Wenn die Corona-Forschung irreführend ist

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Wenn die Corona-Forschung irreführend ist


Sensible Themen: Kinderstudien zu den Folgen von Covid-19 sollten besonders streng geprüft und sorgfältig kommuniziert werden. Einige der jüngsten Veröffentlichungen haben jedoch mehr Fragen als Antworten geliefert.
Bild: Imago

Was wir über Corona wissen, wissen wir größtenteils von Forschern. Einiges davon führt jedoch auch auf die falsche Fährte. Über hinterhältige Studien, krasse Unsicherheiten und Lücken in der Fehlerkultur.

Lockdowns sind für Verlierer.“ Der US-Ökonom und ehemalige Präsidentenberater von Ronald Reagan, Steve H. Hanke, hat vor wenigen Tagen mit dem frechen Twitter-Slogan für eine eigene Studie geworben, die offenbar nichts weniger erreichen sollte, als die Corona zu erschüttern Politik weltweit. Viele waren sich unsicher, viele plapperten ihm einfach nach. Zunächst in den „Querdenker“-Blasen der Online-Plattformen und gleich danach in den Echokammern mancher großer Medienhäuser, denen Hankes pandemiepolitische Generalabrechnung perfekt in den Kram passte. Lockdowns hätten „kaum Leben gerettet“, oder so ähnlich wurde Hankes Studie reihenweise zitiert. Tatsächlich enthält das 61-seitige Dokument neben Hanke zwei weitere angesehene Autoren auf ihrem Gebiet: den emeritierten schwedischen Wirtschaftsprofessor Lars Jonung aus Lund und Jonas Herby aus Kopenhagen, Rechtsberater bei der dänischen Denkfabrik CEPOS, die wie Steve Hankes wissenschaftlich geführtes Cato Institute steht für radikalen Marktliberalismus.

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Doch weniger als die akademische Adresse, unter der Hankes Lockdown-Studie veröffentlicht wurde, flößte seinen Lesern viel Respekt ein: Johns Hopkins University, Baltimore, Maryland – eine der etabliertesten akademischen Hochburgen an der amerikanischen Ostküste. Hanke lehrt und forscht hier. Das Dokument, das zwei der anspruchsvollsten wissenschaftlichen Labels für sich in Anspruch nimmt, erschien ohne jede wissenschaftliche Bewertung auf dem hauseigenen Uni-Server: Systematisches Review und Meta-Analyse. Bereits die ersten ausführlicheren Expertenkommentare auf Twitter zeigten, dass diese Studie nicht genau das ist: eine systematische, logisch nachvollziehbare und statistisch belastbare Studie, die methodisch versucht herauszufinden, wie viele Covid-19-Opfer an den Folgen des ersten Lockdowns in Europa gestorben sind und die USA wurden eigentlich verhindert. Fast ironisch kommentierte Neil Ferguson, Direktor am Imperial College London und einer der erfahrensten Corona-Epidemiologen, den Versuch der drei Ökonomen, die schier unüberschaubare Studiensituation zu lösen. „Dieser Bericht bringt unser Verständnis nicht wesentlich voran, wenn wir verstehen wollen, wie effektiv die völlig unterschiedlichen Maßnahmen in verschiedenen Ländern bei der Eindämmung der Ausbreitung von Covid-19 waren.“