Arbeitsunfähig wegen Long-Covid: Sandra (54): Corona hat erst meine Gesundheit zerstört – und jetzt meine Existenz
Als Sandra an Covid-19 erkrankt, verändert das ihr ganzes Leben. Seitdem ist die Yogalehrerin arbeitsunfähig und zu schwach, um ihren Alltag zu bewältigen. Neben den langanhaltenden Covid-Symptomen leide sie nun auch unter Existenzängsten.
Sandra* (54) war eine vitale, lebenslustige Frau. Corona hat nicht nur ihre Gesundheit zerstört. Ihre Existenz steht auf dem Spiel, die Altersvorsorge ist unter anderem für immer neue Therapieversuche bereits weg. Wegen Long-Covid droht ihr nun Hartz IV.
FOCUS Online: Sie haben sich in dieser Pandemie im März 2020 als einer der Ersten mit Covid-19 angesteckt. Seitdem leiden Sie unter lang anhaltenden Covid-Symptomen. Aber darum geht es doch nicht, oder?
Sandra: Nun, ich könnte jetzt über alles berichten, was bisher oft gehört und gelesen wurde: Mein Leben hat sich durch die Krankheit verändert. An manchen Tagen bin ich so machtlos, dass ich nicht einmal den Müll rausbringen kann.
Um ehrlich zu sein, ist es an den meisten Tagen so. Ich verbringe 80 Prozent der Zeit im Bett. 15 Prozent mit Arzt- und Therapeutenbesuchen. Und die restlichen fünf? Also versuche ich, die Hausarbeit zu tun. Es funktioniert mehr schlecht als recht. Ordnung war mir schon immer sehr wichtig. Meine sieht jetzt schlecht aus Wohnung. Wenn Sie mich von früher kennen, ist es wahrscheinlich schwer vorstellbar.
was vorher war
Sandra: Viel Bewegung, viel Sport. Kein Berg war mir zu hoch, kein Wasser zu tief. Klettern, Kajak fahren, Tauchen… das waren Leidenschaften. Und natürlich mein Job. Ich bin Yogalehrerin und vermiete Zimmer in einem Therapiezentrum, in dem ich unterrichte. Ich unterrichte lieber …
Und darüber willst du doch am liebsten reden, oder? Du kannst nicht mehr arbeiten…
Sandra: So ist es und das entsteht. Ich habe bisher nicht viel darüber gelesen. Schicksale wie meines scheint es inzwischen zuhauf zu geben. Wenn ich zum Thema Long-Covid online bin, denke ich manchmal: Das ist unglaublich, genau das hätte ich schreiben können.
Was zum Beispiel?
Sandra: In diversen Foren und öffentlichen Briefen wimmelt es von Schilderungen horrender Summen für Therapieversuche. Die Leute, die schreiben, werden mit den gleichen Arztkommentaren konfrontiert wie ich. Und mit fast deckungsgleichen Reaktionen ihrer Krankenkassen. Es geht immer darum, was nicht bezahlt werden kann.
Nach dem Motto: Irgendwann wird diese Therapie vielleicht übernommen, aber noch nicht. Dafür ist die Studiensituation zu dünn. Doch woher sollen die umfangreichen Studien kommen? Covid-19 ist eine neue Krankheit. Es fühlt sich an wie etwas, das uns alle Betroffenen eint: Wir werden allein gelassen, niemand hilft uns. Immer dieses Herauswinden.
Dieses Denken in bürokratischen Bahnen – und das in einer hochdynamischen Situation. Von jedem Einzelnen in dieser Gesellschaft wurde in den letzten zwei Jahren extreme Flexibilität verlangt. Und die Bereitschaft zur Flexibilität war und ist groß. Aber jetzt, wo dringend Gelder für Leute wie mich bereitgestellt werden müssen, sind die entscheidenden Stellen hartnäckig. Das passt für mich nicht zusammen!
Von was für Geld sprichst du? Ihre Arztrechnungen werden nicht bezahlt?
Sandra: Ja, natürlich zahlt die Krankenkasse, wenn ich zum Hausarzt gehe. Oder zum Neurologen. Oder zum Nephrologen. Oder zum Kardiologen. Oder zum Phlebologen. Oder nochmal zu einem anderen Hausarzt, in der Hoffnung, dass der vielleicht helfen kann.
Aber man hört überall dasselbe: Damit haben wir noch keine Erfahrung. Wir möchten Sie in die Praxis XY schicken. Praxis XY sendet dann an Praxis Z. Und so weiter. Das Ding dreht sich im Kreis. Die Beschwerden bleiben unverändert.
