Vor der ersten Reise einer Frau zum Mond – Wissen

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Vor der ersten Reise einer Frau zum Mond – Wissen

Helgas Organe sind mit mehr als 5000 winzigen Kristallen bedeckt, ein außergewöhnliches Phänomen. Kein Wunder, soll Helga doch in wenigen Monaten zum Mond aufbrechen – mit dem ersten Testflug des US-Neumondprogramms namens Artemis. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa will Menschen zurück zum Mond bringen. Eine Umrundung ist zunächst für den Sommer 2023 geplant. Ende 2025, so der ehrgeizige Plan, sollen die erste Frau und der erste nicht-weiße Mensch ihre Spuren im Mondstaub hinterlassen. Die Missionen dauern jeweils viele Wochen. An Bord einer geplanten Raumstation im Mondorbit, Tor hieß es, Astronauten sollten sogar drei Monate durchhalten. Sollte es schließlich zum Mars gehen, dauert allein die Hin- und Rückreise drei Jahre.

Doch wer glaubt, Helga sei aus Fleisch und Blut und Deutschland habe endlich seine erste Astronautin gefunden, wird enttäuscht: Helga ist ein lebensgroßer Plastiktorso. Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wollen mit Helgas Hilfe erstmals die Strahlenbelastung des weiblichen Körpers mit all seinen Knochen und Organen während eines Fluges zum Mond bestimmen.

Bis heute hat die Bundesrepublik keine Frau ins All geschickt

24 Personen haben bisher die Strapazen eines Mondfluges auf sich genommen, allesamt Männer. Auch die Flugzeiten Apollo-Missionen, die zwischen 1968 und 1972 zum Mond führten, wurden eher kurz gehalten. Keine Besatzung hatte die Erde länger als zwölfeinhalb Tage verlassen. Mitte der 1980er Jahre waren die Deutschen aber schon weiter. Damals hatte die westdeutsche Raumfahrtagentur zwei Astronauten für Flüge ausgewählt, sie aber letztendlich nicht starten lassen. Bis heute hat die Bundesrepublik daher keine Frau ins All gebracht.

Auch für frühere Experimente, zum Beispiel auf der ISS, verwendete das DLR stets männliche Phantome. Allerdings unterscheidet sich die Strahlengefährdung für Frauen deutlich, ebenso die Grenzwerte, die die Nasa für die Belastung ihrer Astronautinnen festlegt ISS unterscheiden sich von männlichen Kollegen: „Frauen haben aufgrund ihrer höheren Brust- und Lungenkrebsinzidenz ein höheres Risiko für Brust- und Lungenkrebs“, sagt Thomas Berger, Leiter der Arbeitsgruppe Biophysik am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. „Deshalb haben wir jetzt weibliche Phantome ausgewählt.“

Also jetzt Helga.

Sie bereitet sich auf den Start in Köln vor. Berger und sein Team bestellten sie aus den USA. Der Torso wurde in Form von 38 Scheiben geliefert. Jedes besteht aus Kunststoff, aber seine Dichte variiert stark innerhalb der Scheiben. Damit lassen sich Organe und Knochen simulieren. Die menschliche Lunge, so Berger, sei zum Beispiel viel weniger kompakt als andere Teile des Körpers. Daher ist dort die Dichte des Kunststoffs deutlich geringer.

Alle drei Zentimeter sind bei Helga winzige Vertiefungen im Kunststoff. 5.600 Kristalle platzierten die DLR-Experten dort mit einer Pinzette, jeder einzelne musste dokumentiert werden. Die Kristalle schlucken die Strahlung, die beim bevorstehenden Flug auftrifft. Werden sie später erhitzt, geben sie entsprechend der Strahlungsmenge Licht ab. Damit können die Forscher genau bestimmen, wie viel Strahlung jeder Punkt des Körpers – und damit jedes Organ – abbekommen hat. Hinzu kommen 16 aktive Sensoren, die alle fünf Minuten die aktuelle Strahlenbelastung ermitteln: in Lunge, Magen, Knochenmark und Gebärmutter.

Im Vordergrund Helga, dahinter Zohar mit Schutzweste.

