Wissen für Aktien: Die TU Darmstadt will Start-up-Investor werden

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Das Höchste Innovations- und Gründerzentrum und die TU Darmstadt haben Patente gegen Anteile an einem Cleantech-Start-up getauscht. Das Modell soll Schule machen.

Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider, Vizepräsident der TU Darmstadt für Transfer und Internationalisierung (l.) und Harald Holzer, Leiter Forschungstransfer und Geschäftsführer Höchstes Innovations- und Gründerzentrum
Axel Gross/ Großaufnahmen

Die Idee des Darmstädter Cleantech-Unternehmens Focused Energy ist groß, sehr groß. Sie will durch Fusionsenergie die Energiegewinnung einfacher, effizienter und klimafreundlicher machen. Es basiert auf einem Hochleistungslaser, der auf ein mit Wasserstoff gefülltes Ziel schießt. Dabei kommt es zu einer sehr verkürzten Fusionsreaktion, die ein Vielfaches der eingesetzten Energie freisetzt. Energie, die als erneuerbarer und CO2-freier Strom zur Versorgung von Städten genutzt werden kann. Soweit die Theorie, die unter anderem bereits das Ergebnis langjähriger intensiver Forschung an der TU Darmstadt ist.

Hochschul-Startups geraten zunächst oft in eine Kostenfalle

Für die praktische Umsetzung, die unter anderem den Bau eines Fusionsreaktors erfordert, benötigt das Unternehmen neunstellige Mittel und zehn bis fünfzehn Jahre. Das verkaufsfähige Produkt liegt also in ferner Zukunft – und damit das Umsatzpotenzial des Unternehmens.

Eine große Anfangshürde hat das Cleantech-Startup nun aber genommen: Es hat sich geistiges Eigentum (IP) für wichtige Forschungsergebnisse und Patente gesichert. Und das alles, ohne Geld aufbringen zu müssen, das das Startup in seiner jetzigen Phase nicht verdient. Stattdessen verkaufte Focused Energy Unternehmensanteile an die Technische Universität Darmstadt.

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„IP for Shares“ heißt das relativ unkomplizierte Beteiligungsmodell zur Übertragung von IP-Rechten, das die TU Darmstadt mit ihrem Innovationsforschungs- und Gründerzentrum Highest entwickelt und nun erstmals in die Praxis umgesetzt hat Fokussierte Energie. Bisher mussten Gründer geistiges Eigentum, kurz IP, das an einer Universität im Rahmen von Forschungsprojekten oder Doktorarbeiten an einer Universität für viel Geld entstanden ist, kaufen, wenn sie darauf ein Start-up aufbauen wollten. Alternativ könnten sie auch eine zeitlich begrenzte Lizenz für Patente erwerben. Das kostet aber auch. So sehr, dass es manchmal ein Hindernis war und Unternehmen nicht einmal gegründet wurden.

Universität als VC?

Jetzt sagt die TU Darmstadt: Wir wollen kein Geld von euch, sondern Aktien, virtuell oder real. Klingt, als würden Universitäten ins VC-Geschäft einsteigen? „Nein“, stellt Harald Holzer, Leiter Forschungstransfer und Geschäftsführer von Highest, dem Innovations- und Gründerzentrum der TU Darmstadt, im Gespräch mit Gründerszene klar. „Wir sind kein Risikokapitalgeber. Schließlich geht es uns nicht darum, das Maximum aus den IPs herauszuholen, sondern darum, unseren Startups und Spin-offs ideale Rahmenbedingungen für eine Ausgründung zu bieten : „Investoren legen großen Wert darauf, dass die IPs in einer späteren Phase nicht woanders liegen. Sie wollen wirklich, dass Patente im Unternehmen sind.“

Jens Schneider, Vizepräsident der TU Darmstadt für Transfer und Internationalisierung, ergänzt: „Der VC investiert eigenes Geld in Form von Venture Capital. Als Technische Universität investieren wir in eine Idee, haben also keine ursprünglich kommerzielle Aufgabe.“

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Highest und die TU Darmstadt bieten „IP for Shares“ allen Unternehmern an, nicht nur denen, deren Projekte an der TU Darmstadt geboren werden. Die eigenen Ausgründungen sollen weiterhin zwischen Patentkauf, Lizenzmodell oder IP for Share wählen können. Harald Holzer rechnet mit einer zweistelligen Zahl an IP for Shares Deals pro Jahr. Das Interesse ist bereits groß.