Und dann probierst du Dinge aus, die die Krankenkasse nicht übernimmt?
Sandra: Es ist halt wie es ist.
Bevor Sie hier konkret werden: Woran genau leiden Sie?
Sandra: Also ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Long-Covid ist eine Gefäßerkrankung. Mein ganzer Körper fühlt sich entzündet an. Anfangs, in der akuten Phase, schmerzten Mund, Zähne und Kiefer so sehr, dass Zähneputzen unmöglich war. Meine Verdauung spielt verrückt, Darm und Blase. Der Blutdruck ist stellenweise exorbitant hoch.
Ich habe an mindestens drei Tagen in der Woche schreckliche Kopfschmerzen. Ich bin schon davon ohnmächtig geworden. Mir ist auch oft schwindelig. Die Entzündung kommt in Wellen und ist unvorhersehbar. Vielleicht habe ich einen guten Moment und gehe spazieren. Und dann geht es los und ich muss so schnell wie möglich nach Hause und mich hinlegen.
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Klingt das so, als ob Sie nicht an Arbeit denken könnten?
Sandra: Überhaupt nicht, obwohl ich meinen Job liebe und alles dafür geben würde, sofort wieder durchzustarten. Ich habe es eine Weile versucht. Wie viele lange an Covid Erkrankte ging es mir nach der Akutphase für einige Wochen zunächst etwas besser. Das scheint typisch für Long-Covid zu sein… die Verschnaufpause, bevor der Crash kommt. Es war Lockdown, ich habe meine Yogakurse online über Zoom gegeben.
Ich erinnere mich noch, wie schockiert ich war, als ich hinterher auf so manche aufgezeichnete Stunde zurückblickte. Mein Kopf war purpurrot, meine Füße und Beine waren blau. Für mich als medizinischen Laien sind das Anzeichen dafür, dass mit der Durchblutung etwas nicht stimmt. In diesen Stunden machte ich Vinyasa, eine sehr kraftvolle, schweißtreibende Form des Yoga.
Vielleicht ist Yin Yoga besser, dachte ich. Du machst Yin Yoga im Sitzen, du bist sehr ruhig. Normalerweise. Mein Puls raste, mein Kopf war auch hier knallrot. Ich musste stornieren. Kein Wunder: Jemand hat mir mal erklärt, dass bei schweren Durchblutungsstörungen die Organe nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Daher die Ohnmacht. Und die vielen anderen Symptome, die kamen. Im Laufe der Zeit haben sich an verschiedenen Stellen meines Körpers Blutungen unter meiner Haut gebildet. Teilweise handflächengroße Blutergüsse. Die Ärzte sagen, es ist kein Ödem. Aber was dann? Niemand weiß.
Aber es gibt lange Covid-Krankenwagen …
Sandra: …die leider nur bedingt helfen. Ich war über ein halbes Jahr auf der Warteliste! Kürzlich ist es endlich passiert. Ein Psychologe hat das Bild gemacht. Woher? Meine Symptome sind sehr körperlich, sagte ich ihr. Das nächste Mal sollte ich einem Internisten vorgestellt werden, sagten sie. Aber erst im zweiten Schritt.
Das Gefühl, dass das Ganze als Psychosache abläuft, ist nicht gut. Als ob wir Lang-Covid-Betroffenen das nicht oft genug anhören müssten: Es kommt alles aus dem Kopf. Sie würden nicht glauben, wie oft ich in den letzten anderthalb Jahren weinend aus den Übungen gekommen bin. Manchmal aus Verzweiflung, manchmal aus Wut.
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Und dann willst du wieder hoffen und wie du alternative Therapien ausprobieren. Was hast du schon probiert?
Sandra: Ich nahm Nahrungsergänzungsmittel, um den Blutdruck zu senken und die Innenwände der Gefäße wieder aufzubauen. Traubenkernextrakt zum Beispiel. Oder Vitamin C hochdosiert einnehmen. Gutes, natürliches Vitamin C ist teuer. Rund 50 Euro für eine Packung mit 180 Kapseln. Sie hält je nach Dosierung zweieinhalb bis vier Wochen an. Der Olivenblattextrakt, den ich einnahm, schlief ähnlich wie Buche.
Hatten die Nahrungsergänzungsmittel eine Wirkung?
