Manche Menschen haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie am Berliner Flughafen BER für ein Flugzeug nach Köln/Bonn einchecken. Der Flug belastet das Klima, besonders wenn viele Menschen so reisen. Aber die Alternative mit dem Zug ist extrem mühsam.
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Anders sähe es aus, wenn es „grüne“ Flugzeuge gäbe. Flugzeuge mit klimafreundlichem Antrieb sind derzeit noch ein Traum – der aber schon bald wahr werden könnte. Zahlreiche Ingenieure entwickeln Technologien für das batterieelektrische Fliegen, denn hier entstehen neue Märkte.
Kurzflüge in Norwegen bis 2040 rein elektrisch
Norwegen will bis 2040 alle Flüge bis 1,5 Stunden elektrisch fahren; Auch Schweden und Finnland haben große Ambitionen für diese Technologie. So arbeitet etwa Heart Aerospace aus Göteborg an einem vollelektrischen 19-Sitzer mit einer Reichweite von bis zu 400 Kilometern, der 2026 in Betrieb gehen soll.
Das reicht für die meisten Strecken, die im dünn besiedelten, teilweise von Fjorden zerklüfteten Skandinavien zu bewältigen sind. E-Flugzeuge können dort zu einer klimafreundlichen Mobilität beitragen, sowohl für Passagiere als auch für Fracht. Ob die Kurzstreckenfliegerei – auch wenn sie elektrisch betrieben wird – in Mitteleuropa mit einem dichten Schienennetz noch als nachhaltig angesehen werden kann, ist eine andere Frage.
Aus globaler Sicht scheint der Bedarf jedoch groß. Die Luftfahrtindustrie fördert das batterieelektrische Fliegen neben anderen Alternativen wie synthetischen Kraftstoffen, Brennstoffzellentechnologie und Hybridantrieben. In Deutschland wurde die institutionelle Forschung dazu kürzlich in Cottbus gebündelt.
Dort wurde im Juni 2020 das Institut für Elektrifizierte Luftfahrtantriebe gegründet. Es gehört zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und wird eng mit der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) zusammenarbeiten. Der Standort im Fernen Osten – Cottbus hat nicht einmal einen ICE-Anschluss – hängt mit dem Kohleausstieg zusammen und der Hoffnung, dass neue Forschungsinstitute der seit Jahrzehnten von Umbrüchen gebeutelten Lausitz zum Aufschwung verhelfen.
Grundlegende Änderungen für E-Flugzeuge erforderlich
Noch befindet sich das Institut in Cottbus im Aufbau: Aktuell sind es 22 Mitarbeiter, in vier Jahren sollen es 150 sein. Dann sollen auch noch eigene Gebäude und vier große Prüfstände hinzukommen, um die Entwicklungen zu testen. „Wir wollen die Umsetzung neuer Technologien in die Praxis erleichtern und Behörden dabei unterstützen, neue Regeln für die Zertifizierung zu etablieren“, sagt Lars Enghardt, kommissarischer Leiter des Instituts. Um elektrisch zu fliegen, sind grundlegende Änderungen in Konstruktion, Antrieb und Steuerung notwendig – auch das ist Neuland für die Zulassungsbehörden.
Der Forscher erklärt, warum E-Flugzeuge anders aussehen als die bekannten: Niedrige Geschwindigkeiten sind für Flugzeuge kritisch, weil der Auftrieb geringer ist. Die Landung ist entsprechend schwierig. Abhilfe schaffen ausfahrbare Landeklappen, die die Wölbung der Tragflächen und damit den Auftrieb erhöhen. Und der Treibstoffverbrauch – herkömmliche Flugzeuge sind bei der Landung viel leichter als beim Start (daher die Notwendigkeit, bei frühen Landungen Treibstoff abzulassen).
„Ein batterieelektrisches Flugzeug hingegen startet und landet mit dem gleichen Gewicht, braucht also ein anderes Design, um auch bei niedrigen Geschwindigkeiten stabil zu bleiben“, sagt Enghardt. „Dies kann mit größeren und stärker gekrümmten Flügeln erreicht werden.“
Gut möglich, dass die Transformation weitergeht. Statt wie heute üblich zwei Strahltriebwerke könnten es vier, sechs, acht oder zehn Propeller sein. Denn die Antriebe sind viel einfacher. Es braucht kein kompliziertes Aggregat mit versetzt angeordneten Turbinenrädern, Kompressoren und einer Brennkammer, sondern kaum mehr als einen Elektromotor, der einen Propeller antreibt.
