Stand: 25.02.2022 16:32 Uhr
„Vitamin D schützt vor Covid-19!“ Ein gefährlicher Trugschluss, auch wenn Studien einen Zusammenhang vermuten lassen. Aber es gibt noch viel mehr Einflussfaktoren.
Vielleicht fing es wirklich mit Donald Trump an. Als der damalige US-Präsident im Herbst an Covid-19 erkrankte, stand auch ein Vitamin-D-Präparat auf der langen Liste seiner Therapeutika. Immer wieder haben sich im Verlauf der Pandemie Menschen zu Wort gemeldet, die in Vitamin D einen wahren Heilsbringer sehen. Tatsächlich tauchen immer wieder Studien auf, die einen Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D-Status eines Patienten und dem Krankheitsverlauf nahelegen. Das Problem dabei: Nicht alles daran ist falsch. Doch allzu oft werden sie falsch interpretiert und führen daher zu riskanten selbstgesteuerten Vorsorgeexperimenten.
Risikofaktoren schwer zu trennen
Kürzlich zum Beispiel einen gemacht Studieren aus Israel die Runde, in der über 1.000 Covid-19-Patienten auf ihren Vitamin-D-Status untersucht wurden. Fazit der Autoren: Ein Vitamin-D-Mangel vor der Infektion ist mit einem schweren Krankheitsverlauf und einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Aber: „Assoziiert heißt nicht kausal“, sagt Martin Smollich, Ernährungswissenschaftler am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.
Denn fast immer spielen andere Faktoren eine Rolle. In der Regel gibt es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die einen Vitamin-D-Mangel haben. Und sie haben oft ganz andere Risikofaktoren für Covid-19: höheres Alter, Pflegebedürftigkeit, Übergewicht, andere Vorerkrankungen, Mangelernährung aus sozioökonomischen Gründen. Oft kann man sie nicht voneinander trennen, weshalb der Einfluss des Vitamin-D-Status nicht errechnet werden kann.
Der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ist oft unklar
Umso problematischer ist es, wenn Laien die Schlussfolgerungen solcher Studien interpretieren. Denn Korrelation, also ein statistisch ermittelter Zusammenhang, bedeutet nicht automatisch eine Ursache-Wirkungs-Beziehung, eine Kausalität. Martin Smollich führt das berühmte Beispiel des Storchs an: Wenn in bestimmten Regionen, in denen es viele Klapperstörche gibt, viele Kinder geboren werden, heißt das nicht, dass der Mythos vom Klapperstorch, der die Kinder bringt, stimmt. Eine Erklärung ist vielmehr, dass Klapperstörche in ländlichen Gebieten leben, in denen Menschen mit vielen Kindern leben.
Im Fall von Vitamin D und dem Zusammenhang mit der Schwere der Erkrankung bei Covid-19 gibt es verschiedene Erklärungen: „Eine ist zum Beispiel, dass im Zusammenhang mit akuten Infektionen – nicht nur Covid-19, sondern auch andere infektiöse Erkrankungen – der Vitamin-D-Spiegel sinkt, weil Vitamin D während der Infektion verbraucht wird“, erklärt Martin Smollich. „Wenn ich mir akut Erkrankte ansehe und das mit Gesunden vergleiche, sehe ich bei diesen akut Erkrankten oft niedrige Vitamin-D-Spiegel. Das ist aber eine Folge und nicht die Ursache der Erkrankung.“ Smollich fasst die Studienlage wie folgt zusammen: „Bei einem Vitamin-D-Mangel besteht ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19, wir wissen aber nicht, ob es am Vitamin-D-Mangel oder an den sonstigen Umständen liegt.“ Wir können also keine Kausalität beweisen.“
Missverständnisse in Ernährungsstudien
Es ist ein häufiges Problem bei Ernährungsstudien, dass sie missverstanden oder mit der falschen Überschrift versehen werden, weil der Inhalt viel zu gekürzt ist. Es gibt aber auch methodisch schlecht gemachte Forschung, die Störfaktoren nicht berücksichtigt, grundlegende statistische Regeln missachtet oder grobe Fehler bei der Auswahl der Probanden macht und daher stark verzerrte Ergebnisse liefert. Dies kann bei Preprints passieren, also Studien, die veröffentlicht werden, bevor andere Wissenschaftler sie begutachtet haben. Viele von ihnen schaffen es deshalb später nicht in eine anerkannte wissenschaftliche Zeitschrift.
