch Visionen, deren Umsetzung für den Menschen äußerst anspruchsvoll ist, die aber auch zahlreiche positive Begleiterscheinungen mit sich bringen. „Missionen“ nennt Autorin Mariana Mazzucato diese Moonshots, die sie der Wirtschaft, der Gesellschaft und vor allem der Politik nahelegt.

„Think big(ger)“ scheint sie all jenen zuzurufen, die sich hinter Abteilungsdenken und kleinteiliger Schadensbeseitigung verstecken, die nur Probleme sehen, die es zu lösen gilt, aber mit Scheuklappen vergessen, dass sie diese eigentlich aktiv gestalten könnten . Vor allem ermutigt sie die Politik, Missionen zu definieren, sich große Ziele zu setzen, auch ohne gleich zu wissen, wie alle Schritte dahin im Detail aussehen, sich zu vernetzen, Risiken einzugehen, Finanzen und Handeln an diesen Missionen auszurichten, nicht an dass , wie „es bisher immer so gemacht wurde“.

Und sie zieht immer wieder Vergleiche zu den klassischen Mondschüssen, zur Apollo-Mission der NASA, bei der trotz Skeptikern enorm viel Geld ausgegeben wurde, um das große Ziel zu erreichen, einen Menschen auf den Mond zu bringen und gesund wieder zurück auf die Erde zu bringen . Und der fast nebenbei und ungewollt so viele Entwicklungen und Entdeckungen gemacht hat, die aus unserem heutigen Leben nicht mehr wegzudenken sind:

Aus heutiger Sicht erscheinen die Herausforderungen des Apollo-Projekts klein im Vergleich zu den großen Problemen unserer Zeit. Die UN hat 2015 17 Ziele für die Menschheit definiert, darunter nicht weniger als zum Beispiel die Bekämpfung von Armut und Hunger, der Schutz von Ökosystemen, die Verhinderung einer Klimakatastrophe oder Frieden und Gerechtigkeit. All diese Ziele, so Mazzucato, seien nicht mit halbherzigen Aktionen, mit Einzelmaßnahmen (egal wie groß) oder Anstrengungen in einzelnen Bereichen zu erreichen. Ein Mondschuss ist erforderlich. Oder am besten mehrere.

Sieben Säulen einer auftragsorientierten Wirtschaft

Was ist nun eine Mission? In Mazzucatos Definition dreht sich viel um die Rolle des Staates und seine Handlungs(un)fähigkeit. Er hat sich zunehmend in eine Position zurückgezogen, in der er alles Wichtige nach außen gibt (Outsourcing!) und nur eingreift, wenn etwas schief geht und er es reparieren muss. Basierend auf der falschen Annahme, dass die Privatwirtschaft weniger Fehler macht und der Markt immer die beste Lösung findet, aus Angst, dass etwas schief gehen könnte (und dann Politiker in Presse und Social Media angegriffen werden), riskiert man lieber nichts und hofft, dass der Markt es beheben wird. Aber wer muss dann kein wirkliches Risiko eingehen, denn am Ende greift immer noch der Staat ein (z. B. mit Rettungspaketen, einer CO2-Steuer oder halbherzigen Gesetzen), wenn etwas kolossal schief gelaufen ist.

Der Staat müsse wieder lernen zu kontrollieren, sagt Mazzucato. Und definiert sieben Säulen eines Missionsansatzes, auf denen eine Wirtschaft ruhen sollte:

  1. Werte: Missionen orientieren sich am Gemeinwohl, nicht an der Förderung privatwirtschaftlicher Einzelideen.
  2. Marktdesign: Der Staat finanziert nur Projekte, die selbst definierte Ziele verfolgen.
  3. Organisatorische Veränderungen: Weg vom Abteilungsdenken, hin zur Querschnittskommunikation, vor allem (Schulung) der Mitarbeiter in der Verwaltung und Ermutigung, Risiken einzugehen und Fehler zu machen.
  4. Langfristige Finanzierung: nicht nur Mangelmanagement, das sich von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr verschiebt, sondern eine (auch kreditfinanzierte) längerfristige und ergebnisorientierte Ausstattung zur Zielerreichung.
  5. Verteilung und integratives Wachstum: Risiken und Gewinne teilen, anstatt Risiken zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren.
  6. Partnerschaft und Stakeholder Value: Privatwirtschaft und Staat als aufeinander angewiesene Partner. Weg von der Fokussierung auf den individuellen Gewinn, hin zur kollektiven Wertschöpfung.
  7. Beteiligung: Anders als bei Apollo, wo die Ankündigung „von oben“ kam, können die wirklichen Herausforderungen nur unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte bewältigt werden.

Ein gefragter Experte

„Mission“ ist eine konsequente Weiterentwicklung der Ideen, die Mariana Mazzucato in ihren beiden vorangegangenen Büchern entwickelt hat. In „Die Hauptstadt des Staates: Eine weitere Geschichte von Innovation und Wachstum“ hatte die Rolle des öffentlichen Sektors bereits in gestärkt „Wie kommt Wert in die Welt?“ aus, wie der Untertitel sagt „Creator und Scoops“ gesprochen. Dass sie in der englischen Originalausgabe von sind „Mission“ Wenn sie über „Kapitalismus im Wandel“ statt „New Economy“ schrieb, warf sie ihr, wie sie in einem Interview sagte, sozialistische Ideen vor. Dem entgegnete sie locker mit der Bemerkung, dass es jedem guten Kapitalisten wichtig wäre, für seine Arbeit eine Gegenleistung zu bekommen.

