Denkverbot – Meinung – SZ.de

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Auch das menschliche Gehirn braucht ab und zu eine Pause, zum Beispiel bei zu viel Stress und Multitasking. Dies ist jedoch meist nicht gemeint, wenn man von einem „Denkverbot“ spricht. Tatsächlich hört man selten von einem solchen Verbot, das von irgendjemandem ausgesprochen wird; es kommt eigentlich nur in der Verneinung vor, also in der Aussage, dass es keine Verbote geben soll, über ein bestimmtes Thema nachzudenken. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat es jetzt genannt, was die Laufzeiten von Kraftwerken betrifft, die kein russisches Gas benötigen. Dass ein Denkverbot nicht funktionieren kann, auch nicht in einer Diktatur, ist bereits aus dem vor zweihundert Jahren in der Vormärzzeit populären Volkslied „Die Gedanken sind frei“ bekannt. Eine Strophe sagt: „Und wenn ich / in einem dunklen Kerker eingesperrt bin, / das sind alles reine / vergebliche Werke; denn meine Gedanken / reißen die Schranken / und Mauern ein“. Dennoch haben alle Gesellschaften bestimmte Tabus, nützlich oder fragwürdig. Sigmund Freud kritisiert „das Gedankenverbot, das die Religion im Dienste ihrer Selbsterhaltung ergehen lässt“. Rechte warnen heute gerne vor linken Denkverboten, die die Meinungsfreiheit gefährden, doch auch hier ist meist unklar, wer sie ausspricht und worin sie bestehen.