Bösartige Zellen verstehen: „Wir suchen in Metastasen nach der metabolischen Achillesferse“

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Bösartige Zellen verstehen: „Wir suchen in Metastasen nach der metabolischen Achillesferse“

Die Diagnose von Metastasen ist für Betroffene, Behandler und deren Angehörige eine wirklich schlechte Nachricht, denn die Heilungschancen sinken um ein Vielfaches. Wie man diese Zellen in Zukunft bekämpfen kann, beschäftigt sich derzeit unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Alpaslan Tasdogan am Institut für Tumorstoffwechsel in der Klinik für Dermatologie der Universitätsmedizin Essen.

ntv.de: Prof. Tasdogan, Sie wollen den Metastasen den Kampf ansagen. Aber was sind Metastasen?

Alpaslan Tasdogan: Metastasen sind Zellen, die sich erfolgreich vom ursprünglichen Tumor, dem Primarius, gelöst und Ableger in den Lymphknoten oder anderen Organen des Patienten gebildet haben. Die Leute sagen dann, dass sich der Krebs ausgebreitet hat. Je nach Krebsart können sich Metastasen in verschiedenen Organen wie Leber, Lunge, Knochen oder Gehirn ansiedeln. Dort zerstören sie dann das umliegende Gewebe. Die Metastasen wandern dann oft weiter aus den betroffenen Organen heraus. Bisher ist bekannt, dass sich die bösartigen Zellen sowohl über das Blut als auch über das Lymphsystem im Körper ausbreiten können. Das macht die Metastasen so gefährlich, weil sie sich im ganzen Körper ausbreiten können. Wie genau die Krebszellen diese Wege durch den Körper zurücklegen können, ist ein Schwerpunkt meiner Forschung hier an der Universitätsmedizin Essen. Die Krebszelle muss viele Schritte durchlaufen, um als Metastase weiterzukommen.

Kann jede Art von Krebs zu Metastasen führen?

Tatsächlich ist jede Form von Krebs in der Lage, Metastasen zu bilden. Dies hängt jedoch vom Stadium ab, in dem sich der Krebs befindet. Es gibt Formen, die wir als aggressiv bezeichnen, weil sie schnell zu Metastasen führen, darunter Brustkrebs, Prostatakrebs und natürlich Melanome. Bei Prostatakrebs zum Beispiel treten Metastasen sehr oft zuerst in den Knochen, in der Lunge und im Gehirn auf. Je nach Krebsart folgt die Ausbreitung oft einem bestimmten Muster. Wir Ärzte hoffen immer, dass wir Patienten in einem frühen Stadium von Krebs behandeln können. Aber das passiert leider nicht immer.

Was macht Metastasen zu einem Problem bei der Behandlung von Krebspatienten?

Sobald sich Metastasen in anderen Organen angesiedelt haben, ist das ein echtes Problem. Etwa 90 Prozent der Patienten sterben nicht am Krebs selbst, sondern an den Metastasen. Während der Primarius vor allem in den Stadien I und II gut behandelbar ist, sprechen Metastasen oft nicht auf Therapien an oder werden therapieresistent. Oft lassen sie sich nicht oder nicht mehr operativ entfernen. Wenn zum Beispiel schon die gesamte Leber von Metastasen befallen ist, dann kann man nicht mehr operieren und auch mit einer Strahlentherapie kommt man nicht mehr an alle ran. Auch Metastasen sprechen oft nicht auf eine Chemotherapie an. So kann es passieren, dass die Therapie von Patienten zwar den ursprünglichen Krebs besiegt hat, die Metastasen aber zurückbleiben und zum Tod führen. Ich möchte mit meinem Team herausfinden, wie es möglich ist, das weitere Wachstum von Metastasen zu kontrollieren bzw. zu stoppen, damit die Funktionen der Organe erhalten bleiben und Patienten mit Metastasen weiterhin gut leben können.

Sie haben Ihre Forschung auf Metastasen beim Melanom konzentriert. Wieso den?

Mein Hauptaugenmerk als forschender Arzt und Dermatologe liegt für mich auf dem schwarzen Hautkrebs, weil ich immer wieder sehe, wie schnell sich dieser Krebs im Körper ausbreiten kann. Ab einer Größe von zwei Millimetern ist dieser Krebs in der Lage, Metastasen zu bilden und sich weiter auszubreiten. Das macht schwarzen Hautkrebs so gefährlich. Mit der sogenannten TNM-Klassifikation, also T – Tumor, N für Knoten, also Knoten, und M für Metastasen, genügen Millimeter, um diesen Krebs von einem Stadium ins nächste einzuordnen. Deshalb ist diese sehr kleine, aber sehr aggressive Krabbe so gefürchtet. Wir haben in meinem Labor hier in Essen sehr gute Modelle, mit denen wir die verschiedenen Stadien der Metastasierung sehr gut studieren können. Ich persönlich kann an meine Arbeit in Amerika anknüpfen. Schwarzer Hautkrebs ist auch ein sehr gutes Beispiel dafür, wie sich Forschung positiv auf Patienten auswirken kann. Insbesondere dank der Immuntherapie, aber auch anderer neuer Therapien, können wir heute dafür sorgen, dass Patienten fünf bis zehn Jahre mit der Krankheit leben können.