(Foto: DLR)

Denn wer in ein solches Raumschiff steigt, egal ob zum Mond oder zum Mars, muss sich auf einiges einstellen. Die sogenannte galaktische kosmische Strahlung regnet ständig auf Astronauten nieder. Ihre geladenen Teilchen – vom Wasserstoffkern bis zum schweren Eisenion – sind so etwas wie der Strahlungshintergrund der Galaxie, verursacht durch explodierende Sterne. Treffen diese Partikel auf menschliches Gewebe, kann es gefährlich werden. „Um es ganz klar zu sagen: Je höher die Strahlendosis durch galaktisch-kosmische Strahlung ist, desto größer kann das Krebsrisiko sein“, sagt Thomas Berger.

Es gibt auch Sonnenstürme: Von Zeit zu Zeit schleudert die Sonne enorme Mengen hochenergetischer Teilchen ins All. Treffen sie auf den menschlichen Körper, kann dies zu einer akuten Strahlenkrankheit führen. Thomas Berger vergleicht die Wirkung mit übermäßigem Sonnenbaden: „Ab einer gewissen Dosis bekommt man auch dort einen Sonnenbrand.“ Nur die Folgen der Strahlenkrankheit sind schlimmer: Haare fallen aus, es kommt zu Übelkeit und Erbrechen, im schlimmsten Fall sogar zum Tod.

Auf der Erde mit ihrer schützenden Atmosphäre ist das alles kein großes Problem. Nicht einmal im erdnahen Orbit, wo die Internationale Raumstation steht ISS macht ihre Runden. Hier schirmt das Erdmagnetfeld einen großen Teil der Strahlung ab. Anders sieht es in den Tiefen des Weltalls aus. Laut NASA ist die Strahlenbelastung dort bis zu 150-mal höher als auf der Erde. Das damit verbundene Risiko gilt als entscheidender und möglicherweise limitierender Faktor für Reisen zum Mond und darüber hinaus.

Helga ist nicht allein auf dem bevorstehenden Artemis-Testflug, der im Juni ohne Menschen an Bord starten soll. Zohar fliegt mit, eine baugleiche Attrappe, die ebenfalls 95 Zentimeter groß ist. Berger und sein Team steckten die beiden sogar in einen Computertomographen, um sicherzustellen, dass sich alle Plastikorgane an denselben Stellen befanden. Einziger Unterschied: Zohar trägt eine Strahlenschutzweste, die Israel in das gemeinsame Projekt einbringt.

Helga fliegt ungeschützt, während Zohar ihre Sensoren unter der Weste verstecken kann

Die Weste, die sowohl die Gebärmutter als auch den Oberkörper bedecken soll, besteht aus Polyethylen, einem hochdichten Kunststoff. In vier bis acht Zentimeter breiten Sechsecken angeordnet, soll sich das Material wie Schuppen an den Körper anpassen und die Strahlung möglichst dicht abschirmen. Die Weste, getauft Astrorad, ist kein Leichtgewicht. Am Boden wiegt sie 26 Kilogramm, sollte aber ohnehin nur in Schwerelosigkeit angelegt werden. Astronautinnen testen, wie gut es passt und wie angenehm es zu tragen ist ISS.

Eine solche Weste könnte bei Mondflügen nützlich sein, insbesondere bei gefährlichen Sonnenstürmen und wegen der Gefahr der Strahlenkrankheit. Orion, die neue US-Mondkapsel, hat für solche Fälle erstmals eine Art Strahlenschutzbunker: Die Besatzung kann unter den Boden des Raumschiffs kriechen und sich mit Säcken voller Wasser oder Nahrung abschirmen. Sonnenstürme können jedoch mehrere Tage andauern. Müssen die Astronauten ihren improvisierten Bunker beispielsweise für Steuermanöver verlassen, könnte eine Weste helfen.

Um deren Abschirmwirkung im Detail zu verstehen, fliegt Helga ungeschützt, während Zohar ihre Sensoren unter ihrer Weste verstecken kann. Potenziell tödliche Sonnenstürme werden jedoch nicht auf Bestellung gefertigt. Ob während des bis zu 42 Tage dauernden Artemis-Fluges jemand wüten wird, ist offen. Schließlich war die Sonne in den vergangenen Monaten recht aktiv. „Die Wahrscheinlichkeit eines Sonnensturms ist also gar nicht so groß“, sagt Thomas Berger. „Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn etwas passiert.“