100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr, und 65 Prozent der Deutschen sagen: Stimmt. Laut „ARD-Deutschlandtrend“ begrüßen sogar 68 Prozent die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Verteidigungsausgaben dauerhaft auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Was ab 2022 24 Milliarden mehr pro Jahr bedeutet. Jedes Jahr.
Um die Dimensionen dieser politischen Zäsur zu verdeutlichen: Der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) betrug im vergangenen Jahr 20,8 Milliarden Euro. Und das war ein Allzeitrekord, angekurbelt durch spezielle Corona-Programme.
Offizielle Versicherungen
Regierungssprecher Steffen Hebestreit versicherte, dass die Bundesregierung alle Projekte in allen Politikbereichen in diesem Jahr unverändert fortführen werde. Sein Argument, dass die Haushalte der anderen Ministerien unberührt bleiben, weil die 100 Milliarden als „Sondervermögen“ an die Bundeswehr gehen sollen, gilt natürlich nur kurzfristig. Abgesehen davon, dass diese 100 Milliarden die Bundesverschuldung und damit den allgemeinen Spardruck erhöhen, werden sie irgendwann aufgebraucht sein.
Die mindestens 24 Milliarden zusätzlichen Verteidigungsausgaben pro Jahr, Tendenz steigend, gehen danach jedoch weiter. Während fortan weitere ungeplante Milliardensummen auf den ohnehin schon Corona-gebeutelten Bundeshaushalt drücken: für die Aufnahme von Flüchtlingen und humanitäre Hilfe für die Ukraine, für die soziale Abfederung steigender Energiepreise und den dringenden Ersatz russischer Gaslieferungen.
(Aktuelle Karte die von Präsident Putin angeordnete Invasion der Ukraine.)
Sie müssen mit Steuereinnahmen finanziert werden, die aufgrund des voraussichtlichen wirtschaftlichen Abschwungs durch die Russlandkrise geringer ausfallen dürften als erwartet. Und trotz allem will FDP-Finanzminister Christian Lindner die Schuldenbremse im Grundgesetz ab 2023 wieder einhalten.
Plausible Zweifel
Das funktioniert nur, wenn alle Ministerien massiv sparen. Angesichts der vielen Prestigeprojekte und Zukunftsinvestitionen im Ampelkoalitionsvertrag kann man sich kaum vorstellen, welchen Verteilungskampf das auslösen wird. Dass Bildung und Forschung besonders gut abschneiden, ist bestenfalls zu hoffen.
Die entsprechenden Kapitel im Vertrag der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ gehören zu den ehrgeizigsten überhaupt: 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung. Mehr Geld für Kitas, Schulen und Universitäten.
(Lesen Sie hier unsere Liveblog zur aktuellen Situation im Ukraine-Konflikt.)
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Entsprechend viel Vorschusslorbeeren erhielten SPD, Grüne und FDP von den führenden Vertretern der Bildungs- und Forschungsszene. Nur wenige beschwerten sich, dass die schöne Stoffkollektion eine große Schwäche hatte: Sie habe keine Prioritäten gesetzt. Sie machte nicht einmal deutlich, wie viel Geld dafür benötigt würde. Und genau das wird nun zur wichtigsten Aufgabe von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Sie muss für ihre Abteilung um möglichst viel Geld kämpfen.
Notwendige Priorisierung
Sie muss aber auch sagen, welche Zusagen des Koalitionsvertrags die wichtigsten sind, die auf jeden Fall kommen werden. Was sie kosten und wie sie sie finanzieren wollen. Das Schlimmste wäre, wenn alle hochfliegenden Pläne kämen und alle unterfinanziert wären.
Je knapper das Geld, desto größer die Notwendigkeit, Programme und Förderlinien an anderer Stelle im BMBF-Haushalt gegen etwas Neues zu streichen. Eigentlich etwas, was strategische Abteilungsleiter immer tun sollten, was aber in normalen Zeiten selten vorkommt, weil es so unbeliebt ist.
Entsprechend verkrustet sind die Förderstrukturen im BMBF vielerorts. Unterdessen hat Christian Lindner den Kabinettsvorschlag für den Bundeshaushalt um eine Woche auf den 16. März verschoben. Der Fokus soll dann weniger auf dem Jahr 2022 liegen, sondern mehr auf der mittelfristigen Finanzplanung bis 2025. Dann wird sich zeigen, wie viel der selbsternannten progressiven Koalition ist noch übrig.
Der Autor ist Bildungsjournalist und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Geschehnisse an Schulen und Universitäten.