Defizite in der psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung

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Defizite in der psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung

Berlin/München – Experten fordern mehr stationäre und ambulante Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung

Auf der 30. Musiktherapietagung des Freien Musikzentrums München berichteten Experten über eklatante Mängel in der psychotherapeutischen Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung. Das Thema »Psychische Gesundheit« gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an öffentlicher Bedeutung. Immer mehr Menschen nehmen psychotherapeutische Angebote wahr und tragen zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen bei. Forschungsdaten zeigen nun, dass Menschen mit geistiger Behinderung deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen leiden.

Eine Psychotherapie setzt in der Regel voraus, dass Menschen über ihre Erkrankung sprechen können. Die verbale Psychotherapie hat daher kaum eine Chance, anders oder nicht sprechende Menschen mit schweren Behinderungen und psychischen Erkrankungen zu unterstützen und adäquat zu behandeln. Hier kommen die nonverbalen Ansätze künstlerischer Therapien ins Spiel.

Gerade die Musiktherapie ermögliche Patienten den Aufbau einer therapeutischen Beziehung, berichteten die Referenten der Münchener Tagung. Hier sind die ganz speziellen Ausdrucksmöglichkeiten besonders hilfreich. So werden psychische Störungen erlebbar und Wege der Veränderung mit musiktherapeutischen Methoden erfahrbar, bestätigt Dr. Corinna Bonaccurso, Oberärztin der Fachstation für Menschen mit geistiger Behinderung am kbo-Isar-Amper-Klinikum in Haar bei München: »Musiktherapie ist aus dem Methodenkanon der stationären Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung nicht mehr wegzudenken«. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Andreas Sprinz (Zentrum für Interdisziplinäre Neuropädiatrie Kempten) setzt sich für eine verbesserte Versorgung dieser Patienten ein: „Auch fehlen spezialisierte ambulante Psychotherapieplätze in Stadt und Land. Den Kassenärztlichen Vereinigungen ist die katastrophale psychotherapeutische Versorgungslage für Menschen mit geistiger Behinderung und stumme Patienten – etwa nach einer neurologischen Erkrankung – bekannt.

Für die Inklusionsbeauftragte des Landkreises Oberbayern, Dr. Frauke Schwaiblmair (Gräfelfing), sind Wartezeiten von einem halben Jahr auf einen stationären Behandlungsplatz für Menschen mit geistiger Behinderung unverantwortlich. Die Organisatorin der Tagung, die selbst Psychologin und Musiktherapeutin ist, sieht vor allem die bayerischen Landkreise in Bayern in der Pflicht: „Ich werde mich für ein erweitertes stationäres Angebot für diese Menschen einsetzen.“ Die fehlende psychotherapeutische ambulante Nachsorge nach einem stationären Aufenthalt für Menschen mit geistiger Behinderung, so Schwaiblmair, dass die Ärztekammern und Psychotherapeuten ihrer Fürsorgepflicht für diese Patienten nicht gerecht werden.

Laut Prof. Dr. Lutz Neugebauer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Musiktherapie (DMtG), ist auch bundesweit eine mangelnde Versorgung von Menschen mit Behinderungen zu beobachten: »Musiktherapie ist eine bewährte Behandlungsmethode psychische Erkrankungen von Menschen mit geistiger Behinderung«. Gerade in Krisensituationen wie der aktuellen sieht Neugebauer das Potenzial künstlerischer Therapien wie der Musiktherapie: »Die qualifizierten Musiktherapeuten könnten helfen, die Lücken im deutschen Gesundheitssystem zu schließen. Gesundheitspolitiker dürfen Menschen mit geistiger Behinderung und ohne Sprache nicht vergessen«. Neugebauer bietet eine enge Zusammenarbeit mit allen politischen Entscheidungsträgern.


der Deutsche Gesellschaft für Musiktherapie (DMtG) ist mit 1.600 Mitgliedern der größte Fach- und Berufsverband der Musiktherapeuten in Deutschland. Der Verein setzt sich für die Verankerung der Musiktherapie im Gesundheitswesen ein. Aufgrund wissenschaftlich anerkannter Belege für die positive Wirkung ist die Musiktherapie bereits in zahlreichen medizinischen Leitlinien (z. B. Demenz, Schlaganfall, psychosoziale Therapien) verankert. Verbindliche Schulungs- und Qualitätsstandards, abgebildet im DMtG-Zertifizierungsprozess, geben Patienten größtmögliche Sicherheit, gerade weil es kein Berufsrecht gibt. Weitere Informationen: www.musiktherapie.de

Alles begann im Jahr 1981 Kostenloses MusikzentrumMusiktherapie als künstlerische Psychotherapie in sein Spektrum zu integrieren, wurde wenig später eine privatrechtliche Ausbildung zum Musiktherapeuten geschaffen, deren Absolventen von der Deutschen Gesellschaft für Musiktherapie (DMtG) zertifiziert sind. Am Haus finden zahlreiche Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen für Musiktherapeuten und Psychotherapeuten statt. Die Projektmethode »TrommelPower« zur Gewaltprävention und Integrationsförderung von Kindern und Jugendlichen wurde im Haus entwickelt und wird von hier aus international vertrieben.