FOCUS Online: Herr Roewer, Bremen ist Vorreiter beim Impfen. Fast 86 Prozent der Bremer sind vollständig geimpft, das ist das Beste in Deutschland. Wie haben Sie das geschafft?
Lubbo Röwer: In Bremen haben sich viele Akteure zusammengeschlossen: Behörden, Wirtschaft und Hilfsorganisationen. Ich denke, das war der Schlüssel zum Erfolg, dass wir uns frühzeitig abgestimmt haben.
„Mobile Impfungen waren für uns nichts Neues“
Auch das DRK ist mit zwei Impffahrzeugen unterwegs. Welche Rolle spielt das?
Röwer: Gleich zu Beginn der Impfkampagne im März haben sich die Kolleginnen und Kollegen Gedanken gemacht: Was passiert, wenn bei einer zweiten oder dritten Impfung nicht genügend Menschen ins Zentrum kommen? So kamen wir relativ früh auf die Idee, das mobile Impfen anzubieten. Als Rotes Kreuz verfügen wir über jahrzehntelange Expertise in diesem Bereich, da wir Blutspendetermine auch unterwegs durchführen. Das war nichts Neues für uns.
Genau dieses Modell haben wir dann auf die Corona-Impfung übertragen. Der erste LKW wurde von einer Firma gespendet, der zweite LKW ist ein Blutspendefahrzeug, das zur Seite gestellt wurde. Unsere Freiwilligen haben es selbst wieder aufgebaut und die beiden LKWs waren Mitte Mai fertig.
Hat Ihnen das auch geholfen, Menschen in Stadtteilen zu erreichen, die gemeinhin als Problemviertel bezeichnet werden?
Röwer: Ich stimme zu. Aufgrund von Sprachbarrieren wussten einige nicht, dass man sich gegen Corona impfen lassen kann oder wo die Messehallen in Bremen sind und wie man dorthin kommt. Für diese Menschen war der Weg zur Impfung viel länger.
Besonders wichtig waren die Verbindungen zu den ortskundigen Bezirksleitern in Bremen. Sie stehen in Kontakt mit Kirchengemeinden, Sport- und Heimatvereinen oder den Vereinen ausländischer Mitbürger. Und so konnten wir die Leute schon im Vorfeld ansprechen, auch während der Tests, wenn es keine Impfungen gab. Wir haben die notwendigen Informationen mit Dolmetschern in der Muttersprache erklärt und Flyer in mehreren Sprachen veröffentlicht, um die häufig auftretenden Fragen zu beantworten.
Bremens Impferfolg: 5000 Kilometer per Lkw durch die Stadt – und ihre Problemzonen
Wie war die Resonanz auf die mobile Impfung?
Röwer: Bei der ersten mobilen Impfung am 10. Mai im Lichthaus in Gröpelingen – wir haben uns gezielt einen Stadtteil ausgesucht, der als Problembezirk gilt – wurden die Einladungen über die Quartiersmanager und die Kitas verteilt. Wir hatten 200 Leute erwartet und plötzlich standen 500 vor der Tür. Es hat sich herumgesprochen, dass man sich dort einfach impfen lassen kann. In anderen Stadtteilen war es ähnlich.
Am 30. Juni kamen die Lastwagen hinzu, um noch näher an den Menschen zu sein. Vor der Grohner Dühne, die als Problemzone in Bremen präsentiert wird, parkten wir zunächst nur einen LKW, weil wir nicht mit einem so großen Ansturm gerechnet hatten. Im Laufe des Tages haben wir dann den zweiten LKW hereingebracht.
Dort wurden unsere Mitarbeiter auch von Skeptikern angesprochen, wie es funktioniert. Viele konnten überzeugt werden. Und wenn man so eine Linie sieht, multikulturell und mit allen Altersgruppen, da wollen bestimmt auch andere dabei sein. Ich sah auch einen Imam, der dort mit seinem Gebetbuch in der Hand in der Schlange wartete. Da wusste ich, dass wir es geschafft haben. Denn so ein Mensch ist natürlich ein Vorbild für viele andere Kirchenmitglieder.
