Pforzheim (dpa/lsw) – Am Mittwoch erinnerte Pforzheim an den britischen Luftangriff im Zweiten Weltkrieg, bei dem 1945 rund 18.000 Menschen ums Leben kamen. Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) erweiterte den Fokus auf die Weltpolitik und den Konflikt in der Ostukraine. „Wir blicken auf eine Welt voller Zwietracht und Unmenschlichkeit. Überall sehen wir Konflikte und Kriege, Millionen Menschen auf der Flucht“, sagte er bei der städtischen Gedenkfeier auf dem Hauptfriedhof.
Donezk ist fast 2000 Kilometer Luftlinie entfernt. „Wir schauen dieser Tage mit Sorge dorthin, ohne zu wissen, ob ein sogenannter Präsident Putin hier einen Krieg beginnen wird, dessen Auswirkungen nicht nur für die Ukraine fatal wären.“ Boch stellte in Frage, ob die Welt wirklich „die grausame Lektion des 23. Februar“ gelernt habe.
Das Bombardement dauerte nur 22 Minuten und rund zwei Drittel des Stadtgebiets wurden zerstört. Pforzheim war vor allem wegen seiner feinmechanischen Industrie, die unter anderem Zünder für Bomben und Granaten herstellte, und den Bahnanlagen zum Ziel geworden.
Nach Angaben des Stadtarchivs hatten 368 Flugzeuge der Royal Air Force 1.575 Tonnen Bomben abgeworfen, darunter Spreng- und Brandbomben sowie Luftminen. Die dicht bebaute Stadt an Enz, Nagold und Würm brannte auf einer Fläche von drei mal anderthalb Kilometern nieder.
Boch betonte, dass in der Stadt vor dem Angriff nicht alles gut gewesen sei. Die Nationalsozialisten und ihre Ideologie hätten auch vor Pforzheim nicht Halt gemacht. Jüdische Bürger wurden entrechtet, enteignet, vertrieben, deportiert und ermordet. Zwangsarbeiter wurden ausgebeutet. Menschen mit Behinderungen, politische Andersdenkende, Homosexuelle, Menschen, die als asozial galten, wurden verfolgt, eingesperrt und ermordet.
„Das alles geschah mit Toleranz, mit Rückhalt, unter Beteiligung der Pforzheimerinnen und Pforzheimer“, sagte Boch. „Es war ein Pforzheim ohne Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat und ein Pforzheim ohne Frieden lange vor dem 23. Februar 1945.“
Die Gedenkfeier zum 77-jährigen Jubiläum fand unter Corona-Bedingungen mit begrenzter Teilnehmerzahl statt und wurde live auf der Website der Stadt übertragen. Der traditionelle Abend „Lichtermeer“ mit Kerzen auf dem Marktplatz war wegen der Pandemie abgesagt worden.
Das Jubiläum ist immer wieder Anlass für verschiedene Demonstrationen: Rund 250 Menschen folgten am Nachmittag einem Aufruf der Initiative gegen Rechts, wie ein Polizeisprecher sagte. Bei einer weiteren Demonstration seien bis zu 600 Menschen in Richtung Wartberg gelaufen, um gegen die dort geplante „Fackelmahnwache“ zu protestieren, sagte ein Polizeisprecher später am Abend. An einer Absperrung griffen Teilnehmer dieser Protestaktion dann plötzlich Polizisten an. Anschließend wurden die Identitäten von rund 150 Personen ermittelt – wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs und des tätlichen Angriffs auf Polizisten. Rund 40 Personen nahmen an der „Fackelwache“ mit Teilnehmern aus dem rechten Spektrum auf dem Wartberg teil.
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