„Die Bundesregierung muss erkennen, dass die einrichtungsbedingte Impfpflicht derzeit kaum umsetzbar ist“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, der „Bild“-Zeitung. Bereits am frühen Abend hatte CDU-Chef Friedrich Merz deutschlandweit die Suspendierung gefordert.
Merz warf der Bundesregierung vor, Institutionen und Mitarbeiter mit den Folgen dieser Impfpflicht allein zu lassen. Die CDU stimmte damals zu, allerdings unter der Annahme, dass die Probleme gelöst werden könnten. Sorge forderte: „Die Aussetzung soll bundesweit gelten, bis zentrale rechtliche und praktische Fragen geklärt sind.“ Die Regierung muss unter anderem die Frage klären, wie mit Personal umzugehen ist, das Institutionen als unverzichtbar erachten. „Heute sieht es nicht so aus, als würde die Ampel rechtzeitig zum 16. März gelingen.“
Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder hatte zuvor angekündigt, die Maßnahme in Bayern bis auf Weiteres nicht umzusetzen. Das sorgte bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und anderen Vertretern der Ampelkoalition für Kritik.
FDP-Politiker sieht „PR-Trick“
Der FDP-Gesundheitspolitiker Andreas Ullmann sprach von einer „egozentrischen Verweigerung“. „Im Grunde ist es nur ein PR-Trick, der in den Medien stattfindet“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. Ullmann warf Söder vor: „Hätte ein ernsthaftes Interesse an Umsetzungsfragen bestanden, hätte er mit Bund und Ländern zusammenarbeiten können.“
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, der Schutz der Heimbewohner sei völlig aus dem Fokus geraten. „Es gibt ein Gesetz, das erlassen wurde, um diese Menschen zu schützen. Wenn es wegen fehlender Kontrollen nicht umgesetzt wird, gefährdet es Menschenleben.“
Das im Dezember von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gesetz sieht vor, dass Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken bis zum 15. März einen Impf- oder Genesungsnachweis vorlegen müssen – oder eine Bescheinigung, dass sie nicht geimpft werden können. Geschieht dies nicht, muss der Arbeitgeber das Gesundheitsamt informieren. Diese können die Beschäftigung in der Einrichtung untersagen. Auch die CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag hatten mit großer Mehrheit dafür gestimmt. Lauterbach hat klargestellt, dass das Gesetz gilt und er sich gegen eine Verschiebung ausspricht.
Virologe Streeck: Eine Impfung würde die Lage verschärfen
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel sagte dem „Spiegel“: „Wir sollten aus guten Gründen umsetzen, was wir im Dezember beschlossen haben.“ Der auch für Senioren zuständige Grünen-Politiker betonte die „Verantwortung zum Schutz älterer Menschen in der Gesellschaft“. Der Virologe Hendrik Streeck sagte hingegen der „Bild“: „Die einrichtungsbedingte Impfpflicht würde die Personalsituation in den Kliniken weiter verschärfen und damit das Gesundheitssystem weiter belasten. Es ist gut, wenn die Politik aus diesem Wissen Schlüsse zieht.“
Eine „Zeitverlängerung“ hält der Städte- und Gemeindebund in Ausnahmefällen bei der Durchführung von Teilimpfungen für sinnvoll. „Wenn die Funktionalität oder der laufende Betrieb gefährdet sind, kann es richtig sein, hier zusätzliche Spielräume zu eröffnen“, sagte Geschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es zeigten sich regionale Unterschiede, die teilweise eine „zeitgerechte Ausführung“ erschwerten. „Während soziale Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen teilweise eine Impfquote von 97 Prozent bei ihren Mitarbeitern melden, sieht das in Bayern in vielen Einrichtungen offenbar anders aus. Gleiches dürfte wohl auch für einige ostdeutsche Bundesländer gelten.“
Holetschek: „Umsetzung mit Augenmaß“
Bayerns Regierungschef Söder hatte angekündigt, es werde „großzügigste Übergangsregelungen“ geben, was „de facto zunächst auf eine Aussetzung des Vollzugs hinausläuft“. Landesgesundheitsminister Klaus Holetschek verteidigte den Schritt. Bayern setze auf eine „Umsetzung mit Augenmaß, die auch die berechtigten und wichtigen Anliegen der betroffenen Institutionen und der ohnehin schon am Limit arbeitenden Gesundheitsämter berücksichtigt“, sagte der CSU-Politiker. „Mit entsprechenden Umsetzungsfristen sorgen wir dafür, dass die Versorgungssicherheit in Krankenhäusern, Pflegeheimen und anderen Einrichtungen der Impfpflicht stets gewährleistet ist.“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow kritisierte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Sie dürfen als Ministerpräsident nicht den Eindruck erwecken, dass Sie der Bundesregierung nicht mehr treu sind. Die Lage ist bereits aufgeheizt. Dann hätte er erst einmal auf die Bremse treten sollen.“ Ramelow sagte aber auch, dass das Gesetz Widersprüche produziert, die geklärt werden müssten: „Eine generelle Impfpflicht wäre übrigens von vornherein besser gewesen.“
Mecklenburg-Vorpommern will die einrichtungsbezogene Impfpflicht zügig umsetzen, erwartet aber noch Klarstellungen vom Bund. Der Gesetzgeber habe eine Reihe von Fragen noch nicht beantwortet, hieß es am Montag aus dem Sozialministerium in Schwerin. Dazu gehörten beispielsweise die Beweis- und Ausnahmeprüfung, die rechtssichere Arbeitgeberbeteiligung, die Art der Sanktionen und die Frage nach einheitlichen Kontrollen. Die Kommunen benötigten Vorlaufzeit und Umsetzungszeit.
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