Wer hat es erfunden? Es könnten die Ägypter oder Weisen in Mesopotamien gewesen sein. Der früheste Beweis für Glas ist auf einer Tontafel aus der Regierungszeit des assyrischen Königs Ashurbanipal im 7. Jahrhundert v. Chr. Überliefert. Ein Schreiber schrieb in Keilschrift: „Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Algenasche und 5 Teile Kreide – und du hast Glas.“
Das gelte im Prinzip auch heute noch, erklärt Lothar Wondraczek. Er ist Professor für Glaschemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und deutscher Vertreter im internationalen Lenkungsausschuss für das am 10. Februar beginnende UN-Jahr des Glases. Auch nach vier Jahrtausenden sind die wichtigsten Zutaten für die Glasherstellung: Quarzsand, Soda als Flussmittel, das niedrigere Schmelztemperaturen ermöglicht, und gebrannter Kalk für die Festigkeit. Die Art der Produktion blieb im Wesentlichen gleich. Wird es auf 1500 Grad erhitzt, verflüssigt sich das Stoffgemisch, wie der Experte erklärt. Wenn es abkühlt, verwandelt es sich in das transparente Material.
Glas verhält sich wie eine extrem viskose Flüssigkeit
Ein schneller Temperaturabfall ist entscheidend. Während der Quarzsand aus Kristallen besteht, hat Glas eine sogenannte amorphe Struktur. „Die Atome schaffen es nicht, regelmäßige Strukturen zu bilden“, erklärt Wondraczek. Am Ende verhält sich Glas wie eine extrem zähflüssige Flüssigkeit.
Das sorgt für Eigenschaften, die Glas unverwechselbar machen. Die Faszination des Materials fasste der Mainzer Benediktinerabt und Erzbischof Hrabanus Maurus (780 bis 856) in den schönen Worten zusammen: „Es heißt Glas, weil seine Klarheit Einblicke gewährt“, es ist „geschlossen und doch offen, sozusagen.“
Glas ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und in vielen Dingen unersetzlich. Fenster bringen Tageslicht in jeden Raum, dienen als Stauraum, werden in Autos eingebaut und haben optische Errungenschaften wie Brillen, Mikroskope oder Teleskope überhaupt erst möglich gemacht. Darüber hinaus verschönert Glaskunst die Welt. Glas ist ohne Übertreibung allgegenwärtig. Dennoch ist es aus Wondraczeks Sicht eines der am meisten unterschätzten Materialien überhaupt.
Gelöstes Gold für Rubinfarbe
Seine Liste eher weniger bekannter Anwendungsgebiete ist lang. Es beginnt mit dem Einsatz von Computertechnologie und Internettechnologie. „Ohne Glas gäbe es keine Chips oder – wie Glasfasern – kein World Wide Web“, zählt er auf. Darüber hinaus gibt es bioaktive Gläser, die langsam abgebaut werden und deren Inhaltsstoffe die Bildung von neuem Gewebe, wie zum Beispiel Knochen, unterstützen. Es gibt faltbare Glasdisplays, superkratzfeste Versionen für Mobiltelefone und vieles mehr.
Glasforschung ähnelte lange Zeit der Wissenssuche in mittelalterlichen Laboratorien. Die Alchemisten hatten zum Beispiel entdeckt, dass in Königswasser – einer starken Säuremischung – gelöstes Gold eine intensive rubinrote Farbe ergibt, wenn es dem geschmolzenen Glas zugesetzt wird. Wie ihre Vorgänger versuchen moderne Wissenschaftler, die Eigenschaften von Glas zu verändern, indem sie mehr oder weniger exotische Substanzen hinzufügen.
Dieses Vorgehen kostet nicht nur viel Zeit, Geld und Energie, sondern die Ergebnisse sind auch schwer vorhersehbar, sagt Wondraczek. Doch in den vergangenen fünf, zehn Jahren hat sich das geändert: „Mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) ist es möglich, Experimente vorhersehbarer zu machen“, sagt der Wissenschaftler.
Für die Kommunikation zwischen alter und neuer Welt
Wohin steuert die Glasforschung? Seriöse Prognosen sind schwer zu treffen. Lange Zeit konnte sich kein Wissenschaftler vorstellen, dass Glas Licht sehr effizient leitet. Glasfasertechnik spricht inzwischen eine andere Sprache – und transkontinentale Seekabel sorgen zum Beispiel für den Informationsaustausch zwischen der Alten und der Neuen Welt.
Deshalb kommt das „Internationale Jahr des Glases“ für den Forscher genau zur richtigen Zeit. Gemeinsam mit seinen Kollegen hofft er, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf eines der faszinierendsten Materialien lenken zu können. Gerade junge Menschen sollen mit vielfältigen Bildungsangeboten für Glas begeistert werden.
Optik, Photonik, Medizintechnik und Luft- und Raumfahrt, all dies zusammen mit der reichen Geschichte des Glases wird bei der Eröffnung des Internationalen Jahres am 10. Februar in Genf diskutiert. Nicht zu vergessen: Glasschmuck aus dem erst vor 100 Jahren entdeckten Grab des Pharaos Tutanchamun. Oder feines venezianisches Glas aus Murano. Einer der Höhepunkte des UN-Jahres ist eine große Glaskonferenz in Berlin, die für Juli geplant ist. Die Graduierung findet im Dezember in Japan statt.