Toronto/Berlin (dpa) – Das erste wichtige Album des Jahres eines großen Popstars soll auch eines der erfolgreichsten werden: Abel Tesfaye aka The Weeknd hat wieder zugeschlagen.
Düster-hell kommt die Gesangskunst des 31-Jährigen – kombiniert mit R’n’B, Disco-Beats und 80er-Jahre-Synth-Sounds – auf seinem fünften Album „Dawn FM“ daher. Vieles klingt nach Giorgio Moroder, Daft Punk – und wieder Michael Jackson.
The Weeknd sitzt fest auf dem Thron des internationalen Musikmarktes. Für „Starboy“ holte der Kanadier vor gut vier Jahren Daft Punk, Kendrick Lamar und Lana del Rey ins Studio. Dieses Mal sind Tyler The Creator und Lil Wayne als Feature-Künstler zu sehen.
Die erste Single war nicht gerade ein Indiz für Sensibilität, denn auch wenn sich „Take My Breath“ um die sexuelle Praxis der Atemreduktion und Strangulation zu drehen scheint, steckt sie mitten in einer Pandemie mit der Coronavirus-Erkrankung Covid-19, an der Millionen kann nicht mehr atmen, irgendwas stimmt nicht.
Jim Carrey moderiert
Die zweite Single aus dem Album, zu der nun auch ein Video veröffentlicht wurde, heißt „Sacrifice“. Es klingt wie „Billie Jean“ von Michael Jackson. Auch hier waren – wie bei „Take My Breath“ oder „How Do I Make You Love Me“ – der schwedische Hitproduzent Max Martin und das Tanzprojekt Swedish House Mafia beteiligt. Es sind Werke, die sich für Welthits eignen, auch wenn keines so stark wirkt wie der Riesenhit „Blinding Lights“ aus dem Jahr 2020, der viele an Jacksons „Beat it“ denken ließ.
«Dawn FM» präsentiert sich als Konzeptalbum. Hollywoodstar Jim Carrey („The Mask“, „The Grinch“) führt als eine Art Radiomoderator durch die Zahlen: „Du hörst jetzt 103,5 Dawn FM“, stellt er den fiktiven Sender vor. „Du warst viel zu lange im Dunkeln. Es ist Zeit, ins Licht zu gehen…“, werden Zuhörer begrüßt.
Das Album soll den Hörer aus der Dunkelheit führen – „Dawn“ bedeutet auf Deutsch „Morgendämmerung“. Auf dem Cover ist ein sehr gealtertes Wochenende zu sehen. Die Texte behandeln Traumata, Depressionen, Liebesprobleme – aber auch den Umgang damit. Das erzählerisch singende Selbst ist nicht besonders sympathisch und scheint psychisch instabil zu sein.
In „Here We Go… Again“ gibt es eine Textpassage, dass seine neue Freundin ein Filmstar ist. Das heizte die Gerüchteküche an, die auf Angelina Jolie anspielt. Abel Tesfaye war in den letzten Monaten häufiger mit der 15 Jahre älteren Schauspielerin zu sehen. Eine Romanze wurde jedoch nicht bestätigt.
Bei «Gasoline» ist der Sänger kaum wiederzuerkennen, da er grosse Teile mit britischem Akzent singt. Der Song klingt wie Depeche Mode. The Weeknd hat wie kein anderer männlicher Popstar verstanden, dass es heute kaum ausreicht, einfach nur eine Sammlung von Songs auf den Markt zu werfen. Die Musik muss aufhorchen lassen und eine (visuelle) Erzählung bieten.
Karrierestart im Internet
Die zu Beginn der Pandemie im März 2020 erschienenen Videoclips seines Albums „After Hours“ waren inhaltlich verwandt und zeigten ihn immer im Szenario eines Horrorfilms oder Gangstermilieus. Tesfaye feierte darin, raste mit seinem Auto, hatte Zwischenfälle, wurde zusammengeschlagen, blutete, sah aus wie ein Zombie.
Auf diese Weise behält The Weeknd, der 2010 als anonymer Künstler im Internet von seinem Haus in Toronto aus begann, sein mysteriöses Image bis heute. Die düstere Bad-Boy-Inszenierung passt selten zum hellen Dance-Sound, passt aber definitiv gut in ein mythisches Popgeschäft. Wer will schon den transparenten, immer netten Star, von dem Sie alles wissen?
Tesfaye wurde 1990 in Toronto als Sohn eines äthiopischen Einwanderers geboren. Als Teenager war er drogenabhängig. Er brach die Schule ab und verließ für ein Wochenende sein Zuhause, worauf sich auch sein Name „Weekend“ bezieht, den er aber wegen einer gleichnamigen kanadischen Band bewusst falsch geschrieben hat.
Mit Quincy Jones
Der neue King of Pop wird immer mehr zum Gesamtkunstwerk. Wie es im Streaming-Zeitalter zu sein scheint, plant er für 2022 eine Serie beim Fernsehsender HBO. In „The Idol“ soll es um einen Popsänger gehen, der sich in Los Angeles mit einem ebenfalls sektenhaften Clubbesitzer verabredet Führer.
Die Verbindung zum 2009 verstorbenen „King of Pop“ Michael Jackson stellte The Weeknd nicht nur mit seinen Songs, sondern auch mit einem Albumauftritt des Musikproduzenten Quincy Jones her. Damit nahm Jackson einst seine erfolgreichsten Alben („Thriller“, „Bad“) auf. In einem knapp zweiminütigen Track erzählt der heute 88-Jährige, wie das Aufwachsen ohne Mutter seine spätere Beziehung zu Frauen beeinflusst hat. Als die Nähe zu groß war, trennte er sich, teils aus Rache, teils aus Angst. Hier wird Psychoanalyse zum Pop – oder umgekehrt.
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