Das Rote Kreuz übernahm etwa 50 Prozent der Impfungen, die nicht vom Hausarzt in Bremen durchgeführt wurden. Das waren 250.000 Impfungen im Zentrum und 100.000 bei mobilen Impfungen. Der Lkw war etwa 100 Mal im Einsatz und hat 5000 Kilometer gefahren.
„Die Impfquote in Bremen ist eine Gemeinschaftsleistung“
Wie wichtig war die Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten?
Röwer: Das ist der Schlüssel zum Erfolg, rechtzeitig an die Strukturen anzudocken und die Menschen vor Ort in die entsprechenden Funktionen einzubinden. Wenn es in einem Stadtteil viele Menschen aus einer bestimmten Bevölkerungsgruppe gibt, versuchen wir unser Vorgehen entsprechend anzupassen. Manche Bezirksleiter liefen in ihrem Bezirk herum und warfen die Flyer für den Impftermin in der entsprechenden Sprache in die Briefkästen und klingelten überall. Die Impfquote in Bremen ist daher eine Gemeinschaftsleistung, die sich auch positiv auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Stadt ausgewirkt hat.
Ein Faktor war sicherlich der Name des Roten Kreuzes oder anderer Hilfsorganisationen wie Johanniter und ASB. Es ist einfach nicht der Impfwagen einer Regierungsbehörde. Das macht im Vertrauensverhältnis viel aus, denn im Umgang mit Behörden hat man schon mal die eine oder andere negative Erfahrung gemacht – sei es mit Papierkram oder einer Absage. Ich habe von vielen Menschen immer wieder gehört, dass sie zum „DRK-Impfzentrum“ gehen.
Trotz der hohen Durchimpfungsrate sind in Bremen noch knapp 80.000 Menschen ungeimpft. Wie können sie erreicht werden?
Röwer: Impfen Sie, machen Sie den Leuten Angebote und versuchen Sie herauszufinden, wie Sie an diese Leute kommen. Es wird eine bestimmte Anzahl von Menschen geben, die Sie niemals erreichen werden. Aber es gibt immer noch Menschen, die überraschenderweise nicht erkannt haben, wie gefährlich Corona ist, oder denen es gleichgültig ist.
Eine ältere Dame hat sich kürzlich impfen lassen. Auf die Frage des Arztes, warum sie das mache, antwortete sie, „weil sie mit der Familie zum Grünkohlessen eingeladen war und ohne Impfung nicht kommen sollte“. Das war ihre Motivation für die erste Impfung. Erstaunlich ist noch, dass etwa fünf Prozent der Menschen, die jetzt kommen, eine Erstimpfung bekommen. Dabei spielen oft weniger die ernsten Fragen eine Rolle, sondern eher kleine Aspekte. Außerdem benötigen Impfungen keinen Termin mehr, sodass jeder sofort entscheiden kann. Ab Montag sind die LKWs wieder unterwegs, die stationäre mobile Impfung findet seit Freitag wieder statt.
Wie wirkt sich die omicron-Variante auf die Impfkampagne aus?
Röwer: Wir müssen jetzt noch genauer werden, wenn wir unsere Mitarbeiter testen. Denn wenn sie ausfallen, können weniger Impfungen stattfinden. Ich mache jetzt jeden Tag einen Selbsttest, um das Risiko zu minimieren. Das kann jeder selbst ausprobieren. Aber es gibt auch einige Anregungen, um das mobile Impfen noch effektiver zu machen. Zum Beispiel mit Impfbussen durch die Stadtteile fahren, wie es früher die Stadtbüchereien taten – mit echten Haltestellen und festen Routen. Sogar jemand, der nur Informationen haben möchte, könnte dann dorthin gelangen. Man könnte auch über ein rollierendes System nachdenken, wie bei der Blutspende, und stationäre mobile Impfungen an verschiedenen Standorten anbieten.
Was kann der Rest des Landes von Bremen lernen?
Röwer: Zum einen der Vorbildcharakter der Menschen, die in den Stadtteilen und Quartieren sind und auf ihre Mitmenschen zugehen. Andererseits, um die Menschen zu ermutigen, ihre persönlichen Kontakte zu nutzen und sie zum Impfen zu bewegen.