Freiheit kommt nur mit Regeln. Ohne komplexe Straßenverkehrsordnungen, die zudem noch mit Kontrollen und Strafen verstärkt werden, wäre niemand von uns in der Lage, Verkehrswege sicher zu nutzen. Ohne strenge Waffengesetze wären Gewalt und Unsicherheit auch in Deutschland weiter verbreitet. Ohne wissenschaftliche Regeln gäbe es keine überprüfbaren Erkenntnisse. Und ohne Grammatik und Umgangsformen könnten wir nicht einmal miteinander kommunizieren! Um mit Krankheiten und insbesondere Pandemien umzugehen, sind Regeln unabdingbar. „Impfen schützt auch die Kultur“ stand zu Recht auf einem Transparent des Stadttheaters Pforzheim.
Entsprechend schrieb der große Liberale, der heute leider auch von Marktradikalen missbraucht wird Ludwig von Mises aus Wien in seinem Grundlagenwerk „Liberalismus“ (Jena 1927, darunter eine Neuauflage 2006 in der Friedrich-Naumann-Stiftung) :
„Wenn jemand seinem Arzt antwortet, der ihm eine vernünftige – also hygienische – Lebensweise empfiehlt: ‚Ich weiß, dass Ihr Rat vernünftig ist; aber meine Gefühle verbieten mir, ihnen zu folgen; Ich möchte einfach – auch wenn es unzumutbar ist – genau das tun, was meiner Gesundheit schadet.
Als Jude, von den Nationalsozialisten aus Europa vertrieben, gelang von Mises eine zweite Karriere in den USA – im wirklichen Leben ebenso wie in Entenhausen. Hier wurde er zur Vorlage für die Wiener Professoren Primus von Quack in den Donald-Duck-Comics.
Aus meiner Sicht ist es daher völlig klar, dass es bei jedem Regelwerk immer Kritik- und Verbesserungsbedarf geben kann. Wie von Mises verstehe auch ich ein „Kulturunwohlsein“, wenn gerade ehemals einflussreiche Milieus – etwa weiße Männer wie ich – das Gefühl haben, Privilegien und Freiheiten zu verlieren. Hinter „Man(n) wird wohl noch sagen dürfen..!“ unangenehme Ressentiments beginnen oft.
Aber wenn dann noch nicht mehr Verschwörungsmythen verbreitet werden, sondern konstruktive Kritik, und Verschwörungsvorwürfe keine Sachargumente mehr sind, dann scheitert jedes Gespräch. Es gab keine Freiheit mehr – für niemanden – wenn Menschen wie die Familie von Mises antisemitisch entrechtet und verfolgt wurden. Wer sich mit digitalen Verschwörungssekten wie QAnon oder Querdenken einlässt, gefährdet andere und sich selbst.
Rechtsextreme Attacken gegen die Pforzheimer Zusammengehörigkeit seit Jahren
Und leider wird das vielfältige Pforzheim seit Jahren von rechtsextremen und antisemitischen Gruppen angegriffen, die das Zusammenleben von nichtreligiösen, jüdischen, christlichen, muslimischen, jesidischen und Pforzheimern unterschiedlichen Glaubens sabotieren wollen. Dazu gehören antijüdische Wahlplakate, rechtsextreme Aufmärsche auf dem Wallberg und sogenannte ungeimpfte Judenstars, die die wahren Opfer des Holocaust verhöhnen und gleichzeitig unsere Demokratie als Nazistaat verleumden.
Höhnischer ungeimpfter Judenstern in Pforzheim, nahe der Synagoge. Foto: Jüdische Gemeinde Pforzheim
Aus all diesen Gründen stand es für mich außer Frage, nach der Rede für Monismus und gegen Antisemitismus in Filderstadt auch die Einladung nach Pforzheim anzunehmen, um über die Menschenkette zusammenzuhalten. Ich wollte den Menschen danken, die ihre wunderbare Stadt und Region friedlich und demokratisch gegen die wiederholten Angriffe von Verschwörungsgläubigen verteidigen.
Weil gerade in der Nähe von Kusel in unserem Nachbarland eine Polizistin und ein Polizist im Dienst für unsere Sicherheit und Ordnung erschossen worden waren, war es mir ein Anliegen, gegen den herannahenden Trommellärm der verschwörungsmythologischen Demonstration gegen die Pandemie um eine Schweigeminute zu bitten Maße. Was für eine Farce: Dass die Leute es nicht einmal bemerken wollen, dass die Polizei ihr Recht auf Demonstrationen, egal wie absurd, nicht nur respektiert, sondern sie schützt.
Laut Organisator Gerhard Baral – der auch für seinen Kollegen Carl Schmitt sprach – finden Sie auch meine Rede ab Minute 21:20 Uhr, die von einem Störer angegriffen wurde.
Besonders gefreut hat mich die breite Beteiligung demokratisch gewählter Politiker – von zahlreichen Stadtverordneten und Bürgermeister Andreas Felchle (Maulbronn) über die Bundestagsabgeordneten Katja Mast (SPD), Gunther Krichbaum (CDU) und Stephanie Aeffner (Grüne) sowie die Landtagsabgeordneten Stefanie Seemann & Felix Herkens (Grüne) und MdL aD Marianne Engesser (CDU). Von den Kirchen konnte ich Dekanin Christiane Quincke (ev.) und Pfarrer Georg Lichtenberger (kath.) begrüßen, von der Jüdischen Gemeinde unter anderem Rami Suliman, der auch Mitglied meines Expertenrates ist.
Ich habe mich sehr über das große Interesse gefreut, aber auch über die intensiven Diskussionen im Anschluss – etwa über einen stärkeren rechtlichen Schutz von Gedenkstätten und die dringend notwendige Anerkennung des Judendeutschen als deutsche Sprache, einschließlich der Gleichstellung jüdischer Zuwanderer. Weil ich glaube, dass gesprochene Worte in einer Demokratie mindestens genauso wichtig sind wie Texte. Nicht zufällig betitelt Dankesrede von Martin Buber zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1953: „Das echte Gespräch und die Möglichkeit des Friedens.”