Berlin (dpa) – Wenige Tage vor der nächsten Konferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidenten der Länder macht die FDP Druck auf weitreichende Lockerungen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der „Bild“: „Die MPK (Ministerpräsidentenkonferenz) muss die ersten Schritte zurück zu mehr Freiheit gehen.“ Zunächst müssen dort, wo konsequent Masken getragen werden, die 2G plus-, 2G- und 3G-Regeln abgeschafft werden, nämlich im Handel und in Hotels. Zudem muss die Erhebung von Kontaktdaten gelöscht werden. Drittens sollten die Kontaktbeschränkungen für Geimpfte bei privaten Treffen gelockert werden, forderte Dürr.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) prognostizierte in der „Bild“, dass die Corona-Maßnahmen spätestens am 20. März auslaufen sollten, weil es dann im Bundestag keine Mehrheit mehr für eine Verlängerung gäbe. Der 19. März ist das Enddatum im Infektionsschutzgesetz für Regelungen mit den Corona-Beschränkungen. Der Bundestag konnte die Gültigkeit einmalig um drei Monate verlängern.
Streeck hinterfragt G-Regeln
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck forderte deutliche Lockerungen. „Generell muss man sich fragen, ob man sich an die G-Regeln halten will“, sagte Streeck am Mittwochabend gegenüber merkur.de. Man muss vorsichtig zur Normalität zurückkehren. Aus seiner Sicht sollte es keinen Unterschied mehr zwischen Geimpften und Ungeimpften geben. Es könnte auch sein, dass „die meisten Maßnahmen“ deutlich vor Ostern fallen könnten.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte Lockerungen „deutlich vor Ostern“ versprochen, sieht diese aber derzeit nicht als realisierbar an. Lauterbach hatte im ZDF mit Verweis auf Öffnungsschritte wie in Israel gewarnt, dass es in Deutschland dann täglich 400 bis 500 Tote geben werde statt derzeit 100 bis 150. „Ich warne davor, dass wir zu früh öffnen“, betonte der Minister.
Die Abmahnung bringt Lauterbach nun heftige Kritik ein. Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß warf ihm in der „Bild“-Zeitung vor, er werde „Minister der Angst“. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), warf Lauterbach vor, die Begründung für Schutzmaßnahmen auszutauschen. Im Kern könne es nur darum gehen, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen, sagte Krings der „Welt“). Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sagte der „Bild“: „Ich finde es bemerkenswert, wenn das verfassungsrechtlich begründete Ziel der Corona-Maßnahmen plötzlich verschoben wird – in dem Moment, in dem keine Überlastung des Gesundheitssystems mehr droht.“
Unterdessen reißt die Kritik von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der eine Aussetzung der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab Mitte März angekündigt hatte, nicht ab. Der CSU-Chef sagte, es könne in der jetzigen Form nicht umgesetzt werden, die Bundesregierung müsse nachbessern. CDU-Chef Friedrich Merz hatte Söders Schritt verteidigt.
Battis spricht von Söders „eklatantem Populismus“.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Markus Söder offenbart ein unverantwortliches Staatsverständnis, wenn er Gesetze missachten will, die er selbst erlassen hat.“ Grünen-Fraktionsvorsitzende Irene Mihalic warf Söder im RND vor, die Corona-Krise für Parteipolitik zu nutzen. Der FDP-Rechtsexperte Stefan Thomae betonte in der „Augsburger Allgemeinen“: „Eine pauschale Nichtanwendung von Bundesgesetzen durch die Exekutive ist dagegen mit unserer Verfassung nicht vereinbar.“
Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis sprach in der Zeitung von Söders „schreiendem Populismus“ und betonte, dass die Bundesregierung Bayern theoretisch zur Umsetzung des Gesetzes zwingen könne. Offene Fragen zur Umsetzung müssten aber vorher geklärt werden. Im Wesentlichen muss der Bundesgesundheitsminister nun Antworten liefern.
In Baden-Württemberg hat die Teilimpfung zu einem Streit zwischen den Koalitionspartnern Grünen und CDU geführt. Die CDU fordert von der Bundesregierung eine vorläufige Suspendierung, während Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte, dass an den beschlossenen Gesetzen festgehalten werde und ein Bundesgesetz nicht suspendiert werden könne. Die Koalitionsspitzen wollen den Streit nun am Donnerstag beilegen.
Auch die Linke fordert Verbesserungen des Gesetzes. Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ ein „Testmoratorium“. Die Ausarbeitung des Gesetzes sei „vom Ampel-Aktivismus“ getrieben worden. Eine Reihe rechtlicher Fragen bleibt offen. Der Schutz besonders gefährdeter Gruppen habe oberste Priorität, „aber diese Zwangsimpfung verhindert keine Ansteckung, sondern kann den Personalmangel weiter verschärfen“, sagte Bartsch.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sieht in der Debatte ein schlechtes Omen für die mögliche generelle Impfpflicht. Wie die Meinungsbildung im Bundestag abläuft, wagt er nicht abschließend zu beantworten. „Aber eines steht fest: Wenn es nicht gelingt, einrichtungsbezogene Impfpflichten sinnvoll in Gang zu bringen, dann sehe ich wenig Chancen für allgemeine Impfpflichten“, sagte Haseloff der Deutschen Presse-Agentur.
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