Rostock (dpa/mv) – Die Corona-Krise hat nach Ansicht der Rechtsmedizinerin Verena Kolbe die Arbeit in der Opferambulanz der Rostocker Universitätsmedizin verändert. „Die Kinder sind bei den Prüfungen im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren deutlich überrepräsentiert“, sagte Kolbe der Deutschen Presse-Agentur. Von den 186 Untersuchungen im vergangenen Jahr waren 133 bei Kindern und 53 bei Erwachsenen. In den Vorjahren war das Verhältnis überwiegend ausgeglichen.
„Dieser Anstieg ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für diese Delikte gestiegen ist“, sagte Kolbe. Da die meisten Kinder über das Jugendamt in die Ambulanz kommen würden, werden die Ämter von Bürgerinnen und Bürgern auf die Verdachtsfälle aufmerksam gemacht. Auch in der Opferambulanz Greifswald stieg die Zahl der Untersuchungen von Erwachsenen und Kindern im Vergleich zum Vorjahr deutlich an.
Bei den Ermittlungen gegen die Kinder sei stumpfe, körperliche Gewalt in all ihren Facetten richtungsweisend gewesen, sagte Kolbe. Gleichzeitig spielten sexualisierte Gewalt und die Folgen von Vernachlässigung eine geringere Rolle. Wie der Rechtsmediziner weiter berichtete, ereigneten sich die meisten Fälle von Gewalt in Familien.
„Allerdings bestätigte sich der Misshandlungsverdacht nur bei etwa der Hälfte“, betonte Kolbe. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gewalttaten gab, möglicherweise war es zum Zeitpunkt der Ermittlungen nicht möglich, diese eindeutig zu identifizieren.
Der Landesrat für Kriminalprävention hatte sich zuletzt um den Kinderschutz besorgt gezeigt. Der Ende 2021 vorgelegte Jahresbericht wies auf eine steigende Zahl von Fällen häuslicher Gewalt hin. Nach Schätzungen von Opferhilfeorganisationen dürfte die Dunkelziffer jedoch sehr hoch sein, weil viele Gewalttaten aus Angst nicht angezeigt werden. Zudem sind sich viele Kinder und Jugendliche ihrer Rechte und Möglichkeiten nicht bewusst.
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