Verkehrte Welt: Diese Woche waren einige der renommiertesten Klimaforscher des Landes gefragt in einer Meinungwieder mehr heimische Braunkohle zu verbrennen, also den klimaschädlichsten Brennstoff überhaupt. Und generell sollte die EU deutlich mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) auf dem Weltmarkt beschaffen. In den USA beispielsweise wird dieses Erdgas meist durch Fracking gewonnen, eine Technik, die unter Klimaforschern nicht allzu hoch angesehen ist.
Der Grund für all das ist natürlich der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Jetzt geht es darum, russisches Erdgas loszuwerden. Was gar nicht so einfach ist, wenn man bedenkt, dass rund 40 Prozent des Erdgases, das die EU importiert, aus Russland stammen. Könnte man sofort darauf verzichten, um Putins Kriegsmaschinerie nicht weiter zu finanzieren?
Auch die Abkehr vom russischen Gas führt im besten Fall zu einer beschleunigten Transformation
Wenn man sich mit dieser Frage beschäftigt, wird es sehr schnell sehr kompliziert. Mehr Kohle zu verbrennen muss zum Beispiel nicht schlecht fürs Klima sein, sagte Klimaökonom Ottmar Edenhofer diese Woche der SZ. Denn der Emissionshandel deckelt ohnehin den CO₂-Ausstoß – mehr Emissionen in Kohlekraftwerken würden einfach woanders ausgeglichen, zum Beispiel in der Industrie, argumentiert Edenhofer (ob das einige Fabriken ruiniert und Arbeitsplätze kostet, ist eine andere Frage). Natürlich nur ein Beispiel von vielen. Zu den Sofortmaßnahmen, die die Internationale Energieagentur IEA vorschlägt, gehören außerdem: längere Betriebszeiten für Kernkraftwerke, schnellere Genehmigungen für Windräder und Solarparks oder eine höhere Sanierungsrate von Gebäuden, um sie besser zu dämmen. (Welche Maßnahmen wie viel bringen, habe ich hier aufgeschrieben.)
Die gute Nachricht: Vieles davon dient langfristig nicht nur sicherheitspolitischen Zwecken, sondern auch dem Klimaschutz. Manche Dinge, wie zum Beispiel die Umstellung auf Wärmepumpen zum Heizen, werden leider nicht so schnell klappen. Zunächst landet man schnell beim Thema Fachkräftemangel. Zweitens Gasheizungen wurden 2020 in 40 Prozent aller neu gebauten Wohngebäude installiert. Allerdings liegen Wärmepumpen im Neubau mit 46 Prozent bereits höher. Wenn es gut läuft, wird dieser Wert in den nächsten Jahren deutlich steigen. Auf fossile Rohstoffe werden wir jedoch für eine begrenzte Zeit nicht verzichten können, so viel steht fest.
Auch die Abkehr von russischem Öl und Gas führt im besten Fall zu einer beschleunigten Transformation hin zur Klimaneutralität. Was jedoch nicht passieren sollte, ist dieses Ziel aufzugeben oder hinauszuzögern. Eine Deckelung der Spritpreise oder eine Anhebung der Pendlerpauschale reizt Edenhofer beispielsweise nicht – welchen Anreiz gäbe es sonst, weniger Auto zu fahren und damit Sprit zu sparen oder gleich aufs Fahrrad umzusteigen? Anders sieht es beim finanziellen Ausgleich für einkommensschwache Haushalte aus: Solche finanziellen Hilfen werden dringend benötigt, um das Heizen auch für ärmere Familien bezahlbar zu halten. Jedenfalls wäre es kaum hilfreich, unnötig Widerstand in der Bevölkerung zu provozieren – weder für ein Ende der Gasimporte aus Russland noch für den Klimaschutz.
Was meinen Sie: Was könnte helfen, unabhängig von russischen Rohstoffen zu werden – ohne gleichzeitig den Klimawandel zu beschleunigen? Bitte schreiben Sie uns [email protected].
(Dieser Text stammt aus der wöchentlichen Newsletter Klima Freitag du hier kostenlos kann bestellen.)