Filterwechsel – wie der Krieg die Perspektive verändert – SWR Aktuell

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Filterwechsel – wie der Krieg die Perspektive verändert – SWR Aktuell

Alles ist anders. Russlands Krieg gegen die Ukraine verursacht nicht nur unsägliches Leid, sondern verschiebt auch die Filter, durch die wir unseren Alltag wahrnehmen. Das ist mal erhellend, mal schmerzhaft, wie Laura Koppenhöfer in ihrer Kolumne zum Wochenende beschreibt.

Die Pandemie und ihre Auswüchse haben uns eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich die Sicht auf die Dinge ändert, wenn sich alles andere ändert.

Fand man es im letzten Sommer noch eine Woche normal, nach einem hart umkämpften Impftermin durchs halbe Land zu fahren, erschien übernächste Woche genau das absurd – denn plötzlich lagen Säcke mit Impfterminen ungenutzt herum.

Die Kolumne von Laura Koppenhöfer können Sie hier auch als Audio anhören:















Oder sind Sie Anfang des Jahres abgesprungen, wenn jemand in Ihrer unmittelbaren Umgebung an Corona erkrankt ist („Wirklich, die ganze Familie?“), kurze Zeit später nur noch routiniert mit den Schultern gezuckt („Ach, Sie auch. Zum ersten Mal ?“ ).

Und jetzt ist es ein Monat des Krieges. So nah, dass man ihn nicht wegdrücken kann. Was unsere Wahrnehmungsfilter ganz ordentlich verschiebt. Privat und politisch.

Die Flüchtlingskinder brauchen Schutz!

Die Kinder wollen gar nicht ins Bett? Vorher: Ich bin müde und genervt. Jetzt: Ich bin müde und dankbar, denn das Wartebett ist in einer warmen Wohnung und nicht in einem Bunker oder in einem fremden Land auf der Flucht. Vorher: Ist ein Zimmer für zwei nicht zu klein? Auch Kinder brauchen Privatsphäre! Nun: Wenn wir ein Schlafsofa ins Kinderzimmer stellen, können wir vielleicht jemanden unterbringen. Die Flüchtlingskinder brauchen Schutz!

Plötzlich neue Partnerschaften mit Schurkenstaaten

Politisch sind die Filterwechsel noch abrupter. Vorher: Aufrüstung und Waffenlieferungen in Krisengebiete – auf keinen Fall! Jetzt: 100 Milliarden Sondervermögen und noch 1.000 Panzerfäuste, ach, 2.000! Vorher: Schmutzige Energie von Schurkenstaaten kaufen? Pfui, pfui nochmal! Jetzt: Danke Katar für die freundliche „Energy Partnership“!

Die Katapulte für Fake News und Hassreden – Google und Facebook – sehen aus wie Bastionen der von Russland unterdrückten freien Presse. Die notorischen Blocker der EU-Flüchtlingspolitik – Ungarn und Polen – wie strahlende Vorreiter einer gelebten Willkommenskultur.

Und während für mich sprießende Blumen und knospende Bäume früher kleine Teile der heile Welt waren, muss ich es jetzt tun sie anzusehen und darüber nachzudenken, wie lange es dauern wird, das neue große Stück zerbrochener Welt zu heilen. Und wie viel uns das alles kosten wird. Aber dieser Filter greift nur kurz ein. Dann baue ich das Schlafsofa auf.