Deutschland ist noch nicht über den Omicron-Berg – Erkenntnis

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Deutschland ist noch nicht über den Omicron-Berg – Erkenntnis

Die Omicron-Welle ist noch nicht gebrochen, zumindest nicht überall. Die bundesweite Inzidenz sinkt, doch der Durchschnittswert täuscht darüber hinweg, dass die Entwicklung regional sehr unterschiedlich verläuft und die Infektionszahlen in den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen weiter steigen. Dennoch stehen die Zeichen auf Entspannung: „Wir haben es verdient, besser zu werden“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend, nachdem Bund und Länder gemeinsam weitreichende Öffnungen beschlossen hatten. Der Höhepunkt der Omicron-Welle ist wohl erreicht und man kann davon ausgehen, dass sich die Lage nun von Tag zu Tag bessert. Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt, dass die deutlich signifikanteren Zahlen von Schwerkranken und Verstorbenen ihren Höhepunkt noch nicht erreicht haben.

Betrachtet man nur den bundesweiten Trend, so sieht man seit knapp einer Woche einen Rückgang der Inzidenz. Wie viele Menschen sich tatsächlich infizieren, lässt sich jedoch nicht sagen. Seit einigen Wochen werden alle Personen mit Verdacht auf eine Corona-Infektion nicht mehr mit einem PCR-Test untersucht. Allerdings wäre ein solcher Test notwendig, um in der amtlichen Statistik aufscheinen zu können. Die Dunkelziffer dürfte demnach enorm sein. Das zeigt auch die hohe Positivrate von gut 40 Prozent, also der Anteil positiver Ergebnisse an allen durchgeführten PCR-Tests. Immerhin gibt es gute Nachrichten: Der Positivkurs ist in der vergangenen Woche erstmals seit langem leicht gesunken. Der Rückgang der Inzidenz spiegelt daher mit hoher Wahrscheinlichkeit den Abwärtstrend korrekt wider.

Allerdings sinken die Zahlen nicht in allen Altersgruppen. Während die Inzidenzkurve bei Kindern und Jugendlichen dauerhaft eingebrochen zu sein scheint und seit gut einer Woche rückläufig ist, ist die Entwicklung bei älteren Menschen ab 60 noch unklar.

Ein Blick auf die Landkreise zeigt noch detaillierter, dass noch nicht ganz Deutschland über dem Omicron-Berg ist. Je dunkler die Farbe, desto größer ist die Änderung der Inzidenz im gesamten Landkreis. Die vielen rosafarbenen Gebiete im Osten der Republik zeigen, dass die Inzidenz dort noch zunimmt.

In einigen Landkreisen ist im Vergleich zur Vorwoche sogar ein starker Rückgang der Fälle zu verzeichnen, mancherorts hat sich die Inzidenz sogar halbiert. Andererseits gibt es auch Landkreise, in denen die Fallzahlen steigen. Die Zahl der Bezirke mit sinkenden und steigenden Inzidenzen hält sich etwa die Waage, wobei die Grenzgebiete zu Österreich und Tschechien auffallend häufig steigende Inzidenzen melden.

Bei Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahren, von denen sich zuletzt enorm viele angesteckt haben, ist der Rückgang vielerorts recht deutlich. Allerdings muss hier beachtet werden, dass die Schulen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen derzeit Winterferien haben und eventuelle Tests an Schulen in dieser Woche nicht stattfinden. Dies kann auch zu einer Verringerung der Inzidenz beitragen, ohne tatsächlich weniger Infektionen zu verursachen.

Bei älteren Menschen, die sich bisher seltener angesteckt haben, zeigt der Trend weiter nach oben: Zwei Drittel der Landkreise und Städte in der Altersgruppe ab 60 Jahren melden aktuell höhere Inzidenzen als noch vor einer Woche. Diesem Anstieg liegt allerdings eine niedrigere Inzidenz zugrunde, da deutlich mehr ältere Menschen geimpft werden als junge Menschen. Bundesweit liegen die Inzidenzen in der Altersgruppe 60 plus bei rund 500, jene in der Altersgruppe 0 bis 14 bei 2300. Aufgrund der gegenläufigen Entwicklung könnten sich die Inzidenzen der beiden Gruppen in den nächsten Wochen annähern.

Diese Liebe zum Detail ist wichtig. Da ältere Menschen ein deutlich höheres Erkrankungsrisiko haben, wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis die Zahl der Schwerkranken wieder zurückgeht. Das zeigt auch ein Vergleich mit einer Modellrechnung des Robert-Koch-Instituts von Anfang Februar. Die Wissenschaftler berechneten, wie sich die Omicron-Welle unter verschiedenen Annahmen entwickeln könnte und gingen davon aus, dass der Höhepunkt der Intensivbettenbelegung durch Covid-19-Patienten voraussichtlich erst in der zweiten Februarhälfte erreicht werden würde. Die derzeit von den Krankenhäusern gemeldete Bettenauslastung liegt im erwarteten Bereich und nur knapp unter dem wahrscheinlichsten Verlauf. Auch wenn es in den kommenden Tagen wohl noch ein paar Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen geben wird: Von einer erneuten Überlastung ist nicht auszugehen.

Auch die Zahl der Todesfälle steigt weiter an. Das hat damit zu tun, dass selbst in schweren Fällen zwischen Ansteckung und Tod meist einige Tage, manchmal sogar Wochen vergehen. Bei älteren Menschen besteht auch ein höheres Risiko, an einer Infektion zu sterben. Solange also mehr ältere Menschen infiziert werden, ist eine Trendwende bei den Todesfällen unwahrscheinlich.

Zurück zur Ausgangsfrage: War es das mit Omikron? Wie es genau weitergeht, ist noch nicht klar, die Lage ist diffuser, als ein bloßer Blick auf das bundesweite Vorkommen vermuten lässt. Viele Orte müssen den Höhepunkt noch überwinden. So könnten die Öffnungen und die damit verbundenen vermehrten Kontakte sowie die Ausbreitung der ansteckenderen BA.2-Variante dazu führen, dass die Omicron-Welle nur langsam abebbt. In Österreich warnen einige Experten vor einer zweiten Erhöhung, da die Zahl der BA.2-Fälle trotz insgesamt sinkender Fallzahlen weiter steigt. Und im Herbst rechnet das RKI mit einer neuen Welle. „Die Pandemie ist noch nicht vorbei“, sagte Bundeskanzler Scholz nach dem Bund-Länder-Gipfel.