Viele haben Corona-Kilos gegessen

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Viele haben Corona-Kilos gegessen

Zwei Jahre Pandemie machen sich auf der Waage vieler Menschen bemerkbar: Manche haben ihr Essen verloren, andere haben sich in die Hosen gezwickt. Wieder andere hatten Zeit, sich um ihre Gesundheit zu kümmern.

Bergisch Gladbach/Fulda/Berlin – Wenn die Corona-Kilos einfach nicht weg wollen, setzt mancher auf Ernährungswissenschaftler wie Urte Brink aus Bergisch-Gladbach (Nordrhein-Westfalen). „Manchmal sind es zwei, manchmal 15 Kilo. Insgesamt ist viel Gewicht hinzugekommen“, sagt Brink, Mitglied im Berufsverband Oecotrophologie.

Doch das ist wohl nur die Spitze des Eisbergs: „Viele haben sich dem Thema noch nicht verschrieben, die große Welle kommt erst noch“, ist sie überzeugt. Eine aktualisierte Studie, die das Robert-Koch-Institut laut einer Sprecherin im März veröffentlichen will, könnte zeigen, wie viele Kilos die Menschen in Deutschland tatsächlich angesammelt haben.

Eine Untersuchung des „Journal of Health Monitoring“ aus dem ersten Jahr der Pandemie deutete bereits auf einen Trend zu mehr Gewicht hin: Die bundesweit rund 23.000 Befragten ab 15 Jahren nahmen zwischen April 2019 und September 2020 durchschnittlich 1,1 Kilogramm zu. Eine Online-Umfrage der Technischen Universität München im April 2021 zeigte, dass rund 40 Prozent der Teilnehmer seit Beginn der Pandemie an Gewicht zugenommen hatten. Im Durchschnitt waren es 5,6 Kilogramm.

Ernährungspsychologe Christoph Klotter von der Hochschule Fulda weiß, dass die Menschen derzeit zunehmen. Die Corona-Pandemie ist eine fundamentale Krise und eine ständige Bedrohung für das Unterbewusstsein. „Historisch gesehen essen wir mehr, wenn wir uns bedroht fühlen – aus Angst vor dem Verhungern. Das ist ein Überlebensreflex“, sagt Klotter.

Homeoffice und weniger Bewegung

Für viele besonders schwierig: die pandemiebedingte Arbeit zu Hause. Die Kuchenrunde mit Kollegen entfällt, der Weg zur Arbeit und damit häufige Bewegung im Alltag aber auch. Aber jetzt immer in der Nähe: Kühlschrank, Herd und Lebensmittelvorräte. Es ist schneller, einen Snack zu sich zu nehmen oder eine Schokolade zu schnappen.

„Homeoffice bedeutet, dass ich meine Kollegen nicht mehr sehe. Es ist ein schwerer Schlag, ich versuche irgendwie damit fertig zu werden“, erklärt Klotter. Für manche Menschen ist Essen der Emotionsmanager. Das limbische System, eine der ältesten Hirnregionen, sehnt sich bedingungslos nach Belohnungen. Und in einer Wohlstandsgesellschaft Essen ist die einfachste Form der Belohnung. Es gebe aber auch Menschen, die in Krisensituationen den Appetit verlieren, sagt Klotter. Letztere belohnen sich anders oder seien in einem Dauerstressmodus. „Manche vergessen zu essen“, sagt Klotter.

Aus der Not eine Tugend machen

Allerdings hat Beraterin Brink auch beobachtet, dass manche Menschen inzwischen viel mehr Möglichkeiten haben, sich mit dem Abnehmen auseinanderzusetzen: „Menschen in Kurzarbeit haben zum Beispiel mehr Zeit, rauszugehen und Spaß an Bewegung oder bewusstem Kochen zu haben.“ Eine von ihnen ist ihre Klientin Sandra R. aus dem Bergischen Land, die in sechs Monaten zwölf Kilogramm abgenommen hat.

„Dank der Ernährungsberatung habe ich endlich gelernt, die schlechten Essgewohnheiten in bessere umzuwandeln“, sagt die 51-Jährige. In Kombination mit zahlreichen Radkilometern, Gymnastik und Aquajogging purzelten die Pfunde schnell. Sie lernte auch, nach kleinen Rückschlägen nicht sofort aufzugeben, sondern immer positiv zu denken und entsprechend zu handeln.

Wichtig sei aus Klotters Sicht auch, sich nicht für die überzähligen Kilos zu verurteilen oder abzuwerten: „Man muss sich verzeihen und verstehen, dass wir einfach im Krisenmodus sind“, sagt er. Er rät den Betroffenen, sich zu sagen: „Ja, so ist es im Moment und hoffentlich ist es bald vorbei“ und zu schauen, wie sie ihre Gefühle anders regulieren können. „Ich empfehle, auf die Wochenenden zu schauen, wie ich mich in der kommenden Woche belohnen kann. Was beruhigt meine Nerven, wenn es nicht das Essen sein soll?“ sagt der Psychologe.

Für manche Menschen ist der tägliche Spaziergang eine Belohnung, für andere Entspannungstraining oder einfach nur entspannendes Musikhören. Hilfreich ist es auch, Tagebuch zu führen und Essgewohnheiten zu dokumentieren und zu reflektieren: „In welchen Situationen gehe ich an den Kühlschrank?“

Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hat einen Tipp, der helfen soll, nur den Kühlschrank ins Visier zu nehmen: Sie rät, Mahlzeiten für das Homeoffice so zuzubereiten, wie sie früher fürs Büro zubereitet wurden, und in den Kühlschrank zu stellen.

Das Thema Fettleibigkeit ist nicht ganz neu. In Deutschland waren viele Menschen schon vor der Pandemie übergewichtig. „Das Problem wird uns auch nach der Pandemie weiter beschäftigen“, sagt Gahl. dpa