In Altena im Sauerland ist Platz ein knappes Gut. Die Häuser im Tal reihen sich entlang der Lenne dicht aneinander und das städtische Klärwerk ist zwischen Fluss und Bahngleisen eingekreist. Yvonne Schneider vom Ruhrverband zeigt das bananenförmige Grundstück in einem Luftbild. „Der Platzmangel war sicherlich ein Problem, als vor einigen Jahren klar wurde, dass Technik und Betonbecken erneuert werden mussten. Zumal der Betrieb parallel weitergeführt werden sollte“, sagt der Leiter des Bereichs „Zentrale Technische Abteilungen“. .
Ein Planungsteam berechnete nach wirtschaftlichen Kriterien verschiedene Sanierungsmöglichkeiten. Auch die Aufgabe des Standorts stand zur Debatte. Am besten schnitt am Ende eine in den Niederlanden patentierte Technologie ab, die wenig Platz benötigt und bereits in mehr als 20 Anlagen weltweit im Einsatz ist, bisher aber noch nicht in Deutschland. Es ersetzt das herkömmliche Belebtschlammverfahren, die biologische Reinigungsstufe, die das Wasser mit Hilfe von bräunlichen Bakterienflocken klärt. Der Betrieb in Altena soll voraussichtlich im Sommer mit vorläufiger Zulassung für eine zweijährige Testphase aufgenommen werden. Das Bundesumweltministerium fördert das Projekt mit 1,4 Millionen Euro.
Auch Bakterien stehen im Mittelpunkt des neuen Verfahrens, obwohl sie in kompakte, dunkelbraune und kleine, linsengroße Kügelchen verpackt sind. Diese sogenannten Granulate sind eine Art Drei-in-Eins-Kombinationsprodukt, denn jedes Granulat enthält unterschiedliche Bakterien mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Im Zusammenspiel wandeln sie Fäkalien und Urin in Kohlendioxid und Biomasse um, entschärfen Stickstoffverbindungen und entfernen Phosphate aus dem Wasser. Da dies alles auf einmal geschieht, werden weniger Betonbecken benötigt. Auch auf die üblichen Chemikalien zur Phosphorentfernung kann der Betreiber zumindest weitgehend verzichten. „Und wir erhoffen uns Energieeinsparungen, weil weniger gepumpt und gemischt werden muss“, ergänzt Schneider. Das hilft auch bei der Energiewende.
In der neuen Anlage durchströmt das Abwasser die Bakterienklumpen in drei sieben Meter hohen Betonreaktoren von unten und das Gemisch wird immer wieder mit Luft durchperlt. Der Wechsel von Sauerstoffzufuhr und -entzug sorgt dafür, dass alle Bakterienarten einmal in jedem Zyklus aktiviert werden. Und die Gasbläschen schleifen die kugelförmigen mikrobiellen Gemeinschaften buchstäblich glatt und machen sie stabiler. Für den kontinuierlichen Betrieb arbeiten die Reaktoren zu unterschiedlichen Zeiten.
„Viele Kläranlagen müssen saniert oder erweitert werden, weil immer mehr Menschen in die Städte ziehen“
Mari Winkler von der Washington University in Seattle ist seit langem ein Fan von mikrobiellen Gemeinschaften. „In den USA müssen nicht nur viele Kläranlagen saniert, sondern auch erweitert werden, weil immer mehr Menschen in die Städte ziehen. Doch oft fehlt dafür der Platz oder man muss intakt eingreifen Natur“, erklärt sie. Die Abwasserbehandlung mit Granulat kann solche Probleme lösen und lässt sich auch in bestehende Prozesse integrieren. „Im Granulat haben wir viele Mikroorganismen auf engstem Raum. Allein das macht die Abwasserreinigung effektiver“, sagt sie. Außerdem sinken die kompakten Kugeln schneller zu Boden als die leichten Flocken in Belebtschlammanlagen und lassen sich nach getaner Reinigungsarbeit leichter entfernen. Die riesigen runden Absetzbecken klassischer Kläranlagen werden einfach nicht mehr benötigt. Der Forscher berichtete kürzlich im Wissenschaftsjournal, dass Platzeinsparungen von bis zu 75 Prozent möglich seien Wissenschaft.
Die Bakterien für den neuen Prozess sind im Abwasser enthalten und müssen nach dem Start des Prozesses nicht mehr hinzugefügt werden. Damit die Mikroben Kugeln statt Flocken bilden, bedarf es ein wenig Nachhilfe. „Das funktioniert über eine Art Zwangsselektion“, sagt Winkler. Kompakte Bakterienformationen, die bereits nach wenigen Minuten am Boden liegen, werden immer wieder in den Reinigungsprozess eingebracht und alles, was längere Zeit im Wasser schwimmt, wird verworfen. Auch eine besonders nahrhafte Abwasserdiät hilft, denn sie fördert vor allem die langsam wachsenden, klumpenbildenden Bakterienarten. Allerdings kann es mit solchen Tricks sehr lange dauern, bis man eine betriebsfähige Granulatcharge erhält. In Altena wird deshalb mit sogenanntem Impfschlamm begonnen, mit stabilem Granulat aus holländischen Anlagen.
Die Technik könnte schon bald einen zusätzlichen Schub bekommen, denn spätestens im nächsten Jahrzehnt müssen europäische Kläranlagen phosphorhaltige Stoffe nicht nur aus dem Abwasser entfernen, sondern gemäß der Klärschlammverordnung auch verwerten. „Das Granulat lässt sich relativ leicht eindicken und gibt das Phosphat auch wieder frei“, sagt Winkler. Dann könnte es mit vergleichsweise wenig Chemie zu Düngemitteln verarbeitet werden. „Aber das ist noch ein weiter Weg“, betont sie.
„Die Zeit war einfach reif für eine Innovation“
Harald Horn vom Karlsruher Institut für Technologie hat die Abwasserreinigung mit Granulat schon vor vielen Jahren vorangetrieben und in einer Versuchsanlage in Garching erfolgreich erprobt. „Die Zeit war einfach reif für eine Innovation, die dem Technologiestandort Deutschland sehr gut getan hätte“, sagt er. Schließlich ist das klassische Belebtschlammverfahren über 100 Jahre alt. Der Forscher hätte sich damals mehr Offenheit in der deutschen Abwasserwirtschaft gewünscht.
„Dann wäre eine Anlage wie in Altena vor zehn Jahren möglich und eine Förderung aus Innovationstöpfen sinnvoll gewesen. Heute ist das Verfahren weltweit am Markt etabliert.“ Sie ist jedoch nicht für jede Kläranlage geeignet, beispielsweise nicht für Abwässer, die durch einsickerndes Grundwasser stark verdünnt sind. Ein gut gewartetes Kanalsystem ist laut Horn eine wichtige Voraussetzung.
Der Bau des neuen Werks in Altena ist nun abgeschlossen. Die notwendige Technik und die drei Reaktoren befinden sich in einem langen, schmalen Gebäude neben dem bestehenden Klärbecken. Der Betrieb soll vollautomatisch und ferngesteuert erfolgen. Und in den ersten Jahren wird es von einer Messkampagne begleitet, um die Wasser- und Granulatqualität immer wieder genau zu überprüfen. „Für uns ist das Ganze eine Art Pilotprojekt“, sagt Yvonne Schneider. „Wir wollen sehen, ob die Technologie unsere Erwartungen erfüllt, und wenn ja, empfehlen wir sie anderen Kläranlagen zur Nachahmung.“