Ab 2023 soll der gesamte in Hannover anfallende Klärschlamm in Lahe verbrannt werden. Die Bauarbeiten an der sogenannten Monoverbrennungsanlage sind in vollem Gange. Aber warum wird diese Anlage überhaupt gebaut? Wer liefert dort noch seinen Klärschlamm ab? Und welche Kritik gibt es an der Verbrennung? Die wichtigsten Fragen und Antworten auf einen Blick.
Warum ist die Änderung notwendig?
Klärschlamm ist das, was in Kläranlagen nach der Behandlung des Abwassers zurückbleibt. Der anfangs nasse Schlamm enthält alles, was irgendwo in den Abfluss gelangt ist. Dazu gehören verschiedene Schadstoffe, wie Schwermetalle, Medikamentenrückstände, Krankheitserreger, Nanopartikel oder Plastikrückstände.
Gleichzeitig enthält Klärschlamm auch einige Nährstoffe wie Phosphor, Stickstoff oder Kalium. Diese Nährstoffe haben Klärschlamm in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Düngemittel in der Landwirtschaft gemacht.
Die Ausbringung von Klärschlamm als Düngemittel soll aufgrund der darin enthaltenen Schadstoffe künftig stark eingeschränkt werden. 2017 trat eine neue bundesweite Klärschlammverordnung in Kraft, die den schrittweisen Ausstieg aus der Verwendung als Düngemittel vorsieht. Für Kläranlagen unterschiedlicher Größe gelten unterschiedliche Fristen.
Ab 2029 dürfen Schlämme aus Großkläranlagen nicht mehr auf Felder ausgebracht werden. Dazu gehören die beiden Werke in Hannover. Das Jahr 2032 ist der Stichtag für mittelgroße Kläranlagen. Kleinere Anlagen sind bisher vom Ausstieg ausgenommen.
Eine weitere Entsorgungsmöglichkeit ist bisher die Mitverbrennung in anderen Verbrennungsanlagen wie Müllheizkraftwerken oder Zementwerken. Aber auch das wird durch die Klärschlammverordnung von 2017 eingeschränkt. Grund dafür ist, dass die im Schlamm enthaltenen Nährstoffe bei der Mitverbrennung verloren gehen, vor allem der Phosphor.
Dies ist eine lebenswichtige Ressource, denn sie wird für die Herstellung von Düngemitteln und damit für die Ernährung der Menschheit benötigt. Gleichzeitig sind die Phosphorvorkommen der Erde endlich. Daher verpflichtet die Klärschlammverordnung, künftig Phosphor aus dem Klärschlamm zurückzugewinnen. Auch hier gelten die gleichen größenabhängigen Fristen von 2029 für große und 2032 für mittlere Anlagen.
Was ist bisher mit dem Klärschlamm aus Hannover passiert?
Auf den beiden hannoverschen Kläranlagen in Herrenhausen und Gümmerwald fallen jährlich rund 56.000 Tonnen Klärschlamm an. Die Entsorgung dieser Schlämme muss europaweit ausgeschrieben werden. Laut einem Sprecher der Stadt wird davon derzeit etwa ein Drittel in der Landwirtschaft genutzt und zwei Drittel durch Mitverbrennung entsorgt.
Die derzeitigen Entsorgungsmethoden sollen bis Ende 2022 fortgesetzt werden. Die Kosten dafür beliefen sich auf rund acht Millionen Euro pro Jahr. Laut einem Sprecher zahlt die Stadt für die Müllverbrennung in Lahe künftig rund 4 Millionen Euro pro Jahr zuzüglich Transport und Mehrwertsteuer.
Wie funktioniert die neue Verbrennungsanlage in Lahe?
Die neue Monoverbrennungsanlage in Lahe soll die Klärschlammentsorgung in Hannover langfristig sicherstellen. Der Vertrag zwischen Enercity und der Stadt läuft über 25 Jahre. Neben der Schlammentsorgung und der Phosphorrückgewinnung soll die gewonnene Energie auch als Fernwärmequelle für 5.000 hannoversche Haushalte genutzt werden.
Das System soll laut Enercity so funktionieren: Der per LKW angelieferte Klärschlamm wird zunächst bei rund 100 Grad Celsius vorgetrocknet. Die dafür benötigte Energie wird aus der späteren Verbrennung gewonnen. Beim Trocknen entsteht Wasserdampf, der auch „Dampf“ genannt wird. Diese wird wieder kondensiert und die zurückgewonnene Wärme als Fernwärme genutzt.
Der getrocknete Klärschlamm wird anschließend bei über 850 Grad Celsius verbrannt. Das entstehende Rauchgas gelangt in einen Abhitzekessel. Mit dem heißen Dampf wird eine Turbine betrieben, die unter anderem Strom für das Werk und auch Energie für die Fernwärmeversorgung produziert.
Laut Enercity soll das System trotz des unappetitlichen Rohstoffs keinen unangenehmen Geruch an die Umgebung abgeben.
Wie soll die Phosphorrückgewinnung funktionieren?
