Viele Menschen in Städten sind es längst gewohnt, per Smartphone Pommes, Bierkisten, Pizza oder Kleidung nach Hause zu bestellen. Aber wenn es um Medikamente geht, ist der Gang zur nächsten Apotheke die Regel. Dafür gibt es gute Gründe: Apotheker wissen um die Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten.
Ihre Beratung funktioniert am besten vor Ort und kann aus rein rechtlicher Sicht nicht so einfach von Lieferdienstboten übernommen werden. Dennoch versuchen immer mehr Start-ups, die Lücke zu schließen.
Jeder Friseursalon arbeite mit Online-Buchungs- und digitalen Verwaltungssystemen, sagt Lukas Pieczonka, Unternehmer und Mitgründer des Apothekenlieferdienstes Mayd aus Berlin. „Diese digitale Schnittstelle zwischen Produkt und Kunde gibt es in Apotheken gar nicht. Und da positionieren wir uns“, betont er. „Wir sind das Bindeglied zwischen der Apotheke vor Ort und dem Kunden.“
Lieferung auch nach Geschäftsschluss
Patienten können über die Mayd-App rezeptfreie Medikamente in ihrer Apotheke vor Ort bestellen. Ein Fahrer des Start-ups holt dort die Bestellung ab und liefert sie innerhalb von 30 Minuten zu Ihnen nach Hause – auch nach Ladenschluss und sonntags. Die Apotheke muss sicherstellen, dass Patienten weiterhin über das Medikament informiert werden, beispielsweise telefonisch oder über die Plattform.
Immer mehr Start-ups wie Phaster, First-A und Kurando erkennen das Potenzial von Lieferservices für Apotheken. Sie kassieren Millionen von Investoren und expandieren in viele deutsche Metropolen. First A beispielsweise ist in Berlin, Köln, Düsseldorf, München und Frankfurt unterwegs. Mayd plante für diese Woche weitere Starts in Stuttgart, Hannover, Leipzig und Essen. Bis Ende März will Kurando neben Berlin, München und Düsseldorf weitere Städte hinzufügen.
Sie alle setzen auf eine wichtige Neuerung im Gesundheitswesen: die geplante Einführung des E-Rezepts in Deutschland. Künftig erfolgt die Rezeptübergabe zwischen Arzt und Apotheke dann automatisch online. Patienten müssen Rezepte nicht mehr in die Apotheke bringen oder per Post an einen Apothekenversandhändler schicken. Auch Anbieter wie DocMorris, die mit einer Lieferung aus den Niederlanden die strengen Versandvorschriften in Deutschland umgehen, benötigen für verschreibungspflichtige Medikamente ärztliche Rezepte.
Unternehmer setzen auf die Einführung des E-Rezeptes
Mit dem E-Rezept, dessen Einführung sich verzögert, könnten auch Lieferdienste verschreibungspflichtige Medikamente einfacher transportieren – vorausgesetzt, die Patienten wurden vorher informiert. Der Mayd-Investor Earlybird setzt darauf, dass sich der Umsatz aus der Online-Lieferung von Medikamenten in Europa, getrieben durch das E-Rezept, bis 2030 mehr als vervierfachen wird.
Rezeptpflichtige Arzneimittel machen den Löwenanteil des Arzneimittelmarktes aus: Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) machten sie im Jahr 2020 fast 58 Prozent aller verkauften Verpackungen und mehr als 83 Prozent des Gesamtumsatzes aus.
Allerdings ist der Versand von Medikamenten in Deutschland genau geregelt und stellt Start-ups vor hohe Hürden. Die ABDA erklärt, dass nur etwa 3.000 der rund 18.500 Apotheken hierzulande über eine gesetzliche Versanderlaubnis verfügen und Medikamente mit Hilfe externer Dienstleister versenden dürfen.
Bei Messenger-Diensten gelten andere Regeln. Das Apothekenpersonal darf hier Medikamente ausliefern. Die ABDA meldet täglich 300.000 Botendienste. „Durch den Einsatz des apothekeneigenen Botenpersonals wird die notwendige Beratung der Patienten auf dem gleichen hohen Niveau gewährleistet, als wäre die Apotheke in ihren Räumlichkeiten vor Ort besucht worden“, erklärt der Verband. Der Gesetzgeber schreibt immer eine Beratung zu Arzneimitteln vor, egal ob es sich um ein rezeptfreies Erkältungsmittel oder ein vom Arzt verschriebenes Arzneimittel handelt. Für Start-ups dürfte das bei der kurzen Lieferzeit knapp werden.
Die ABDA will das Geschäftsmodell der Lieferdienste nicht bewerten, betont aber, dass der Einsatz von Fremdpersonal „apothekenrechtlich unzulässig“ sei. Eine in einer anderen vertraglichen Regelung vereinbarte Weisungsbefugnis ist nicht ausreichend.
Es bestehen noch Rechtsunsicherheiten
Daraus ergeben sich rechtliche Unklarheiten für die Zustelldienste. Mayd beispielsweise geht feste Partnerschaften mit einzelnen Apotheken ein und führt die Lieferungen als Kurierdienst durch. Der Berliner Lieferdienst Kurando hingegen biete seinen Service als Versandhandel an, sagt Mitgründer Niklas Spiegel. Apotheken, die mit Kurando zusammenarbeiten möchten, müssen eine Versandlizenz beantragen.
Berliner Apotheken, die bereits mit den Start-ups zusammenarbeiten, verzeichnen eine starke Nachfrage im Fachdienst „Apotheke Adhoc“. Für einige könnte es eine Möglichkeit sein, gegen die Konkurrenz von Versandapotheken wie DocMorris mitzuhalten. „Ich sehe das als Überlebensmodell für die Apotheken vor Ort und als Erweiterung ihres Geschäftsmodells“, sagt Gesundheitsforscher David Matusiewicz von der privaten Hochschule für Wirtschaft und Management in Essen.
Er sieht aber auch Risiken für Apotheken. „Wenn das Geschäft gut läuft, agieren die Start-ups vielleicht irgendwann nicht mehr nur als reine Plattformvermittler“, sagt Matusiewicz. Dann könnten die Lieferdienste versuchen, einen eigenen Handel aufzubauen. „Die Apotheken würden dann künftig Konkurrenz machen.“ (dpa)