Berlin (dpa) – Das ist eine heikle Sache. Wenn Regisseure versuchen, alte Klassiker neu zu verfilmen, müssen sie sich daran messen lassen. So ist es auch beim Eröffnungsfilm der Berlinale. Mit der 72. Ausgabe startete am Donnerstagabend in Berlin eines der größten Filmfestivals der Welt.
Zum Auftakt wird «Peter von Kant», der neue Film des französischen Regisseurs François Ozon, gezeigt. Die Filmfestspiele in Berlin – sie sind trotz Pandemie zurück.
Im Publikum tragen die Menschen jetzt einen Mund-Nasen-Schutz und vor dem Kino werden Corona-Tests durchgeführt. Morgens sind die Hotelflure ungewöhnlich leer, abends winken Gäste auf dem roten Teppich. Autogrammjäger tragen FFP2-Masken. Ob das eine gute Idee ist – ein Filmfestival in der Omicron-Welle – darüber wurde lange diskutiert. Kulturstaatsministerin Claudia Roth ruft entschlossen: „Wir lassen uns von Corona nicht unterkriegen.“
Eröffnungsfilm von François Ozon
Der Eröffnungsfilm entführt in eine Kölner Wohnung der 1970er Jahre: Regisseur Peter (Denis Ménochet) behandelt seinen Assistenten Karl ziemlich miserabel und verliebt sich in den jungen Amir. Der Film basiert auf einer Vorlage von keinem geringeren als Rainer Werner Fassbinder (1945-1982). „Er war wie eine Art großer Bruder für mich“, sagt Ozon (54, „Swimming Pool“). Er hat alle seine Filme gesehen.
Der Film zeigt viel Retro-Optik. Flauschige Teppiche, barocke Bilder und kokainrauchende Menschen, deren Beziehungen schließlich eskalieren. „Ich glaube, dass Menschen dazu geschaffen sind, andere Menschen zu brauchen. Aber er hat das Zusammensein nicht gelernt.“ Diese Passage aus dem Original erscheint auch in der Neuauflage.
Einen entscheidenden Punkt ändert Ozon jedoch: Während „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ die Geschichte einer tyrannischen Modedesignerin erzählt, die sich in ein weibliches Model verliebt, besetzt Ozon die Geschichte mit Männern. Aber warum eigentlich?
Der Perspektivenwechsel – von einer lesbischen zu einer schwulen Geschichte – bringt keinen Gewinn an erzählerischem Gewicht. Fassbinders Fokus auf lesbische Liebe hat auch zu Reflexionen über Geschlechterrollen geführt. Nichts dergleichen findet man bei Ozon. Dafür bleibt der Film zu privat.
Isabelle Adjani spielt eine der Hauptrollen
Einige Szenen lassen die Interpretation zu, dass der Film als Satire auf die Verlogenheit menschlicher Interaktion im Showbusiness interpretiert werden könnte. Wenn dies jedoch überhaupt versucht wird, ist es zu schwach und tränenreich erzählt. Oder will sich Ozon von seinem großen Vorbild Fassbinder lösen? Warum sonst macht er eine lächerliche Figur aus ihm?
Isabelle Adjani, einer der großen Stars des französischen Kinos, spielt eine der Hauptrollen. Aber sie kam nicht nach Berlin. Auch Schauspielerin Hanna Schygulla fehlt. In Fassbinders Film spielte sie bereits mit – 50 Jahre später ist sie nun in einer anderen Rolle in der Neuauflage zu sehen.
Der Festivalleiter versicherte ihr, dass alles unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden werde. „Aber selbst wenn Menschen die dreifache Impfung haben, können sie sie übertragen. Das ist nichts für jemanden wie mich“, sagte Schygulla der Berliner Zeitung. Die 78-Jährige sagte der Zeitung zufolge bei einem Telefonat aus Paris, sie sei wegen Covid so lange nicht mehr in Berlin gewesen. „Ich habe es genommen jetzt sehr ernst, weil ich einige Freunde und Bekannte durch die Krankheit verloren habe.“
Über den Fassbinder-Film sagte Schygulla: «Ich habe mich damals auch nicht mit der Rolle identifiziert. Ich sagte zu Fassbinder: Lass mich in Zukunft aus solchen Rollen heraus. Dann war er so beleidigt. Ich fand die Rolle schrecklich. Als Charakterstudie sehr flach. Ich mochte mich in dem Film auch nicht. Der ganze Film hat mir nicht gefallen.“ Aber er war sehr, sehr erfolgreich. Das hat sie natürlich nachdenklich gemacht. Der Ozonfilm gefällt ihr auch nicht besser. „Aber er ist gut gemacht.“
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