Wo genau setzt Ihre Forschung mit Metastasen an?

Wir wissen bereits, dass die Bildung von Metastasen ein sehr komplexer und gleichzeitig sehr ineffizienter Prozess ist. Nur etwa 0,01 Prozent aller im Blut zirkulierenden Tumorzellen metastasieren. Die meisten Tumorzellen sterben oder können sich am Ziel nicht vermehren. Es ist also nur ein sehr kleiner Teil der Zellen, der es schafft, Metastasen zu werden. Die Frage an uns Forscher lautet also: Wie schaffen es die Zellen, diese hohen Hürden im Körper zu überwinden? Klar ist, dass diese Tumorzellen ihre genetischen und epigenetischen Eigenschaften ändern müssen. Aber das sind Prozesse, die länger dauern. Um sich erfolgreich ausbreiten zu können, müssen Krebszellen, die in den Körper eindringen, ihren Stoffwechsel, auch Metabolismus genannt, schnell anpassen. Die Zelle, die zur Metastase wird, muss sich also nicht nur genetisch, sondern im ersten Schritt auch metabolisch verändern.

Warum ist diese Anpassung notwendig?

Prof. Alpaslan Tasdogan in seinem Labor.

Die Tumorzellen des Melanoms, die sich in der Haut befinden und sich ausbreiten, haben ein ganz anderes Milieu, eine ganz andere Sauerstoff- oder Nährstoffversorgung zum Beispiel als jene, die dann ins Blut gelangen. Es gibt ganz andere Voraussetzungen. Auch in Organen wie Leber, Lunge oder Gehirn unterscheiden sich diese Zustände voneinander. Wir wissen bereits, dass diese metabolischen Anpassungen im Vergleich zu genetischen und epigenetischen relativ schnell und früh erfolgen. Und hier setzt meine Recherche an. Mein Team kann sowohl die verschiedenen Stadien von Krebszellen untersuchen als auch wie sie in verschiedene Organe metastasieren. Ziel ist es, den Stoffwechsel der Zellen zu analysieren und dieses Wissen in einem nächsten Schritt therapeutisch zu nutzen. Wir wissen, dass die Krebszelle in der Leber von ganz anderen Dingen abhängig ist als beispielsweise die Krebszelle im Gehirn. Das jeweilige Milieu spielt also eine wichtige Rolle. Hier wollen wir angreifen. Ziel unserer Forschung ist es, die metabolische Achillesferse von Metastasen aufzudecken und anschließend neue Therapieansätze zu identifizieren. Wenn wir wissen, was eine in die Leber eingewanderte Krebszelle zum Überleben braucht, können wir auch Therapien entwickeln, die der Zelle diese Lebensgrundlage entziehen. Dadurch sollen die Metastasen beseitigt oder zumindest am Wachstum gehindert werden. Auch eine präventive Therapie ist denkbar.

Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis es wirksame Medikamente zur Behandlung von Metastasen gibt?

Der Transfer neuer Forschungsergebnisse aus dem Labor in die Anwendung in der Klinik macht die Arbeit hier in Essen für mich sehr attraktiv. Allerdings braucht jede Recherche Zeit. So begann in den 1990er Jahren die Erforschung der Immuntherapie, die für die Behandlung des Melanoms revolutionär ist und für die 2018 der Nobelpreis verliehen wurde. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit unserer Forschung tatsächlich neue Therapieansätze identifizieren können.

Was wünschen Sie sich zum heutigen Weltkrebstag?

Wir wissen, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch einen gesunden Lebensstil verhindert werden könnten. Ich würde mir daher wünschen, dass krebsfördernde Verhaltensweisen wie das Rauchen aufgegeben oder zumindest überdacht werden. Oder auch wenn jemand zum Beispiel regelmäßig ins Solarium geht, dann ist das Risiko sehr hoch, dass er im Laufe seines Lebens an schwarzem Hautkrebs erkrankt. Daher würde ich mir auch wünschen, dass mehr Menschen zur Vorsorgeuntersuchung gehen würden. Ziel ist es, den Krebs im Frühstadium zu entdecken, da dies die Heilungschancen enorm erhöht. Als Forscher wünsche ich mir natürlich, dass wir Forscher in Deutschland weiterhin so gefördert und unterstützt werden, wie wir derzeit unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt werden, damit wir unseren Patienten mit unseren Forschungsergebnissen helfen können.

mit Prof Dr. Dr. Alpaslan Tasdogan sprach Jana Zeh aus