Donezk und Luhansk: Vom Krieg stark gezeichnet

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Donezk und Luhansk: Vom Krieg stark gezeichnet


Hintergrund

Stand: 23.02.2022 18:31 Uhr

Die Ostukraine steht im Zentrum der Spannungen mit Russland. Die Anerkennung der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk durch Moskau hebt den Konflikt auf eine neue Ebene. Was sind das für Bereiche?

Das Donezbecken – oder kurz Donbass – ist seit der Entdeckung und dem Abbau reicher Kohlevorkommen im 18. Jahrhundert ein Industriegebiet von strategischer Bedeutung. Auf ukrainischer Seite erstreckt sich der Donbass bis zu den Verwaltungsbezirken Luhansk und Donezk, die im Südosten der Ukraine liegen und an das Asowsche Meer grenzen. Der Osten des geografischen Gebiets Donbass erstreckt sich bis in die Region Rostow am Don in Russland.

Der Kohlebergbau war für die ukrainische Schwerindustrie von großer Bedeutung, aber schon vor Ausbruch des Konflikts im Jahr 2014 waren die Anlagen schlecht gewartet und wenig investiert worden. Entsprechend war dort die Industrieproduktion bereits vor dem Krieg rückläufig.

Die Muttersprache vieler Einwohner der Region ist Russisch, insbesondere in Städten wie Donezk, aber auch für die meisten anderen ist Russisch die Verkehrssprache. Die weite Verbreitung des Russischen ist darauf zurückzuführen, dass viele Menschen russischer Herkunft während der Industrialisierung eingewandert sind. Umstritten ist, inwieweit Ukrainer unter Stalins Regime zur Emigration gezwungen wurden oder verhungerten.

Von politischen Turbulenzen bis zum Krieg

Dort war bis zum Kriegsausbruch 2014 die pro-russische „Partei der Regionen“ des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch am stärksten. Die Einwohner waren im Allgemeinen pro-russisch und forderten mehr sprachliche und wirtschaftliche Mitbestimmung von der Zentralregierung in Kiew.

Diese Stimmung verstärkte sich, als Janukowitsch infolge des Maidan-Aufstands aus Kiew floh und die pro-westliche Bewegung die Führung übernahm. Im Donbass schlugen die politischen Unruhen schnell in gewaltsame Auseinandersetzungen um, die zu schweren militärischen Kämpfen eskalierten. Sie konnten nur durch internationale Verhandlungen über das Minsker Abkommen und die Einrichtung einer internationalen OSZE-Beobachtermission eingedämmt werden.

Die 2014 ausgerufenen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk umfassen jeweils einen kleineren Teil der ukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk. Beide Bereiche sind von Kriminalität, Einschüchterung und Gewalt geprägt. Viele Menschen wurden in den letzten Jahren in Gefängnissen entführt und gefoltert.

Russische und ukrainische Führer

Bei allem, was derzeit im Donbass passiert, sind sie die Hauptakteure: Denis Pushilin als Führer der selbsternannten „Volksrepublik“ Donezk und Leonid Pasetchnik, der die „Volksrepublik“ Luhansk leitet. Beide kündigten am 19. Februar die Räumung der beiden Gebiete an. Sie werfen der ukrainischen Führung in Kiew Anschlagspläne vor und haben den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe gebeten, dessen Dekret zur Anerkennung der beiden Gebiete sie ebenfalls unterzeichnet haben.

Pushilin und Pasechnik sind seit Beginn des Konflikts im Donbass aktiv, haben aber erst in den letzten Jahren die Führung ihrer jeweiligen Gebiete übernommen: Pushilin 2018 nach einem Attentatsversuch auf den damaligen Führer Alexander Sachartschenko. Pasechnik kam 2017 in Luhansk an die Macht. Bis dahin war er Sicherheitsminister der „Volksrepublik“ und zuvor Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU.

Puschilin stammt ebenfalls aus der Ukraine, vor 2014 arbeitete er als Verkäufer dubioser Finanzanlagen. Puschilin und Pasechnik sind beide Mitglieder der russischen Regierungspartei „Einiges Russland“ und Beobachter sehen sie als willige Komplizen des Kremls – anders als ihre Vorgänger, die wie Sachartschenko als Männer mit eigenem Kopf galten und nicht auf Befehle aus Moskau warteten.

