Berlin (dpa) – Inmitten immer weiter steigender Infektionszahlen ringen Bund und Länder erbittert um die Fortsetzung des Corona-Kurses mit Impfauflagen und Alltagseinschränkungen. Bevor sich die Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beraten, macht die mitregierende FDP erneut Druck, Auflagen zurückzuziehen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte am Donnerstag, es sei klar, dass auch über Lockerungen diskutiert werden müsse. Gleichzeitig mahnte er, man solle sich „nicht zu schnell entspannen“. Im Konflikt um die Umsetzung der Impfpflicht für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen hat sich der Ton noch verschärft. Das Bundesverfassungsgericht will an diesem Freitag eine Entscheidung über einen Eilantrag gegen das Gesetz bekannt geben.
Lauterbach betont die kritische Lage
Lauterbach betonte am Rande eines EU-Treffens im französischen Grenoble: „Wir sehen immer noch eine Zunahme von Fallzahlen, die wir so noch nie hatten.“ Wenn Sie sich so sehr entspannen, dass die Fallzahlen deutlich steigen, verlängern Sie die Pandemie unnötig. Das ist weder gut für die Wirtschaft noch für die Gesundheit. Es ist Wunschdenken zu glauben, dass die Inzidenz erhöht werden kann, aber es gibt keine zusätzlichen Todesfälle. „Dafür haben wir einfach nicht die Impfquote. Und es kam auch nicht über Nacht.“ Im Fokus stehen vor allem viele Ungeimpfte unter den besonders gefährdeten älteren Menschen.
Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg laut Robert-Koch-Institut (RKI) weiter auf den Spitzenwert von 1465,4 – nach 1450,8 gemeldeten Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen am Vortag und 1283,2 vor einer Woche. Die Gesundheitsbehörden meldeten an einem Tag 247.862 neue Fälle, innerhalb von 24 Stunden wurden 238 weitere Todesfälle registriert.
Welche Öffnungsschritte er für möglich hält, sagte Lauterbach zunächst nicht. Zuletzt hatte er Lockerungen „deutlich vor Ostern“ versprochen. Gleichzeitig warnte der Minister erneut vor Öffnungen wie in Israel. Dann könnten Sie in Deutschland täglich 400 bis 500 Tote bekommen. Grundlage dafür ist ein RKI-Modell, mit dem von Inzidenzen ausgegangen werden kann. „Diese unterschiedlichen Häufigkeiten führen dann zu der entsprechenden Anzahl an Todesfällen pro Tag.“ Gleichzeitig lassen sich die Zahlen aus Israel hochrechnen. „Wenn wir jetzt Inzidenzen von 3.500 oder 4.000 oder noch mehr hätten, dann würde die Zahl der Todesfälle natürlich entsprechend steigen.“
Kritik aus der Opposition
Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß sprach in der „Bild“-Zeitung davon, dass Lauterbach „Minister der Angst“ werde. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), hielt Lauterbach in der „Welt“ für den Austausch von Begründungen für Schutzmaßnahmen auf. Im Kern kann es nur darum gehen, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen. Laut RKI gab es Anfang 2021 in Deutschland bereits mehrere Tage mit mehr als 1000 registrierten Todesfällen pro Tag in der Pandemie, allerdings mit damals nur langsam einsetzenden Impfungen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der „Bild“, die Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch müsse „erste Schritte zurück zu mehr Freiheit“ gehen. Zunächst müssen dort, wo konsequent Masken getragen werden, die 2G plus, 2G und 3G Zugangsregeln abgeschafft werden, nämlich im Handel und in Hotels. Zudem muss die Erhebung von Kontaktdaten gelöscht werden. Kontaktbeschränkungen für Geimpfte bei privaten Treffen sollen gelockert werden.
Streeck plädiert für Lockerungen
Auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck sprach sich für Lockerungen aus. „Generell muss man sich fragen, ob man sich an die G-Regeln halten will“, sagte er gegenüber merkur.de (Mittwochabend). Man muss vorsichtig zur Normalität zurückkehren. Aus seiner Sicht sollte es keinen Unterschied mehr zwischen Geimpften und Ungeimpften geben.
Im Streit um die im Dezember beschlossene Umsetzung der Impfpflicht für Personal in sensiblen Einrichtungen hat Justizminister Marco Buschmann (FDP) Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) scharf angegriffen. „Im Rechtsstaat gelten Gesetze. Wenn die Herrschenden selbst entscheiden, welche Gesetze sie einhalten und welche nicht, ist die Tyrannei nicht weit“, twitterte Buschmann am Mittwochabend. CSU-Generalsekretär Markus Blume konterte: „Der Dilettantismus der Ampelparteien schadet der Demokratie.“ Aufgabe der Justizministerin ist es, bestehende Rechtsunsicherheiten aufzuklären, statt auf Twitter vom eigenen Versagen abzulenken.
Söder kündigte am Montag an, die Impfpflicht, die Mitte März in Kraft tritt, auszusetzen. Es ist in der jetzigen Form nicht umsetzbar und muss von der Bundesregierung verbessert werden. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte im Bayerischen Rundfunk, Bayern halte die Impfpflicht nach wie vor für eine gute Idee. Allerdings werde sich die Einführung um „ein paar Wochen“ verschieben, da viele Fragen offen seien. Söder hatte zunächst von „großzügigsten Übergangsregelungen“ gesprochen, die „de facto zunächst zu einer Aussetzung des Vollzugs“ geführt hätten. „Für wie viele Monate werden wir sehen.“
Karlsruhe: Entscheidung über Teilimpfung
Das Bundesverfassungsgericht will am Freitag seine Entscheidung über einen Eilantrag gegen das Gesetz zur Teilimpfung bekannt geben. Es könnte sein, dass die Bestimmungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig ausgesetzt werden. Zuletzt gingen 74 Verfassungsbeschwerden von 300 Klägern ein.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sieht in der aktuellen Debatte ein schlechtes Omen für die mögliche generelle Impfpflicht. Wie die Meinungsbildung im Bundestag abläuft, wagt er nicht abschließend zu beantworten. „Aber eines steht fest: Wenn es nicht gelingt, einrichtungsbezogene Impfpflichten sinnvoll in Gang zu bringen, dann sehe ich wenig Chancen für allgemeine Impfpflichten“, sagte Haseloff der Deutschen Presse-Agentur.
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