WIARDA will es wissen: Ein mutiger Mittelweg für Bildung – Wissen

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Es gibt zwei gesellschaftliche Strategien, Kitas, Schulen und Universitäten so zu finanzieren, dass insgesamt ein starkes Bildungssystem entsteht.

Strategie 1: Der Staat investiert selbst genug und stellt so sicher, dass seine Bildungsangebote qualitativ hochwertig und für alle kostenlos sind. Das ist der skandinavische Weg. Mit dem Ergebnis, dass Norwegen 2017 6,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in seine Bildungseinrichtungen steckte, Schweden 5,5 Prozent und Dänemark 5,2 Prozent.

Wenig plus sehr wenig ist nicht gleich viel

Strategie 2: Der Staat investiert selbst wenig, schafft aber ein Bildungssystem, in dem private Spender die Lücken füllen. Das führt zu einem Nebeneinander von herausragenden und mittelmäßigen bis deutlich unterfinanzierten Bildungseinrichtungen – und zu sozial abgefederten, mal besser, mal schlechteren Bildungsgebühren. Es ist der britisch-amerikanische Weg: In Großbritannien beispielsweise gab der Staat laut OECD 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab, Privatpersonen weitere 2,1 Prozent. Macht insgesamt 6,3 Prozent der Wirtschaftsleistung aus.

Und dann ist da noch der Weg, den Deutschland geht: Der Staat gibt extrem wenig für Bildung aus – 3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Und die Privatwirtschaft fügt wenig hinzu: 0,6 Prozent. Die Folge: ein Bildungssystem, das im Vergleich zu Ländern mit inklusiveren Kitas, Schulen und Universitäten, die flächendeckend besser finanziert sind, international kaum konkurrenzfähig ist. Und in Richtung Länder, in denen es ebenso unterfinanzierte Bildungseinrichtungen gibt, aber auch Schulen und Universitäten, die in Sachen Ausstattung und Leistung international an der Spitze stehen.

Das klingt nach der denkbar schlechtesten Bildungswelt für ein wohlhabendes Industrieland. Die Bildungsstatistik scheint dies zu bestätigen: Die Lesekompetenz deutscher Neuntklässler hängt stärker von ihrer sozialen Herkunft ab als in Norwegen, Dänemark oder Schweden – aber auch mehr als in Großbritannien und den USA.

Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Geschehnisse an Schulen und Universitäten.Foto: Privat

Das hat Pisa 2018 gezeigt. Trotz fehlender Studiengebühren ist der Zugang zur Hochschulbildung in Deutschland noch immer äußerst ungleich: 27 von 100 Nicht-Akademikerkindern studieren, und 79 von 100 Kindern, deren Eltern studiert haben, würden Vergleichszahlen vergleichen bekannt sein – beschämend.

Die versprochene Bildungsförderung läuft grün an der Ampel

Deutschland steckt lange zwischen den Systemen fest. Auf dem Bildungsgipfel 2008 haben sich Bund und Länder verpflichtet, die Bildungsfinanzierung nachhaltig zu verbessern. Aber sie waren es schuldig. Andere Politikbereiche waren schon immer wichtiger bei der Geldverteilung. Nun, obwohl die öffentlichen Haushalte durch das Corona-Gesetz bedroht sind, Ampelpolitiker stellen massiv Hochschulausgaben ins Schaufenster.

Aber selbst wenn es am Ende wirklich sechs oder acht Milliarden mehr pro Jahr sind: Der Abstand zu Dänemark beläuft sich auf mindestens 38 Milliarden Euro (= ein Prozent der Wirtschaftsleistung) pro Jahr. Nach Großbritannien sind es 76 Milliarden. Nach Norwegen… oh, lass uns aufhören.

Eine mögliche Lösung des Problems würde viel Mut erfordern. So könnte es aussehen: Wie versprochen investiert der Staat mehr Geld in Schulen und Kitas. Und wenn es die Betreuungsverhältnisse und die Qualität zulassen, werden auch die restlichen Kita-Gebühren für wohlhabendere Familien abgeschafft. Aber nur dann.

Gebührenschulden ohne Schuldenfalle

An den Universitäten wäre noch mehr Chuzpe nötig. Die Politik sollte ihnen erlauben, wieder Studiengebühren zu erheben. Anders als bisher sollen diese aber erst nach Abschluss fällig werden – und bis dahin unverzinst. Dann sollen nur Absolventen zahlen, die ein relativ hohes Einkommen erzielt haben. Nein, das ist nicht das skandinavische Modell. Aber auch nicht die Briten. Ich habe jedenfalls am wenigsten Verständnis, wenn sich Politiker rhetorisch an skandinavische Bildungsideale anlehnen, tatsächlich aber bereit sind, noch weniger Geld auszugeben als Großbritannien – und dann auch jede Debatte über private Bildungsfinanzierung scheuen.

Zum Schluss eine Ermutigung: In einer aktuellen repräsentativen Umfrage des ifo Instituts gaben gut 62 Prozent der Erwachsenen an, solche nachträglichen Studiengebühren zu unterstützen.