Kleiner Einblick in die Redaktionswerkstatt: Mittwoch, 11.25 Uhr, fangen wir mit diesem Text an. Um 15 Uhr debattiert der Bundestag über die Impfpflicht; wie es wird Mal sehen. Vorab sei aber gesagt, dass überall diskutiert wird, ob es eine „Sternstunde“ für das Parlament war. – Diese Erwartung besteht immer dann, wenn ausnahmsweise die Gruppendisziplin aufgehoben wird und die Abgeordneten sagen dürfen, was sie denken; auch auf die Gefahr hin, dass jemand aus der CSU von links Beifall bekommt. Zwei Dinge lassen sich an dem Ausruf der „großen Stunde“ erkennen: erstens die Sehnsucht danach, dass jede parlamentarische Mehrheitsbegründung bei Null anfängt, egal, was das für ihre Funktionsfähigkeit bedeuten würde. Und zweitens die Veränderung eines eigentlich fest definierten Begriffs durch die Umgangssprache. „Magische Stunde“ bezog sich einst auf die Annahme der Astrologie, dass die Stellung der Sterne bei der Geburt ein Leben prägt. Konzeptionell orientierte sich Stefan Zweig daran, als er 1927 seine „Shining Hours of Mankind“ schrieb: über 14 Momente, die die Geschichte prägten – die Marseillaise, das erste transatlantische Kabel, Tolstois Tod. Heutzutage wird das Wort hauptsächlich verwendet, um einer Person oder einem Ereignis sehr schnell ein sehr großes Kompliment zu machen. Zu Recht oder nicht? Stefan Zweig würde wahrscheinlich ein paar Jahre und Jahrhunderte Geduld empfehlen.
26/01/202226/01/2022By M.Schwarzmann