Durch einen Gewebefilter in der Verbrennungsanlage wird phosphorhaltiger Aschestaub gewonnen, aus dem dann Phosphor zurückgewonnen werden kann. Allerdings wird Enercity mit der Phosphorrückgewinnung nicht bei Inbetriebnahme der Anlage beginnen, sondern erst 2024.
Wie genau der Rohstoff aus der Asche gewonnen werden soll, ist noch nicht klar. „Wir beobachten weiterhin die Entwicklung der verschiedenen Prozesse“, sagt Enercity. Die Entwicklung des Verfahrens steckt noch in den Kinderschuhen. Aber eines ist klar: Die Verwertung findet nicht in Lahe statt, sondern „in einem eigenen Werk außerhalb von Hannover“.
Woher kommt der verbleibende Klärschlamm?
Die Enercity-Anlage in Lahe kann 130.000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr verarbeiten. Allerdings stammt nur etwa die Hälfte aus den Kläranlagen Hannovers. Um die Transportwege kurz zu halten, wäre es daher sinnvoll, auch die Schlämme aus den umliegenden Gemeinden nach Lahe zu bringen.
Doch es gibt Konkurrenz, denn auch in Hildesheim soll eine Monoverbrennungsanlage für Klärschlamm entstehen. An der Anlage Hildesheim, die 2025 in Betrieb gehen soll, sind insgesamt 23 Kommunen und Abwasserunternehmen als Gesellschafter der Kommunalen Nährstoffrückgewinnung Niedersachsen GmbH (KNRN) beteiligt. Aus der Region Hannover: Barsinghausen, Langenhagen, Springe, Sehnde, Wedemark und Wunstorf.
Noch in diesem Jahr soll mit dem Bau der Anlage in Hildesheim begonnen werden, die eine ähnliche Größe wie die Enercity-Anlage in Lahe haben soll. Es soll 2025 in Betrieb gehen. Auf Nachfrage dieser Zeitung betonten die meisten Anteilseigner, dass sie sich nicht gegen Enercity, sondern für KNRN entschieden hätten. Ihr Vorteil: Da Sie selbst an der Anlage beteiligt sind, müssen Sie die Klärschlammentsorgung nicht mehr europaweit ausschreiben.
Woher der restliche Klärschlamm für Lahe kommt, ist noch unklar. Enercity gibt zwar an, mit Kommunen und regionalen Marktpartnern zusammenzuarbeiten und Kooperationsverträge abgeschlossen zu haben, will aber „aus Wettbewerbsgründen“ keine weiteren Details nennen. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass das System nach einer sechsmonatigen „Einlaufphase“ voll ausgelastet ist.
Warum gibt es Widerstand?
Die Monoverbrennungsanlage in Lahe ist nicht unumstritten. Vor allem der Umweltschutzverein aus dem an Lahe grenzenden Isernhagen kämpft seit Jahren mit Protesten, Gutachten und Klagen gegen den Bau der Anlage. Sein Hauptargument: Durch Verbrennung und Transport wird viel klimaschädliches CO2 emittiert. Mehr als 1.000 Menschen haben eine Petition des Vereins unterzeichnet, die einen generellen Stopp der Klärschlammverbrennung fordert.
Der Umweltverband bevorzugt eine andere Methode zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm, die sogenannte Pyrolyse. Der Klärschlamm wird nicht verbrannt, sondern sauerstoffarm zu Pflanzenkohle verbrannt. Die Umweltschützer argumentieren, dass weniger CO2 freigesetzt wird. Zudem kann die Pyrolyse direkt an Kläranlagen durchgeführt werden, wodurch Transportwege entfallen würden.
Energie sieht das anders. Nach Angaben eines Unternehmenssprechers ist die derzeit verfügbare Pyrolysetechnik „aus technischen und wirtschaftlichen Gründen“ für die in Hannover anfallenden Klärschlammmengen nicht praktikabel. Da die in der Verbrennungsanlage erzeugte Energie auch als Fernwärme genutzt wird und somit fossile Brennstoffe eingespart werden, ist die CO2-Bilanz insgesamt nicht schlechter als bei der Pyrolyse. In einem Interview mit dieser Zeitung bezeichnet der Abwassertechnik-Experte Carsten Meyer die Pyrolyse von Klärschlamm als noch nicht ausgereift.
Inzwischen der Umweltschutzverband gab seinen Widerstand auf. Man müsse zugeben, dass der Müllverbrennungsofen „mangels politischer Unterstützung nicht mehr zu verhindern ist“, sagte der stellvertretende Vorsitzende Siegfried Lemke. Trotzdem ist man nach wie vor davon überzeugt, dass die Verbrennung der falsche Weg ist.
Die genaue Klimabilanz der neuen Anlage lässt sich erst abschätzen, wenn alle Transportwege frei sind. Die Stadt Hannover gibt bekannt, dass sie den Klärschlammtransport mit emissionsfreien Lkw anstrebt.
Von Yannick von Eisenhart Rothe