Die typische Due Diligence entfällt

Tatsächlich sollte man sich den „Deal“ nicht genau wie einen zwischen Jungunternehmern und Private-Equity-Investoren vorstellen: Eine typische Due Diligence gibt es in der Regel nicht. „In einer so frühen Unternehmensphase ist es sehr schwierig, den Wert zu messen“, sagt Holzer. „Auch die IP hat nur dann einen Wert, wenn das Startup durchstartet.“ Am Ende sind sich Wissenschaftler und Erfinder in 99 Prozent der Fälle einig. „Wir sprechen hier auch von kleinen einstelligen Investitionen. Sie sind nicht unternehmerisch, aber wir teilen das unternehmerische Risiko.“

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Warum dann? Warum engagiert sich die Hochschule? „Wir versuchen, unser bereits etabliertes und bekanntes lokales Innovationsökosystem weiter zu stärken und auszubauen“, erklärt Vice President Schneider. Davon profitiert auch die Hochschule selbst. Tatsächlich steht die TU Darmstadt zuverlässig an der Spitze der Liste der deutschen Universitäten, die besonders viele Gründungen hervorbringen, insbesondere in den Bereichen Elektrotechnik, Informatik und KI. Der Drohnenhersteller Wingcopter beispielsweise kommt hierher, ebenso wie Energy Robotics (autonome Maschinen). „Natürlich haben Hochschulen ein großes Interesse daran, dass die von ihnen gegründeten Startups erfolgreich sind“, sagt Holzer. Das steigert nicht nur das Ansehen und den Einfluss der Hochschulen, sondern mobilisiert auch Forschungsgelder.

Hoffen auf den großen Abgang

Insofern gab es schon vorher vergleichbare Ansätze. Auch Hochschulen haben sich in der Vergangenheit in verschiedenen Formen an Ausgründungen beteiligt. Seit rund zehn Jahren geht das Engagement über die „Förderung“ hinaus und ist in Einzelfällen zu einer Unternehmensbeteiligung geworden, die FDas Raunhofer Institut hat das Beteiligungsverhalten deutscher Hochschulen untersucht bereits 2010, allerdings mit der Aussage, dass „die meisten Universitäten bis heute damit zu kämpfen haben“. Auch das Thema ist umstritten: Als ein neues Hochschulgesetz in Sachsen-Anhalt 2019 Hochschulen die Beteiligung an Gründungen erleichtern sollte, stieß es auf deutliche Kritik – bevor das Gesetz schließlich mit Kompromissen verabschiedet wurde.

Harald Holzer, Geschäftsführer des Innovationsforschungs- und Gründerzentrums der Hochschule Darmstadt, hat sich bereits Gedanken darüber gemacht, wie sich die Hochschule künftig als Gründungsinvestor präsentieren möchte: „Wir sind Mentor und Wegbegleiter in die Seed-Phase. Wir haben Inkubatorprogramme, vermitteln Kontakte, machen sichtbar“, sagt er. „Wenn das Unternehmen dann irgendwann die Uni verlässt, sind wir eher ein stiller Investor, spinnen aber weiter Netzwerke.“ Zudem ist geplant, in Wachstumsphasen mit einem privat finanzierten Highest-Venture-Fonds zu investieren. Kommt es zu einem Exit, heftet sich die Universität an die Gründer und ist dann in der Lage, ihre Werte zu verkaufen. Das könnte beim Fusionsenergie-Startup Focused Energy irgendwann der Fall sein.