Stars sollten die Klappe halten – richtig?

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Sollten Prominente in Kriegszeiten ihre Reichweite nutzen, um aufzuklären und Stellung zu beziehen? Die Deutschen sind in dieser Frage gespalten. Und die Sterne verhalten sich auch anders.

Auftrag verpasst. So könnte das Urteil über einige Stars hierzulande lauten. Schließlich ist es seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine überraschend still um sie geworden. Viele Blicke richten sich auf prominente Deutsche aus Russland. Wo ist Helene Fischers sonst so klare Stimme? Deutschlands erfolgreichste Sängerin wurde in Russland geboren, sie wanderte mit ihrer Familie im Alter von vier Jahren aus.

„Ich habe immer noch ein Gefühl von Familie, wenn um mich herum Russisch gesprochen wird oder wenn ich auf eine russische Party gehe“, sagte sie vor einigen Jahren über ihre Wurzeln. Wie sich der 37-Jährige derzeit fühlt, ist nicht bekannt. Auf ihren offiziellen Kanälen schweigt die „Atemlos“-Interpretin. Eine Anfrage von t-online lässt sie unbeantwortet. Ihr Management sagt: Helene Fischer befinde sich „noch in einer Off-Promotion-Phase“. Doch Aussagen aus ihrer Vergangenheit lassen erahnen, warum sie sich in der aktuellen Krise bedeckt hält.

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„Ich nehme mich einfach nicht so ernst“

„Privat war ich schon immer ein politischer Mensch mit eigener Meinung und Haltung. Aber ich bin in erster Linie Entertainer. Meine Bekanntheit als Künstlerin, die mir das Publikum nur verleiht, möchte ich nicht dazu nutzen, meine politische zu verbreiten Meinungen. Ich nehme mich einfach nicht so ernst“, begründete sie ihre Position im vergangenen Jahr in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Da stellt sich schnell die Frage: Ist das eine legitime Haltung – oder versteckt sie sich hinter einer unpolitischen Fassade, um die Fans nicht zu verprellen? Der russischsprachige Schauspieler und Musiker Daniel Donskoy formuliert es im Interview mit t-online so: „Es gibt Situationen, in denen man mit relativ wenig Aufwand viel erreichen kann. Deshalb müssen Promis jetzt unbedingt ihre Reichweite nutzen Tust du das nicht, dann ist das wirklich unverantwortlich. „Warum sonst“, fragt er, „ist man eine Person des öffentlichen Lebens?“

Daniel Donskoy: Der in Moskau geborene Schauspieler und Entertainer engagiert sich für die russische Bildung – und stößt dabei an seine Grenzen. (Quelle: Maximilian König/Imago Images/Montage t-online)

Angesichts dieser unterschiedlichen Sichtweisen wollten wir wissen, was die Deutschen darüber denken. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von t-online liefert ein überraschendes Ergebnis. Denn auf die Frage „Sehen Sie, dass Prominente aus Funk und Fernsehen derzeit in der Pflicht stehen, zum russischen Krieg in der Ukraine Stellung zu beziehen?“ es gibt keine eindeutige antwort. Die Meinungen hierzu sind in Deutschland geteilt. 45 Prozent sehen Prominente als verantwortungsbewusster an, 43 Prozent sind gegenteiliger Meinung und der Rest ist unentschlossen.

Sterne verhalten sich in der Realität nahezu deckungsgleich mit diesem Ergebnis. Die Frontlinien verlaufen nicht nur zwischen Helene Fischer und Daniel Donskoy. Auch anderen Prominenten mit Wurzeln in Russland fällt es schwer, ihre Stimme zu erheben. „Tatort“-Star Vladimir Burlakov? Auf Nachfrage von t-online wird nichts gesagt. So ist es auch bei Moderatorin Palina Rojinski. Während Burlakov zumindest sagt, Putins „Gehirnwäsche sei wirklich beängstigend“ und er sich schäme, Russe zu sein, teilt Rojinski auf ihrem Instagram-Account nur Solidaritätsbekundungen. Ihre 2,4 Millionen Fans sehen dort: Ukrainische und russische Symbole, die sich in den Armen halten.

