Erstmals mehr als 300.000 Neuinfektionen. Erstmals mehr als 1,5 Millionen Corona-Infektionen in einer Woche. Erstmals 4.246.200 gleichzeitig infiziert.
Lohnt sich der Versuch hierzulande noch, die Pandemie einzudämmen? Sollten wir nicht einfach alles seinen Lauf nehmen lassen, auf eine natürliche Verseuchung der Bevölkerung setzen?
Es konnte nicht schnell und schmerzlos sein. Offiziell gelten knapp 16 Millionen Deutsche als genesen. Allerdings ist die Dunkelziffer hoch. Laut Kristan Schneider (40) könnten es etwas über 50 Prozent sein.
Der Mathematikprofessor der Hochschule Mittweida hat für BILD am SONNTAG ausgerechnet, was nach dieser „vernünftigen Einschätzung“ eine natürliche Ansteckung für Deutschland bedeuten würde:
„Sollte die Infektionsrate durch die zu erwartenden Lockerungen von derzeit 300.000 auf 400.000 Neuinfektionen pro Tag steigen, würde es etwa dreieinhalb Monate dauern, bis der Rest der Bevölkerung theoretisch bis Mitte Juli infiziert wäre.“
Aber solche Berechnungen sind wie ein Blick in eine Glaskugel. Das sagt Prof. Schneider selbst. Einerseits infizieren sich die Geboosterten aktuell mehrfach mit der zweiten, noch fixeren Variante von Omikron. Andererseits betrifft das Virus drei Viertel (75,9 %) der Bevölkerung, die grundimmunisiert ist.
Was das für BILD am SONNTAG bedeutet, hat Prof. Christian Hesse (61), Statistiker an der Universität Stuttgart, analysiert:
► „Derzeit gibt es täglich etwa 15-mal so viele Neuinfektionen wie auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle im Januar 2021, aber die Hospitalisierungsrate ist jetzt 25 Prozent niedriger.“
► „Allein in den letzten sieben Tagen gab es seit Ausbruch der Pandemie fast 10 Prozent aller Infektionen, aber nur ein Prozent aller Todesfälle.“
► „Die Wahrscheinlichkeit, an Corona zu sterben, ist derzeit im Durchschnitt relativ gering: Aktuell liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine symptomatische Infektion durch Omikron BA.2 zu einer Hospitalisierung führt, bei etwa einem Prozent und nur einer von 1100 symptomatischen Patienten stirbt daran.“
Also alles stehen lassen? Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Aber das Risiko bleibt hoch. Auch wegen der geltenden Quarantäneregeln.
In Bayern gibt es bereits Kliniken mit bis zu 20 Prozent Krankenstand beim Personal. In anderen Bundesländern ist die Situation ähnlich. Nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch unter Lehrern. Steigt die Infektionsrate, steigen auch die krankheitsbedingten Fehlzeiten.
„Wenn das Virus nicht freiwillig in die Sommerpause geht, wird es wohl die meisten erwischen“, sagt der Immunologe Andreas Radbruch (68), Präsident der European Federation of Immunological Societies, zu BILD am SONNTAG.
Immerhin: Bei Omikron sehen wir unter anderem deshalb so wenige schwere Fälle, weil die Geimpften und Genesenen, also mehr als 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung, eine gute Grundimmunität haben.
„Insofern könnten die Quarantäneregeln eigentlich an die Regeln für normale Erkältungen angepasst werden: Wenn Sie sich krank fühlen, bleiben Sie bitte zu Hause.“ Die Quarantäneregeln sollen nur noch im Kontakt mit gefährdeten Gruppen gelten.
Die Ansteckung kommt sowieso, die Frage ist nur wie schnell.