Ernährungsforscher Martin Smollich vom UKSH klärt auf Twitter über Vitamin D auf.
„Und dann gibt es natürlich Fälschungen, trotz Peer-Review-Verfahren“, erklärt Martin Smollich. „Aber bei den meisten Studien haben wir eine mittlere, gute oder sehr gute Qualität. Aber dann ist die Kommunikation bzw. Berichterstattung über diese Studien eine Herausforderung, weil differenzierte wissenschaftliche Daten kurz und prägnant zusammengefasst werden müssen, damit sie auch klickbar und anklickbar sind.“ leicht zu lesen sind. Da haben wir natürlich oft einen Widerspruch.“ Auf Twitter erklärt der Lübecker Ernährungsforscher über Vitamin D.
Vitamin D als Therapeutikum nur bei Mangel
Etwas schwieriger wird es bei der Frage, welche Bedeutung Vitamin D in der Therapie von Covid-19 haben kann. Es gibt keine generelle Empfehlung, Patienten im Krankenhaus Vitamin D zu verabreichen. Der Hamburger Intensivmediziner Stefan Kluge hat die entsprechende medizinische Leitlinie mitverfasst. Er sagt: „Es gibt widersprüchliche Studiendaten. Es wurden große Studien gemacht, in denen eine Gruppe von Covid-19-Patienten auf der Intensivstation Vitamin D und die andere Placebo bekam. In der Vitamin-D-Gruppe war es nicht signifikant besser Andererseits wissen wir aus großen Kohortenstudien, dass Vitamin D bereits eine Rolle im Immunsystem spielt und Covid-19-Patienten eher einen Vitamin-D-Mangel haben.“ Daher lautet die Empfehlung: Bei Verdacht auf einen Mangel wird der Vitamin-D-Spiegel im Blut kontrolliert und gegebenenfalls substituiert. Aber nur dann.
Kein vorbeugender Nutzen gegen das Coronavirus
Gleiches gilt im Prinzip auch für die Prophylaxe: Ärzte und Wissenschaftler warnen davor, Vitamin D als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, um einer Covid-19-Erkrankung vorzubeugen, auch weil der blinde Glaube an Vitamin D als „Game Changer“ andere Schutzmaßnahmen zur Vernachlässigung verleiten kann. Der Hamburger Ernährungswissenschaftler Matthias Riedl beobachtet, dass Vitamin D oft zum „Supervitamin“ stilisiert und als Allheilmittel angesehen wird.

Vor der Einnahme von Vitamin D sollten Sie Ihren Vitamin-D-Status überprüfen lassen.
Wer keiner Risikogruppe angehört, sich gesund ernährt und sich ausreichend im Freien bewegt, profitiert in der Regel nicht von Vitamin-D-Präparaten. Anders verhält es sich bei Menschen mit Vorerkrankungen, aber auch bei Menschen mit dunkler Hautfarbe oder Vollverschleierung, denn Vitamin D3 wird durch den Einfluss von UV-Licht auf der Haut selbst gebildet. Sie müssen daher ein mögliches Defizit im Auge behalten. Dann sollte jedoch der Serumspiegel ärztlich bestimmt werden, meist ist eine höhere Dosis erforderlich.
Vitamin D: Überdosierung gefährlich
Vor allem eine Überdosierung kann gefährlich sein. Da Vitamin D nicht wasserlöslich, sondern fettlöslich ist, wird es im Körper gespeichert. „Das typische an einer Vitamin-D-Überdosierung ist, dass Vitamin D zu einem Anstieg des Kalziums im Blut führt“, erklärt Martin Smollich. „Und dieses Kalzium im Blut verursacht dann Herzrhythmusstörungen, die sehr gefährlich sein können, aber auch die Bildung von Kalziumsteinen, besonders in den Nierengefäßen.“ Dadurch können die Nieren massiv geschädigt werden oder sogar ausfallen. Gerade für Kinder, deren Eltern sorglos auf die Unbedenklichkeit von Vitaminen vertrauen und Präparate beispielsweise großzügig mit einer Pipette dosieren, kann das fatale Folgen haben.
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