Prominente spenden Millionen für die Ukraine

Ist das genug? Es ist schwer zu beurteilen, wie viel es wirklich bringt, sich gegen den Krieg auszusprechen. Was haben die Ukrainer davon, dass ein bekannter Künstler aus Deutschland die Russen aufklärt und ihnen die Schrecken des Krieges zeigt? Das bedeutet nicht, dass weniger Bomben abgeworfen werden und Menschenleben durch ein solches Engagement kaum gerettet werden können. Das ist wohl einer der Gründe, warum viele Deutsche die lautstarke Unterstützung von Stars in allen möglichen Medien kritisch sehen. Der dann allzu schnell erhobene Vorwurf: Personen des öffentlichen Lebens wollen nur Reichweite erschließen – und vom Leid der Krise profitieren.

Festnahme bei einer Demonstration in St. Petersburg am 27. Februar: Besonders junge Menschen sind oft auf der Straße – auch Teenager werden festgenommen.  (Quelle: dpa/Dmitri Lovetsky/AP)Festnahme bei einer Demonstration in St. Petersburg am 27. Februar: Besonders junge Menschen sind oft auf der Straße – auch Teenager werden festgenommen. (Quelle: Dmitri Lovetsky/AP/dpa)

Zumal viele Prominente, darunter auch Deutsche aus Russland, helfen. Sie spenden stillschweigend große Geldsummen, um den Menschen in der Ukraine zu helfen. Daniel Donskoy fährt fast täglich zum Berliner Hauptbahnhof und übersetzt dort für die vielen Kriegsflüchtlinge. Ob eine solche konkrete Hilfe auch von anderen kommt, ist unklar – aber auch nicht auszuschließen. Schließlich ist es längst nicht immer so, dass Promis alles, was sie privat machen, mit der Weltöffentlichkeit teilen.

Doch viele Menschen, die sich mehr von ihren Idolen erhofft hatten, könnten auch von einem anderen Gedanken geplagt werden. Ist es nicht so, dass gerade in Russland die Situation von Künstlern, freien Medien und Kreativen verheerend ist und ihre Arbeit durch Putins harte Hand so stillgelegt wurde, dass immer weniger Bürger des größten Landes der Welt Sind Sie über die Gräueltaten informiert, die von der russischen Armee in der Ukraine begangen wurden? Könnten nicht Stars auf der ganzen Welt, initiiert von russischsprachigen Musikern, Schauspielern und Moderatoren, eine Welle auslösen, die auch in russische Wohnzimmer überschwappen würde?

Der Exodus der Kreativen in Russland hat längst erschreckende Ausmaße angenommen – hier hat Wladimir Kaminer eindrucksvoll die Folgen dieser Abwanderung für t-online beschrieben. Immer mehr Persönlichkeiten protestieren gegen den Krieg oder fliehen: TV-Gesichter wie Ivan Urgant und Maxim Galkin, Popstars wie Valery Meladze und Sergey Lazarev, Musiker wie Oxxxymiron oder Filmemacher und Schauspieler wie Kantemir Balagov und Danila Kozlovsky, um nur einige zu nennen. Wünschen sie sich nicht mehr Unterstützung und Rückhalt von ihren Freunden im Ausland, von Kollegen, die das Land viel früher verlassen haben?

Es sei ein „naiver Glaube“, dass Putin nur durch die Proteste der Zivilgesellschaft gestürzt werden könne, sagt Daniel Donskoy auf t-online, und doch ist er sich sicher: „Die Leute merken, dass etwas nicht stimmen kann – und wir müssen es Nutzen Sie diesen Schwung. Wir müssen die Russen ermutigen und ihnen helfen.“ Denn immer mehr Zweifel an der Staatspropaganda sickern in die breite Gesellschaft und führen dazu, dass sich irgendwann die Unzufriedenheit mit Putins Herrschaft entlädt. Könnten Helene Fischer und andere es mit öffentlichen Äußerungen befeuern? Es bleibt eine theoretische Diskussion, solange es in der Praxis keine Rolle spielt.