Die in London lebende Italienerin ist Professorin für Innovationsökonomie und öffentlichen Wert am University College London und hat in ihrer Wahlheimat das UCL Institute for Innovation & Public Purpose gegründet. Mazzucato, die erst nach einem Geschichtsstudium zur Wirtschaftswissenschaft kam, gilt als eine der klügsten Köpfe ihres Fachs. Sie ist Vorsitzende des WHO Council on Health for All und berät Regierungen und Organisationen auf der ganzen Welt (von Schottland bis Argentinien), hat aber immer wieder festgestellt, dass einige ihrer wertvollen Ratschläge einfach ignoriert werden (z Corona-Tracking ausgelagert).

Die Daten für das Buch
Mariana Mazzucato: Mission. Auf dem Weg in eine neue Ökonomie, Campus Verlag 2021, 301 Seiten, 26 Euro, ISBN: 978-3-593-51274-7

Klare Systematik

Die Tatsache, dass Mariana Mazzucato immer wieder erleben muss, dass Regierungen nicht das tun, was für sie selbstverständlich ist, führt dazu, dass sie bestimmte Forderungen (etwa die gleiche Verteilung von Risiken und Gewinnen in öffentlich-privaten Partnerschaften) immer wieder auf den Tisch bringt. Und das so systematisch, dass man sich ihren Schlussfolgerungen kaum entziehen kann: Warum schlägt sich die staatliche Förderung der Arzneimittelforschung nicht im Preis der Medikamente für alle nieder (was dann zu sinkenden Gesundheitskosten und niedrigeren Krankenkassenbeiträgen führen würde)? Warum kassieren CEOs von Großkonzernen in der Gewinnphase Boni, wenn der Staat in der Verlustphase aushelfen muss? Warum sollten Gestaltungswillige eine Stelle im Land oder in einer Kommune anstreben, wenn sie dort nicht gestalten können?

Auch die in diesem Buch vorgestellte Modellierung von „Missionen“ ist absolut nachvollziehbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob es um die Rettung der Ozeane vor Plastikmüll oder um die Mobilität der Zukunft geht Ihre Diagramme sind einfach, leicht verständlich und leicht zu handhaben: An der Spitze steht eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung, einschließlich der daraus abgeleiteten Mission. Diese Mission besteht nun aus einzelnen „Missionsprojekten“, symbolisiert durch Kreise im unteren Drittel der Grafik und jeweils verbunden mit den darüber liegenden Rechtecken, die die Sektoren / Themenbereiche darstellen, die von den Projekten berührt werden.

Ein Konzept, das Beachtung verdient

Viel Stoff zum Nachdenken! Viel Stoff für Regierungen, die Ökologie und Ökonomie verbinden wollen. Und viel klebt. Zum Beispiel eine Rechnung, nach der Schulden nicht gleich Schulden sind. Mazzucato zitiert den legendären Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, der 2005 eine Frage eines Senators beantwortete: „Nichts könnte den Staat daran hindern, nach Belieben Geld zu schaffen und es an wen auch immer auszuzahlen. Die Frage ist, wie man ein System schafft, das sicherstellt dass die materiellen Vermögenswerte geschaffen werden, die mit diesen Dienstleistungen erworben werden“. Im Klartext: Wenn sich der Staat verschuldet oder einfach mehr Geld druckt, ist das unproblematisch und führt nicht zur Inflation, wenn das Geld richtig angelegt wird, also in langfristigen Wachstumsfeldern. Und das Geld kommt damit zurück.

Mazzucato unterstreicht dies mit Beispielen aus der Geschichte, von der großen Inflation der Weimarer Republik bis zur Inflation der 1970er Jahre, wo die Ursache nicht Kapazitätsengpässe durch falsche Regierungsentscheidungen sind, sondern äußere Einflüsse. Siehe auch Apollo: Das Programm war teuer, aber nicht so teuer, wie man meinen könnte. Mazzucato macht deutlich: Das Rettungspaket für den maroden Finanzsektor war 2008 viermal (!) so teuer, sodass die Mission im besten Sinne als preiswert bezeichnet werden kann.

Wie gesagt, viel Stoff zum Nachdenken. Vor allem aber eine ganz konkrete Handlungsempfehlung einer Frau, die zu den bemerkenswertesten Persönlichkeiten der Wirtschaftswissenschaften gehört. Hoffentlich schenken die Politiker ihr die Aufmerksamkeit, die sie und ihre Vorschläge verdienen.

Der Rezensent
… hat sich die Neugier seiner Kindheit bewahrt. Er interessiert sich weniger für Dinge, die weit weg oder weit in der Vergangenheit liegen, als vielmehr für wissenschaftliche Fragestellungen im Hier und Jetzt. Und was die Zukunft von uns allen bestimmt. Liebt die Wissensvermittlung, engagiert sich für Bildung und ist als Herausgeberin auch für diese Rubrik der Buchempfehlungen verantwortlich: „Know what we read“