Der deutsche Patient 1 muss etwas geahnt haben, sonst wäre er am Morgen des 27. Januar 2020 wohl kaum ins Tropeninstitut München gegangen. Damals war der 33-Jährige aus dem Landkreis Landsberg am Lech beim Oberen tätig Bayerischer Automobilzulieferer Webasto. Ein paar Tage zuvor hatte er mit einem Kollegen aus Shanghai an einem Meeting teilgenommen, sie tranken Kaffee. Nach ihrem Rückflug wurde die Kollegin in China positiv auf das Coronavirus getestet. Am Morgen des 27. Januar kann auch der Mann getestet werden. Am Abend steht fest: Der Test ist positiv. Das Coronavirus ist in Deutschland angekommen.
Seitdem hat es sich durch die Republik gefressen: Mehr als 100.000 Menschen sind gestorben, das öffentliche Leben seit Monaten lahmgelegt. Die folgenden Grafiken zeigen den Tribut, den Covid-19 in Deutschland in den letzten zwei Jahren gefordert hat. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) haben sich bislang rund neun Millionen Menschen infiziert. Die Inzidenzkurve ist zum Symbol der Pandemie geworden. Viermal stieg und fiel sie wieder, gefolgt von der Zahl und Schwere der Corona-Maßnahmen. Aktuell häuft es sich zum fünften Mal; so hoch wie nie.
In den Wochen nach dem ersten Ausbruch bei Webasto breitete sich das Virus noch langsam aus, breitete sich dann aber spätestens ab März 2020 immer schneller aus. Einige Regionen sind seither stärker von der Pandemie betroffen als andere. Die nördlichen Bundesländer meldeten vergleichsweise wenige Corona-Fälle, die südlichen und östlichen Bundesländer deutlich mehr.
Im Landkreis Landsberg am Lech, wo der deutsche Patient 1 lebt, kommt mittlerweile etwa eine Corona-Infektion auf zehn Einwohner. In manchen Gebieten in Sachsen und Thüringen hat jeder Fünfte eine Infektion durchgemacht.
Auch der Anteil der Corona-Toten ist in den neuen Bundesländern am höchsten. Im Kreis Hildburghausen in Thüringen sind in den vergangenen zwei Jahren rund 370 mit Covid-19 Infizierte gestorben – das entspricht 0,59 Prozent der Bevölkerung.
Der Tribut der Pandemie bemisst sich jedoch nicht nur an der Zahl der Infektionen und Todesfälle. Auch das soziale Leben hat gelitten. Seit dem ersten Lockdown im März 2020 haben viele Menschen ihre Kontakte reduziert. Ein deutsches Forscherteam hat anhand anonymisierter GPS-Daten geschätzt, wie viele Menschen der durchschnittliche Deutsche in den vergangenen zwei Jahren täglich getroffen hat.
Insgesamt sind in Deutschland mehr als 117.000 Menschen mit einer Covid-19-Infektion gestorben. Jeden Tag kommen etwa 150 hinzu. Doch die Kurve neuer Todesfälle ist derzeit rückläufig, obwohl gleichzeitig die Inzidenz steigt. Das liegt zum einen daran, dass sich immer mehr Menschen impfen lassen und dadurch nur einen milden Krankheitsverlauf haben. Auch die seit einigen Wochen dominierende Omicron-Variante führt nach heutigem Kenntnisstand zu weniger schweren Verläufen als die Delta-Variante. Andererseits treten Todesfälle naturgemäß nicht unmittelbar nach einer Infektion auf – die Todeskurve hinkt der Infektionskurve hinterher.
Mediziner unterscheiden bei den Corona-Todesfällen zwischen Menschen, die an Covid-19 als Grunderkrankung sterben, und solchen, bei denen Covid-19 nur eine Begleiterkrankung ist. Im Jahr 2020 meldete das RKI beispielsweise 39.760 Todesfälle durch Covid-19-Infektionen und 8.100 Todesfälle durch Covid-19-Infektionen. Also sterben nicht alle Corona-Toten auch an Corona.
Ein Blick auf die Zahl der Todesfälle zeigt jedoch, dass in Deutschland in den Jahren 2020 und 2021 deutlich mehr Menschen starben als in den Vorjahren. Dies hängt auch mit der Alterung der Gesellschaft zusammen. Aber nach Ansicht vieler Wissenschaftler und Statistiker ist die Pandemie der Hauptgrund für die Übersterblichkeit. Den Tribut, den sie Deutschland abverlangte: Er ist auch an diesen beiden roten Linien zu sehen, die teilweise viel höher sind, als sie sein sollten.
Deutschland steckt zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie mitten in der fünften Welle. Derzeit infizieren sich so viele Menschen, dass die Labore an die Grenzen ihrer Testkapazitäten stoßen. Millionen weitere Menschen werden sich höchstwahrscheinlich infizieren und Tausende weitere werden in den kommenden Monaten sterben. Das Coronavirus hat die Gesellschaft noch immer fest im Griff.
Doch ein Ende der Pandemie könnte in Sicht sein. Viele Experten gehen davon aus, dass Deutschland im Laufe des Jahres 2022 in die Endemiephase eintreten wird. Die Infektionen und Impfungen erhöhen die Immunität gegen das Virus in der Bevölkerung. Die Ausbrüche könnten schließlich lokal begrenzt werden, und der Krankheitsverlauf dürfte milder werden. Der Virologe Christian Drosten sagte vor einigen Tagen, dass es im kommenden Winter zu einem weiteren Anstieg der Inzidenz kommen könnte im Gespräch mit der Tagesspiegel. Dann müsste man drinnen wieder eine Maske tragen. Aber werden wir jemals wieder so leben wie vor der Pandemie? „Ja, absolut“, sagte Drosten, „da bin ich mir ganz sicher.“