Sandra: Schwer zu sagen. Bei der Ozontherapie bin ich mir wieder sicher. Eineinhalb Jahre lang ging ich zweimal wöchentlich zu einem Heilpraktiker, der mir über eine Kanüle Blut abnahm. Das Blut fließt durch einen Schlauch in ein Gefäß, wo es mit reinem Ozon angereichert wird. Dann gelangt es durch einen anderen Schlauch zurück in den Körper. Spürbar dünner – wirklich. Und es bedeutet auch, dass es das zähflüssige, geronnene Blut ist, das die Symptome von Long-Covid verursacht. Manchmal ging es mir direkt nach einer solchen Sitzung sogar viel besser. Allerdings nicht immer.
Tagesform? Sagen wir mal so: Ich möchte nicht wissen, wie es mir ohne die Behandlung ergangen wäre. Wenn es überhaupt Tage gegeben hätte, an denen ich nicht nur im Bett lag. Etwas Linderung ist immer noch besser als gar keine Linderung. Ja, ich hätte definitiv mit der Ozontherapie weitergemacht, wenn es nicht so teuer gewesen wäre.
Was hat die Behandlung gekostet?
Sandra: 45 Euro pro Sitzung. Im Dezember musste ich aufhören, ich konnte es nicht mehr bezahlen. Für den Heilpraktiker, die Nahrungsergänzungsmittel und diverse Blutuntersuchungen, die die Krankenkasse nicht übernimmt, muss ich insgesamt 15.000 Euro ausgegeben haben. Eine stolze Summe, aber was mich arm macht, ist etwas anderes.
Erzählen Sie.
Sandra: Ich bekomme seit letztem Sommer 300 Euro im Monat. Ein Tropfen auf den heißen Stein, mehr nicht. Die Miete für die Yogaräume und für meine Wohnung läuft weiter, inklusive Nebenkosten. Und endlich muss ich etwas zu essen besorgen. Es ist nur vorübergehend, könnte man meinen. Mittlerweile ist aber fast meine gesamte Altersvorsorge aufgebraucht. Rund 60.000 Euro. Das Geld soll für drei Monate reichen. Ich fürchte: Wie soll ich dann leben? Vielleicht wäre es sinnvoll, sich jetzt über staatliche Hilfen zu informieren.

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Meinst du eine Berufsunfähigkeitsversicherung?
Sandra: Leider bin ich der typische Freiberufler: Der Großteil meiner Sicherheit ist in die Rente geflossen… wobei angeblich noch nicht geklärt ist, ob Erwerbsunfähigkeit überhaupt bei Long-Covid gilt. Das Übliche: „Das ist neu, das kennen wir nicht…“ Im Zweifel bleibt Hartz IV. Aber ich vermeide es. Ins Amt zu gehen, wäre für mich wie aufgeben.
Das Eingeständnis: Mir geht es nicht besser. Ich will das nicht! So arbeite ich mich von Tag zu Tag hoch und hoffe, dass es weitergeht. Eine geplante Blutwaschtherapie macht mir aktuell Mut. Das soll schon einigen lang an Covid erkrankten Patienten geholfen haben. Ich habe nächste Woche meinen ersten Termin.
Hilfe für lange Covid-Patienten
Bisher gibt es keine Anlaufstellen für die spezielle Blutwaschtherapie im Heilversuchsstadium bei Long-Covid. Sollten Sie jedoch selbst betroffen sein, können Sie eine E-Mail an [email protected] an das Team des Dialysezentrums Potsdam senden.
Zahlt das Ihre Krankenkasse?
Sandra: Was. Da kommt wieder das übliche Laier: Unzureichende Daten und so weiter. Ein Bekannter hat mir angeboten, mir die 2500 Euro pro Sitzung zu leihen. Ein blödes Gefühl und bis ich es zurückbezahle schlafe ich auf der Straße, das habe ich mir geschworen. Ich gehe also weiterhin Risiken ein, was kann ich noch tun? Vielleicht musst du dich damit abfinden, wie es ist, sagte neulich jemand.
Sicher, finanziell wäre es einfacher für mich, wenn ich die Zimmer im Therapiezentrum aufgeben würde. Aber würde ich damit nicht viel mehr resignieren? Die Kraft, die mich trotz allem antreibt, mich immer wieder aufzurappeln und weiterzukämpfen? Denn vielleicht gibt es noch eine Chance auf mein altes Leben? Nein, ich kann nicht mit mir klarkommen. Weder mit meinem Zustand noch mit der Tatsache, dass ich so enttäuscht bin. Von Entscheidungsträgern, die den Namen eigentlich nicht verdienen.
*Name der Redaktion bekannt
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