Drogenpolitik: Mehr Gesundheit, weniger Strafe | Welt | DW

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Die Zahlen sind so gigantisch wie das Problem, das sie darstellen: Laut den Vereinten Nationen haben im Jahr 2020 275 Millionen Menschen Drogen konsumiert. Das sind 22 % mehr als vor zehn Jahren. Auch die Zahlen für beschlagnahmtes Kokain, Cannabis und Heroin kennen nur eine Richtung: nach oben. Allein bei Kokain hat sich die beschlagnahmte Menge in Europa in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Es wird erwartet, dass sich der Trend fortsetzt. Bis 2030 werden laut den Autoren des neuesten World Drug Report weitere 11 % mehr Menschen Drogen konsumieren; in Afrika sollen es sogar 40 % mehr sein – mit allen damit verbundenen gesundheitlichen und sozialen Folgen.

Die Milliardenausgaben für die Durchsetzung der Drogengesetze haben den Markt nicht geschmälert, geschweige denn ausgetrocknet, sagt Ann Fordham gegenüber der DW. Im Gegenteil, fährt der Direktor des internationalen NGO-Dachverbands International Drug Policy Consortium, IDPC, fort: Der Kampf gegen Drogen hat zu massiven Menschenrechtsverletzungen geführt, etwa auf den Philippinen, wo es zu massiven außergerichtlichen Tötungen kommt. Fordhams bittere Bilanz: „Der Schaden, der durch die repressive Drogenpolitik verursacht wird, ist weitaus schwerwiegender als der, der durch die Drogen selbst verursacht wird.“

Vorbildliche Repression: In China verbrennen Polizisten offen Drogen

Ann Fordham wird dabei sein, wenn sich die Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen (CND) ab Montag zu ihrer Jahrestagung in Wien trifft. Mehr als 1000 Experten aus aller Welt diskutieren dort vier Tage lang über aktuelle Entwicklungen in der internationalen Drogenpolitik.

Auftritt des neuen Drogenbeauftragten

Dieser Austausch ist dem neuen Beauftragten der Bundesregierung für Sucht und Drogen so wichtig, dass Burkhard Blienert alle vier Tage der Konferenz dabei sein möchte. Im DW-Interview machte der SPD-Politiker deutlich, dass er in Wien die Position Deutschlands deutlich machen wolle, „dass wir Sucht als Krankheit betrachten. Wir betonen stark den gesundheitspolitischen Aspekt: ​​Ich rede von Schadensminderung.“ Also Schadensbegrenzung. Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick auf die UN-Zahlen: Jedes Jahr sterben mehr als eine halbe Million Menschen im Zusammenhang mit Drogenkonsum. Alle 54 Sekunden tritt ein meist vermeidbarer Tod auf.

Burkhard Blienert |  Beauftragte der Bundesregierung für Sucht und Drogen

Deutschlands neuer Sucht- und Drogenbeauftragter Burkhard Blienert

Der zweite Aspekt, der Burkhard Blienert wichtig ist: „Wie bekommen wir alternative Entwicklungen mit der entsprechenden Begeisterung in den Drogenanbauländern umgesetzt? Wir wissen zum Beispiel, dass der Drogenanbau den Entwaldungsprozess beschleunigt. Aber alternative Entwicklungen können neue Perspektiven schaffen.“ .“ . Den Kleinbauern sollten legale Einkommensmöglichkeiten geboten werden. Kaffee statt Coca könnte man auf eine Formel bringen.

Dazu hat Deutschland gemeinsam mit Thailand und Peru eine Resolution eingebracht. „Förderung alternativer Entwicklung als entwicklungsorientierte Strategie der Drogenbekämpfung unter Einbeziehung von Maßnahmen zum Schutz der Umwelt“ lautet der Titel des fünfseitigen Papiers.

Nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz

In den Anden ist der Kokaanbau für viele Bauern fast die einzige Möglichkeit zu überleben, erklärt IDPC-Direktor Fordham. „Denn sie leben an Orten, wo kaum andere Pflanzen wachsen und wo es keine Infrastruktur gibt. Für die Bauern ist das kein sehr lukratives Geschäft, aber sie können damit ihre Existenz sichern.“ Deutschland hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, sich jetzt auf die Bauern zu konzentrieren, die illegale Feldfrüchte anbauen – und wie sie im Rahmen des Drogenkontrollsystems behandelt werden sollten, sagt Fordham anerkennend. „Jahrzehntelang galten sie als Kriminelle, die für ihre Beteiligung am Anbau von Feldfrüchten bestraft werden sollten.“

In den Anbaugebieten gehe es oft nicht einmal um „alternative Entwicklung“, sagt Fordham, sondern um Entwicklung überhaupt. Und angesichts der hohen Summen im Drogengeschäft und der vielschichtigen Interessen macht sich Drogenbeauftragter Blienert keine Illusionen: „Die Hindernisse auf dem Weg sind gravierend. Sie können nur partnerschaftlich überwunden werden, nicht durch Moralisierung.“

Cannabis legalisieren

Die am weitesten verbreitete illegale Droge der Welt ist Cannabis. Die Zahl der Nutzer wird auf über 200 Millionen geschätzt. Viele Staaten versuchen, den Cannabismarkt zu legalisieren und zu regulieren. Auch die aktuelle Bundesregierung hat sich auf Seite 88 ihres Koalitionsvertrags das Ziel gesetzt: „Wir führen den kontrollierten Verkauf von Cannabis an Erwachsene zu Freizeitzwecken in konzessionierten Geschäften ein.“ Der Drogenpolitiker Blienert erwartet, dass dies viele seiner Gesprächspartner in Wien interessieren wird. „Nicht nur hier in Deutschland, sondern auch international besteht großes Interesse herauszufinden: Wo steht Deutschland und was haben wir in Deutschland vor.“ Konkrete Details zur bevorstehenden Legalisierung sind noch nicht bekannt.

Weltweit ist ein Trend in der Drogenpolitik zu beobachten. Themen wie Gesundheit, Entwicklung und Menschenrechte werden verstärkt in den Vordergrund gerückt. So wie die Ende 2020 unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft verabschiedete europäische Drogenstrategie. Und immer mehr Staaten entscheiden sich für die Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten wie Portugal oder folgen dem Beispiel von Paraguay oder Kanada und legalisieren Cannabis.

Infografik zur Legalisierung von Cannabis DE

Dicke Bretter bohren

In Wien sitzen aber auch Vertreter aus Ländern mit am Tisch, die weiterhin auf Repression und Nulltoleranz setzen, wie China, Russland, Iran, Singapur und die Philippinen. Länder, in denen bei Drogendelikten teilweise die Todesstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt wird.

Demonstrant vor der Botschaft Singapurs in Malaysia wegen der drohenden Hinrichtung eines Heroinschmugglers mit Foto des Delinquenten

Protest gegen die Hinrichtung eines Heroinschmugglers in Singapur

Burkhard Blienert weiß nach 60 Jahren eines Drogenkontrollregimes, das vor allem auf Verboten und Strafverfolgung basiert, dass Drogenpolitik wie ein Bohren durch sehr dicke Bretter ist: „Man muss immer wieder sagen, dass die Strafverfolgung nicht das einzige Instrument der Drogenpolitik sein kann, sondern die Gesundheitspolitik Aspekte stehen im Vordergrund und Rationalität und Wissenschaft sollen die Debatte leiten.“

Albert Einstein wird die Definition von Wahnsinn zugeschrieben, dass man immer wieder dasselbe tut und andere Ergebnisse erwartet. Die Ergebnisse aus über 60 Jahren Verbotspolitik sollten Ansporn genug für neue Wege sein.