Gesundheit – Stuttgart – Mangelnde Nachfrage: Das Land reduziert Impfangebote stark – Gesundheit

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Stuttgart (dpa/lsw) – Das Land Baden-Württemberg will das Impfangebot ab Anfang April wegen fehlender Nachfrage zumindest bis in den Herbst reduzieren. Statt der rund 350 mobilen Impfteams und 135 Impfstützpunkte soll es in den 44 Stadt- und Landkreisen nur noch ein Team und einen Stützpunkt geben. Das geht aus dem Kabinettsvorschlag des Sozialministeriums hervor, der der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart vorliegt. Dadurch kann flexibel reagiert werden, wenn beispielsweise die Pandemie aufgrund einer neuen Virusvariante erneut dramatisch eskalieren sollte. Das Land will auch Flüchtlingen aus der Ukraine Impfungen anbieten. Gegebenenfalls sollen dafür weitere zehn mobile Einheiten eingesetzt werden, die dann in den Landeserstaufnahmestellen geimpft werden sollen.

Enormer Kostenfaktor Impfung

Mit dem Abbau eines Großteils der bisherigen Teams und Stützpunkte will die Regierung auch die enormen Kosten senken. Die im Winter eilig aufgebaute Struktur vor allem für die Auffrischimpfungen soll das Land mehr als eine halbe Milliarde Euro gekostet haben. Knapp 55 Millionen Euro soll das neue Konzept laut Kabinettsvorschlag bis Ende September kosten. Das Geld soll aus der Reserve für Haushaltsrisiken kommen. Die neue Impfstrategie wurde bereits auf Arbeitsebene zwischen Sozial- und Finanzministerium abgestimmt. Jetzt müssen die anderen Ressorts noch bis Mittwoch zustimmen, dann soll es im Umlaufverfahren genehmigt werden.

Impfkampagne geht nur in kleinen Schritten voran

Zur Erinnerung: Das Land hatte wegen des weitgehenden Stillstands im vergangenen Sommer und Herbst die Impfzentren mit großen Kapazitäten geschlossen und auf mobile Teams umgestellt. Doch dann kam die hohe Nachfrage nach Auffrischimpfungen in der vierten Corona-Welle mit der Delta-Variante. In den Landkreisen wurden ab November Impfzentren eingerichtet, um den Bedarf an Auffrischungsimpfungen zu decken. Inzwischen sind gut 8,2 Millionen Menschen in Baden-Württemberg zweimal geimpft, das sind 74 Prozent. Knapp 6,3 Millionen Menschen im Südwesten sind aufgestockt – das sind etwa 57 Prozent.

Letztlich kam die Impfkampagne aber nur in kleinen Schritten voran. Experten und Politiker warnen weiterhin, dass nur eine dreifache Impfung vor einem schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung schützt. Doch seit Wochen sind kaum noch Menschen geimpft. Dennoch gibt es eine Reihe von Faktoren, die in absehbarer Zeit flächendeckende Impfprogramme notwendig machen könnten. Es könnte also eine neue Virusvariante oder einen Omicron-Impfstoff geben. Auch eine vierte Impfung für breite Bevölkerungsschichten im kommenden Herbst wird diskutiert. Auch ist noch unklar, ob es tatsächlich zu einer Impfpflicht kommt.

Das Land sieht Ärzte ab Herbst als verantwortungsvoller an

Schrittweise will sich das Sozialministerium aus der Organisation von Impfungen zurückziehen. „Aktuell wird davon ausgegangen, dass die Impfaufgabe ab dem 1. Oktober 2022 im Rahmen der vertragsärztlichen Regelversorgung über die Krankenkassen bzw. die Kassenärztliche Vereinigung sichergestellt werden kann“, heißt es im Kabinettsentwurf. Die Strukturen zur Schaffung ausreichender Angebotsgrundlagen sind vorhanden, nun muss nur noch der Bund dies rechtlich umsetzen.

Da das Land aber davon ausgeht, dass dies länger dauern könnte, will es weitere Vorkehrungen treffen und gewisse Strukturen vorerst aufrechterhalten. Das Ministerium rechnet jedoch damit, dass sich der Staat ab Frühjahr 2023 aus dem aktiven Impfen zurückziehen kann. Das Land muss aber weiterhin dafür sorgen, dass eine Impfinfrastruktur vorhanden ist, die eine zuverlässige Versorgung der Bevölkerung gewährleistet.

Experte empfiehlt „robustes Konzept“ für die Zukunft

Das neue Konzept basiert auf einer Analyse von Professorin Annegret Kuhn, die im Auftrag des Ministeriums alle Stadt- und Landkreise zum Monitoring besuchte. In ihrem Bericht an das Landeskabinett schreibt Kuhn, dass die Impfstrategie aufgrund der derzeit sehr geringen Nachfrage nach Impfungen angepasst werden müsse. „Andererseits ist es wichtig, ein vorausschauendes, robustes Konzept für die Zukunft zu entwickeln.“ Sie empfiehlt, dass die Verantwortung für die Impfinfrastruktur bis Ende März 2023 bei Land und Kreisen verbleiben soll. Ihre Besuche vor Ort hätten gezeigt, dass die zentrale Koordination noch nicht von der Ärzteschaft übernommen werden könne.

Liberale werfen Grün-Schwarz Orientierungslosigkeit vor

Für die FDP ist die Kürzung des Impfangebots einmal mehr ein Beleg für das chaotische Pandemiemanagement der Landesregierung. „Die Schließung der Impfstellen einerseits und die Phantasien von einer generellen Impfpflicht andererseits zeigen einmal mehr die völlige Orientierungslosigkeit der Landesregierung in dieser Pandemie“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. „Grün-Schwarz ist wie Hempels unter dem Sofa.“ Rülke forderte ein tragfähiges Impfkonzept, insbesondere mit ausreichend freiwilligen Impfangeboten. Bei den steigenden, aber noch nicht bedrohlichen Zahlen müssen wir die logistischen Voraussetzungen schaffen, damit wir im Herbst nicht wieder in einen neuen Lockdown gehen müssen.“

© dpa-infocom, dpa:220320-99-595707/5