Trendforscher Oliver Leisse: So haben sich unsere Essgewohnheiten verändert – Unterhaltung

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Trendforscher Oliver Leisse: So haben sich unsere Essgewohnheiten verändert – Unterhaltung

Oliver Leisse ist Zukunftsforscher und Trendforscher. Foto: Martina van Kann


Der Trend geht zum Naschen, wie eine neue Studie zeigt. „Das ist praktisch, weil man nicht viel Arbeit machen muss“, erklärt Trendforscher Oliver Leisse.

Frühstück, Mittag- und Abendessen – das ist der klassische Speiseplan des Tages. Aber ist diese Einteilung nicht längst überholt? Die dritte Studie „State of Snacking“ von Mondelez International zeigt, dass sich immer mehr Menschen für Snacks entscheiden. Jeder Zweite ersetzt sogar mindestens eine Mahlzeit am Tag durch einen Snack. Demnach geht es 83 Prozent in erster Linie um Genuss, 68 Prozent können sich einen Tag ohne Süßes nicht vorstellen. Doch woher kommt dieser Trend und wie sehen unsere Essgewohnheiten in Zukunft aus?

Der Zukunfts- und Trendforscher Oliver Leisse gibt im Interview Antworten. 2008 gründete er das Institut „See More“ in Hamburg, das unter anderem Trends erkennt und interpretiert. In seinem Podcast „So geht Zukunft“ analysiert er mit seinem Expertenteam auch anstehende Veränderungen.

Mehr als die Hälfte der deutschen Befragten gab an, im Gegensatz zu wenigen großen Mahlzeiten viele kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt zu sich zu nehmen – woher kommt dieser Trend?

Oliver Leisse: Nun, die alten Rituale werden flächendeckend auf den Prüfstand gestellt. Die Lebenswirklichkeit verändert sich. Früher gab es klare Zeitfenster, in denen Menschen zum gemeinsamen Essen zusammenkamen. Das Arbeiten von zu Hause aus hat sich inzwischen zum Beispiel geändert. Oft wird mittags nur eine Kleinigkeit gegessen, dann geht die Arbeit gleich weiter. Dafür hat man abends nach der Arbeit mehr Zeit, kocht mit Freude und Freunden. So naschen sie öfter am Tag. Das ist praktisch, weil man nicht viel Arbeit machen muss und es schnell geht.

68 Prozent sagen sogar, dass sie sich eine Welt ohne einen süßen Leckerbissen am Tag nicht vorstellen können…?

Leisse: Das liegt an der aktuellen Situation. Wir leben seit zwei Jahren in einer intensiven Zeit der Unsicherheit. Ein Stakkato schlechter Nachrichten erreicht uns. Da die Psyche schon lange keinen „Urlaub“ mehr machen kann, genießt man den machbaren Genuss – den süßen Genuss. Ein bisschen Freude im Alltag. Das bestätigt auch die Mondelez-Studie.

Hat die Corona-Pandemie Ihrer Meinung nach zu einem bewussteren Essverhalten geführt?

Leisse: Zunächst einmal sind wir davon ausgegangen, dass in Krisenzeiten vielleicht mehr gespart und weniger bewusst und qualitativ weniger gegessen wird. Das Gegenteil ist der Fall. Für viele Verbraucher vollzieht sich eine Verschiebung von der Masse zur Klasse. Das hochwertige Angebot schlägt das günstige Angebot. Wir sehen auch den Wunsch nach Innovation, es geht darum, wieder etwas Neues auszuprobieren. Wir haben es mit sehr bewussten Entscheidungen und viel Neugier zu tun.



Werden Themen wie Nachhaltigkeit unser Einkaufsverhalten noch stärker beeinflussen?

Leisse: Ja, auf jeden Fall. Die Generation Z (geboren um 2000) ist sehr konsumkritisch. Es muss nachhaltig sein, das Unternehmen muss deutlich machen, dass es Verantwortung trägt und verantwortlich handelt. Billige, nicht nachhaltige Discountprodukte werden von diesen aufmerksamen Käufern gemieden. Neben der grundsätzlichen Forderung nach Nachhaltigkeit gibt es immer mehr Aspekte, die für den Kauf wichtig sind. Wie die Studie zeigt, beziehen immer mehr Verbraucher bei der Markenwahl emotionale, psychologische oder soziale Faktoren in ihre Kaufentscheidung mit ein. Die gestrige Frage wurde vereinfacht: Wie schmeckt das Produkt? Die Frage ist heute komplexer: Was bringt das Produkt mir und der Gesellschaft? Echter Genuss stellt sich immer öfter erst dann ein, wenn das Produkt deutlich macht, dass man beim Kauf und Konsum kein schlechtes Gewissen bekommt.

Viele haben während Corona das Kochen für sich entdeckt. Gerade das Internet scheint eine schier unendliche Inspirationsquelle zu sein…?

Leisse: Ja, die Leute präsentieren ihre Kocherfolge gerne online. Wenn die Kreation „instagrammable“ ist, wird sie auf ihre Social-Media-Reise geschickt. Und so weitergegeben. Kochen ist kreativ, Sie können mit wenig Aufwand großartige Ergebnisse erzielen und Ihre Follower beeindrucken. Auch hier sehen wir viel Kreativität, denn natürlich geht es um die besondere Kreation des Küchenchefs. Süßes wird mit Salzigem kombiniert, verschiedene Kochkulturen werden wild kombiniert. Alles ist erlaubt – solange es eine Botschaft im Netz ist. So haben wir beispielsweise vor Jahren in Asien die Kombination von salzigen Pommes Frites mit Vanilleeis beobachtet und in Hongkong sehen wir jetzt, dass in Restaurants „Ice Cream Float“ angeboten wird – eine prickelnde Cola mit Softeis-Topping.

Die Pandemie hat sich unter anderem auch auf das Arbeitsleben und das soziale Miteinander ausgewirkt. Was waren die größten Veränderungen, die Sie in den letzten zwei Jahren gesehen haben?

Leisse: Gerade im Beruf ist die Frage nach dem Sinn in dem, was man tut, immer wichtiger geworden. Viele Menschen, ob in Kurzarbeit oder im Homeoffice, haben sich gefragt, ob ihre Arbeit sie wirklich erfüllt – das belegen nationale und internationale Studien. Auch die Überarbeitung hat zugenommen – während viele Arbeitgeber dachten, dass Homeoffice ohne Managementkontrolle zu weniger Output führt, zeigt sich nun, dass im Gegenteil oft immer intensiver gearbeitet wird. Als Solo-Worker im Homeoffice müssen wir uns besser um uns selbst kümmern, Pausen einlegen – und das öfter absichtlich (und das ist das wichtige Wort) genießen. Abschalten lernen. Natürlich wurde auch das gemeinsame Arbeiten vernachlässigt, sodass hybrides Arbeiten – mal gemeinsam, mal alleine – die Zukunft sein wird. Auch virtuelle Angebote werden derzeit entwickelt, um Distanzen abzubauen und wieder mehr Interaktion zu ermöglichen.