„Mit einer größeren Anzahl an Antrieben könnten Vortrieb und Langsamflug verbessert werden“, sagt der Forscher. „Es gibt sogar Überlegungen, die Maschine gleichzeitig durch Variieren der Drehzahlen zu steuern.“
Gewitter könnten für Elektronik gefährlich werden
Regelungstechnik ist laut Enghardt eines der großen Forschungsthemen am Institut. Trotz der Vorteile, die ein komplexes Antriebssystem verspricht, darf es nicht zu einer Mehrbelastung der Piloten führen. Es geht auch um technische Sicherheit: Was passiert, wenn ein Blitz in das Flugzeug einschlägt? Das passiert öfter als man denkt, sagt der Ingenieur und wirft mit dem E-Flugzeug einige Fragen auf. Schließlich steckt viel mehr Elektronik in den Maschinen.
Generell gilt es zu klären, wie die Komponenten – Stromleitungen, Kabel für Steuersignale, Elektromotoren, Schalter und Platinen – zuverlässig zusammenarbeiten. Nicht nur am Boden, sondern auch in der Höhe, wo es bis zu minus 60 Grad kalt werden kann, der Luftdruck niedrig ist und die kosmische Strahlung mit hochenergetischen Teilchen die Systeme strapaziert.
Dafür stehen verschiedene Prüfstände zur Verfügung, die beispielsweise elektromagnetische Felder erzeugen oder einen kompletten Antriebsstrang mit Bedingungen konfrontieren, die in zwölf Kilometern Höhe herrschen.
Aber die beste Elektronik und die besten Motoren nützen nichts, wenn die Batterien zu wenig leisten. Das ist immer noch die Schwachstelle von E-Flugzeugen. Die Energiedichte der Batterien ist um ein Vielfaches geringer als die von Kerosin. Entsprechend groß und schwer wären die Akkupacks, wollte man ein Großraumflugzeug antreiben.
Ein Forschungsteam um Venkatasubramanian Viswanathan von der Carnegie Mellon University Pittsburgh rechnet in einem aktuellen Übersichtsartikel zum batterieelektrischen Fliegen im Fachjournal „Nature“ vor, dass zum Abheben so viel Energie benötigt würde wie 30.000-Tesla-Autos. Damit wird deutlich, dass die Technologie zunächst nur für kleine Flugzeuge geeignet ist. Gut hundert Unternehmen haben laut „Nature“-Analyse angekündigt, an 1- bis 7-Sitzern für die urbane Mobilität zu arbeiten.
Gewöhnliche Lithium-Ionen-Akkus können Feuer fangen
Nur wenige trauen sich, größere Passagierzahlen aufzunehmen. Zumal die Technik extrem zuverlässig sein muss. Die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalls dürfe bei einem Zweisitzer eins zu einer Million Flugstunden nicht überschreiten, bei einem Verkehrsflugzeug seien die Anforderungen tausendmal strenger, schreibt das Team von Viswanathan.
Die Probleme mit gewöhnlichen Li-Ionen-Akkus, die Feuer fangen können, sind bekannt. Es gibt also noch viel zu tun für die Forschung. Dennoch schätzen die Autoren, dass es bis 2030 möglich sein könnte, zuverlässige und sichere Batterien zu haben, die mit 600 Wh/kg eine etwa dreimal höhere Energiedichte haben als aktuelle Modelle.
„Nur das Strahlgeräusch der Turbine wird eliminiert“, sagt Lars Enghardt, der seit langem an einem anderen DLR-Institut in Berlin zur Triebwerksakustik forscht. Er schätzt, dass 80 bis 90 Prozent des Fluglärms zurückgehalten werden.
Auch hier gibt es viel Forschungspotenzial, denn das Geräusch wird von vielen Dingen beeinflusst: der Anzahl der Propeller und damit wiederum der Blätter, der Geschwindigkeit und auch deren Unterschieden. „Das kennt man von einer Drohne, bei der sich die Rotoren unterschiedlich schnell drehen, was ein störendes Geräusch erzeugt.“
Und hier wird es für die Forschung besonders knifflig, denn „gemessener Schallpegel“ und „gehörte Belästigung“ können sehr unterschiedlich ausfallen. Wie das ausgeht, wird man wohl in ein paar Jahren bei den ersten Linienflügen sehen und hören können.