28. Februar 2022 – 7:05 Uhr Uhr
von Sandra Trauner
Tamoxifen soll das Wiederauftreten von Brustkrebs verhindern. Doch das Medikament ist derzeit knapp. Wie sollen Betroffene mit dem Engpass umgehen?
Tamoxifen für die Krebsnachsorge
Brustkrebspatientinnen sind sehr verunsichert: Bei dem seit Jahren zehntausendfach eingesetzten Medikament Tamoxifen gibt es massive Lieferengpässe. „Unser Posteingang ist voll mit besorgten Anfragen“, berichtet Andrea Hahne vom BRCA-Netzwerk, das Frauen mit Brustkrebs berät. „Sie befürchten, dass der Krebs zurückkommt, wenn die Therapie nicht fortgesetzt wird.“ Gynäkologen und Onkologen fordern vehement eine baldige Nachlieferung, sagen aber auch: Es besteht kein Grund zur Panik.
Tamoxifen ist ein sogenannter selektiver Östrogenrezeptormodulator. Dies sind Arzneimittel, die ihre Wirkung über die Rezeptoren für das Hormon Östrogen vermitteln. Der Wirkstoff dockt an die Tumorzelle an und blockiert den Einfluss von Östrogen auf das Wachstum der Tumorzelle. Auf diese Weise sorgt es dafür, dass Tumorzellen nicht weiter wachsen.
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Die Gründe für den Mangel sind vielfältig
Tamoxifen wird in der Nachsorge eingesetzt – Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls langfristig zu verringern. „Sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Therapie von Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs“, heißt es in einer Stellungnahme, mit der fünf Fachgesellschaften auf die Situation reagierten.
Betroffene nehmen in der Regel 20 Milligramm täglich ein – fünf bis zehn Jahre lang. Laut GKV-Arzneimittelindex wurden in den Jahren 2019 bis 2021 27 bis 28 Millionen Tagesdosen verschrieben. Dem liegen Schätzungen zugrunde, dass 120.000 bis 130.000 Patienten – aber auch einige männliche Patienten – vom Tamoxifen-Engpass betroffen sein könnten.
„Die Ursachen für diese Versorgungslücke sind vielfältig“, sagt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Es gebe keine einzelne Ursache, sondern „Wechselwirkungen“. Eine mögliche Erklärung sehen die Fachgesellschaften unter anderem in einem „Anstieg der Verordnungen seit dem ersten Quartal 2020 im Zusammenhang mit den Lockdown-Maßnahmen aufgrund der Covid-19-Pandemie“. Denkbar ist, dass Frauen sich zu Beginn der Corona-Pandemie eindecken.
Ärzte sollen „keine Rezepte für Einzelstrumpf ausstellen“
Das BfArM beobachtet die Entwicklung seit Januar. Da der Marktanteil von Tamoxifen hoch ist, zählt es zu den „versorgungsrelevanten Wirkstoffen“. Der Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe beim BfArM hat Maßnahmen zur Linderung des Versorgungsengpasses eingeleitet:
Die Unternehmen sollen prüfen, ob Kontingente „für den deutschen Markt bereitgestellt werden können, ohne dass es zu Lieferengpässen in anderen Ländern kommt“. Ärzte sollten in den kommenden Monaten „keine Rezepte für Einzelstrumpf ausstellen“. Patienten sollten auf andere Packungsgrößen umsteigen, zum Beispiel zweimal 10 Milligramm statt der üblichen 20-Milligramm-Tablette einnehmen.
Bleibt die Frage, was die Betroffenen tun sollen, wenn die Versorgung komplett zum Erliegen kommt. „Eine alternative gleichwertige medikamentöse Therapie steht nicht zur Verfügung“, heißt es in der amtlichen Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums im Bundesanzeiger vom 18. Februar. „Aber es gibt Alternativen“, sagt Michael Untch, Chefarzt der Gynäkologie am Helios Klinikum in Berlin-Buch. Niemand muss Angst haben.
Mögliche andere Medikamente, die mit höheren Nebenwirkungen verbunden sind
Als Alternative stehen sogenannte Aromatasehemmer und hormonhemmende Spritzen zur Verfügung. Dies sind Medikamente, die die Östrogenproduktion blockieren. Das Problem: „Der Ersatz von Tamoxifen durch andere endokrine Therapieformen ist mit einer höheren Nebenwirkungsrate belastet“, warnen die Fachgesellschaften. Vor allem Knochenprobleme von Gelenkschmerzen bis hin zu Osteoporose werden genannt.
Die Nebenwirkungen könne man in den Griff bekommen, sagt Untch. „Die wichtigste Botschaft ist: Es muss eine alternative Therapie gefunden werden.“ Eine Unterbrechung der Therapie könnte die Rückfallrate erhöhen.
Ob ein kurzfristiger Medikamentenwechsel zur Überbrückung des Engpasses sinnvoll ist, hänge vom Einzelfall ab, sagt Bernhard Wörmann von der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Berliner Charité. Auch eine kurzfristige Unterbrechung von wenigen Tagen ist medizinisch möglich. Er betont aber: „Die Therapieunterbrechung ist keine Lösung für diese Versorgungskrise.“
Wie lange der Engpass andauern wird, ist noch nicht klar. „Der komplexe und zeitaufwändige Herstellungsprozess von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Tamoxifen erfordert eine Vorlaufzeit von mehreren Wochen“, erklärt das BfArM. Mit Nachschub könne „etwa Ende April 2022“ gerechnet werden. Die ersten importierten Chargen könnten womöglich schon nächste Woche eintreffen, sagt Wörmann.
Berater Hahne ist jedenfalls „fassungslos, dass es einen so banalen und seit langem erprobten Wirkstoff nicht gibt“. Um künftig Engpässe zu vermeiden, fordert Wörmann einen vorausschauenden Einkauf: „Wir brauchen für solche unverzichtbaren Präparate einen sechsmonatigen Vorrat.“ (dpa/pdr)