Unter ihnen war der ehemalige FSB-Agent Igor Girkin. Er organisierte 2014 militante Gruppen in der Region Donezk. Er wurde 2019 von niederländischen Staatsanwälten des Mordes im Zusammenhang mit dem Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 im Jahr 2014 angeklagt.

Wochen später zog er sich nach Russland zurück, ebenso wie der Russe Alexander Borodai. Er war kurze Zeit „Premierminister“ von Donezk und wurde Abgeordneter in Russland. 2017 behauptete er, die russische Regierung wolle die Führung von Donezk und Luhansk an die Ukrainer abgeben, „um dem Westen zu zeigen, dass der Aufstand ein Graswurzelphänomen sei“.

Pässe für mehr als eine Million Einwohner

Der Krieg nach dem Aufstand von 2014 war verheerend für die Region und ihre Bewohner. Die Infrastruktur wurde weitgehend zerstört, ebenso die Schwer- und Bergbauindustrie. Von ukrainischer Seite blockiert, passieren Lieferungen die russische Grenze. Ein Korruptionsurteil eines Gerichts in der südrussischen Stadt Ende 2021 ergab, dass Einheiten der russischen Streitkräfte seit langem im Donbass präsent waren und aus Rostow am Don mit Lebensmitteln versorgt wurden – obwohl die russische Führung die Angaben zurückwies aus dem Gerichtsverfahren kurz darauf.

Im ersten Jahr nach Beginn des Konflikts im Jahr 2014 flohen mehr als eine Million Menschen aus der Region in andere Teile der Ukraine. Wieder einmal gingen so viele Menschen nach Russland.

Im Frühjahr 2019 unterzeichnete Putin ein Dekret, das es den in der Region verbliebenen Menschen erleichtert, russische Staatsbürger zu werden – entgegen den Bestimmungen des Minsker Abkommens. Nach russischen Angaben haben mittlerweile mehr als eine Million Einwohner einen russischen Pass erhalten. Junge Menschen, die in ihrer Heimat keine Perspektiven sehen, verbinden mit der russischen Staatsbürgerschaft oft die Hoffnung auf Ausbildung und Arbeit.

Zwei Staatsbürgerschaften geben den Menschen dort eine gewisse Flexibilität in einer von hoher Unsicherheit geprägten Lebenssituation. Allerdings fühlt sich nach Erhebungen des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten ein großer Teil der Bevölkerung noch immer der Ukraine zugehörig.

Rechtfertigung für militärische Präsenz

Bevölkerungswachstum aus der Ukraine hilft Russland inmitten einer demografischen Krise – Putin wies beispielsweise auf seiner Jahresendpressekonferenz im Dezember auf die sinkende Einwohnerzahl in Russland hin.

Einwohner mit russischen Pässen im Donbass – wie auch in anderen besetzten Gebieten in den Nachbarländern Russlands – dienen Putin auch als Rechtfertigung, Gewalt anzuwenden, um sie zu schützen. Die jetzt geschlossenen „Friedens- und Kooperationsabkommen“ mit Donezk und Luhansk sehen unter anderem den Bau von dortigen Militärbasen vor.

Diese beiden Abkommen sind weitgehend identisch mit den Abkommen, die Russland 2008 mit den abtrünnigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien geschlossen hat. Obwohl Putin sie erst nach dem Krieg erkannt hat, lassen sich Rückschlüsse auf die mögliche Entwicklung von Donezk und Luhansk ziehen.

Auf jeden Fall haben die russischen Streitkräfte eine starke Präsenz in Abchasien und Südossetien aufgebaut, die ihnen de facto eine militärische Kontrolle über die besetzten Gebiete ermöglicht. Bislang wurden die beiden Gebiete nicht in die Russische Föderation integriert, auch wenn es in Südossetien starke Bemühungen darum gibt.

Im Fall von Donezk und Luhansk könnte dies anders sein, da Putin wiederholt postuliert hat, dass die Ukraine zu Russland gehört. Da die beiden „Volksrepubliken“ in den „Verfassungen“ mit den beiden Verwaltungsbezirken Donezk und Luhansk gleichgesetzt werden, ist aus russischer Sicht eine weitere Expansion über das – kleinere – bisher besetzte Territorium hinaus gerechtfertigt.

Sollte es zu einer militärischen Eskalation kommen, werden viele Menschen, die nun von Pushilin und Pasetschnik zur Abreise aufgefordert wurden, nicht zurückkehren. Dann wäre die kriegszerrüttete Region für noch weniger Menschen ein Zuhause.