Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien (CDU), verfolgt seit ihrem Amtsantritt Anfang des Jahres eine strikte Offenhaltepolitik der Schulen, auch in der Omicron-Welle. Das eint die schleswig-holsteinische Kultusministerin Prien mit ihrer Vorgängerin, der brandenburgischen Kultusministerin Britta Ernst (SPD).
Trotzdem kam es im vergangenen Jahr zu bundesweiten Schulschließungen bis zu den Sommerferien – mit Inzidenzwerten, die um ein Vielfaches niedriger lagen als die aktuellen.
Prien begründet ihre Haltung gegen Schulschließungen mit dem „Recht auf Bildung“ und mit psychosozialen Belastungen von Kindern und Jugendlichen. Allerdings warnt der KMK-Präsident nun vor einer „Angstkultur in den Schulen“. Sie sieht das durch die Corona-Maßnahmen gerechtfertigt – und plädiert für schrittweise Lockerungen. Wenn die Maßnahmen, die für die gesamte Bevölkerung gelten, ab Mitte Februar oder Anfang März gelockert werden, müsse dies auch für die Schulen gelten, sagte Prien laut der Nachrichtenagentur dpa der „Bild“-Zeitung (Samstag).
„Sport- und Musikunterricht müssen wieder in vollem Umfang stattfinden. Die Prüfung muss schrittweise beendet werden. Spätestens Ende März reichen voraussichtlich zwei Tests pro Woche.“ Aus der Testpflicht, so Prien, müsse nach und nach eine „Testoption“ werden. Auch die Maskenpflicht muss schrittweise sinken, erst im Unterrichtsraum auf dem Platz, dann im Gebäude.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Tatsächlich würde Priens Vorschlag eine Rückkehr zu den Hygienemaßnahmen etwa ab Frühherbst 2021 bedeuten, als das strengere Test- und Maskenregime nach den Sommerferien teilweise gelockert wurde und die Omicron-Welle noch nicht eingesetzt hatte.
Auf Twitter ist Priens Vorschlag allerdings umstritten, viele halten ihren Einspruch zumindest für verfrüht. das Virologin Isabella Eckerle konterte per Tweet: „Entscheidungsträger, die Menschen vor ‚Angst und Panik‘ schützen wollen, sind paternalistisch, infantilisieren und bevormunden.“ Sie vermutet, dass Prien „von politischen Fehleinschätzungen ablenken“ wolle.
Kontroverse um Priens Aussage zur Kindersterblichkeit
Eckerle, Leiter des Zentrums für neuartige Viruserkrankungen am Universitätsspital Genf, vermisst bauliche Veränderungen und eine bessere Ausstattung der Schulen, um die hohen Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen präventiv zu senken. Dies sei seit den ersten Schulschließungen und zuletzt in den Sommerferien 2021 politisch vernachlässigt worden. Konkret seien „Maßnahmen wie z Luftfilter, kleinere Gruppen, digitale Lösungen etc.“
Eckerle kommentierte auch eine weitere Aussage von Prien auf Twitter. Ausgangspunkt ist ein Tweet eines Users mit der Formulierung: „Wir hatten in den letzten 4 Wochen 17 tote Kinder. 17 – in VIER Wochen. Und es wird immer schneller. Bis zum 21. Oktober hatten wir 27 tote Kinder, seit dem 38. Oktober.“ ”
Prien antwortete am Freitagabend: „Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit COVID_19 und nur äußerst selten an COVID_19.“ Diese Antwort löste zahlreiche – teilweise beleidigende – Reaktionen aus. Viele warfen dem Politiker mangelndes Einfühlungsvermögen vor und forderten eine Entschuldigung – bis hin zum Rücktritt.
Virologe Eckerle sieht im Gegensatz zu Prien „astronomische Häufigkeiten bei Kindern“ und schreibt im Zusammenhang mit ihrem Tweet: „Ich vermute, dass wir erst am Anfang der Diskussion über die vertretbare Morbiditäts- und Mortalitätsrate einer impfpräventablen Infektionskrankheit stehen in Kindern.“
Eckerle: Sehr hohe Infektionsrate bei Kindern
Auf Nachfrage des Tagesspiegels erklärte Eckerle am Sonntag die „astronomischen Inzidenzen“: „Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner in der Altersgruppe 5-14 liegt derzeit bei über 3000. Hier wird der Infektionsverlauf tendenziell besser erfasst durch regelmäßigere Tests als bei Erwachsenen, aber es zeigt auch, dass es eine sehr hohe Infektionsrate bei Kindern gibt.
Eckerle ordnet die vom Twitter-Nutzer genannten Zahlen der verstorbenen Kinder wie folgt ein: Das Robert-Koch-Institut hat mit Stand vom 9. Februar 2022 35 verstorbene Kinder im Alter von 0 bis 9 Jahren und 30 Kinder im Alter von 10 bis 19 Jahren namentlich genannt – allerdings ohne zeitliche Aufschlüsselung. Laut Eckerle nennt der RKI-Bericht vom Oktober 2021 27 Todesfälle in der Altersgruppe 0-19.
„Kinder sollten generell nicht an Covid-19 sterben, auch wenn die Todesfälle nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtzahlen ausmachen“, kommentiert Eckerle Prien die Bitte um „Differenzierung“ bei Todesfällen bei Kindern. Leider sei weiterhin davon auszugehen, dass „auch seltene Komplikationen weiter zunehmen werden“, erklärte Eckerle dem Tagesspiegel.
Dazu könnten das „derzeit starke Infektionsgeschehen in diesen Altersgruppen, zunehmende Lockerungen sowie eine schwache Impfempfehlung und niedrige Impfquoten für unter 12-Jährige“ führen. Eckerle weist auch auf andere Komplikationen wie PIMS oder Longcovid bei Kindern hin, die erst eingenommen werden müssten, „gerade weil noch nicht alle Aspekte wissenschaftlich verstanden sind“.
Präsident des Lehrerverbandes warnt vor zu frühen Lockerungen
Gegenüber „Bild“ begründete Prien ihren Versuch, die Corona-Maßnahmen an Schulen zu reduzieren: Der Höhepunkt der Omicron-Welle sei in ersten Bundesländern wie Schleswig-Holstein, Berlin, Bremen und Hamburg bereits überschritten. „Das schlägt sich zum Glück auch in den rückläufigen Infektionszahlen bei den 5- bis 18-Jährigen nieder.“
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hatte zuvor erklärt, dass die omicron-Welle den Schulbetrieb weiter fest im Griff habe. Die Infektionszahlen dürften nicht durch zu frühe Lockerungen wieder steigen und damit die bundesweite Präsenzlehre erneut gefährden.
Nach Angaben der KMK waren in der vergangenen Woche rund sechs Prozent der Schüler und etwa drei Prozent der Lehrer in Deutschland entweder infiziert oder in Quarantäne. Mit einem offenen Beschwerdebrief und einer Internetkampagne unter dem Motto #WirWerdenLaut hatten auch einige Studierendenvertretungen der Politik einen „Verseuchungsplan“ vorgeworfen. Sie sprechen sich gegen Anwesenheitspflicht aus und fordern kleinere Lerngruppen, PCR-Pool-Tests und Luftfilter in allen Schulen. Anschließend tauschte sich Prien mit Studierendenvertretern aus. (mit dpa)