Der deutsche Journalist und Maler Friedrich Noack war um 1900 Rom-Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ und beschrieb dem deutschen Publikum auf amüsante Weise, wie die Italiener „ticken“. Ein Porträt eines großen Künstlers, der derzeit in einer Ausstellung in der Casa di Goethe in Rom zu sehen ist.
Friedrich Noack, 1858 in Gießen geboren, schrieb Zeitungsberichte für deutsche Leser
Aus Italien. Aber erst studierte er Germanistik und Geschichte und trat dann in die
Hochschuldienst – war damit aber nicht zufrieden.
Seine Hobbys – Malen, halbwissenschaftliche Forschung, die er auch veröffentlichte, und eine seltene Form der Stenographie, die er perfektionierte – interessierten ihn weit mehr. Doch wie kann man von seinen Hobbys leben? Eine Frage, die sich viele stellen!
1886 kam ein unerwartetes Angebot der „Krefelder Zeitung“ für die vakante Stelle als Chefredakteur gerade recht, um die ungeliebte Lehrstelle aufzugeben.
Goethe hatte es damals getan
Ein paar Jahre später geschah der nächste Glücksfall. Die angesehene „Kölnische Zeitung“ suchte einen Korrespondenten für Rom und bot Noack 1891 die Stelle an.
Seine Liebe zu Italien hatte er einige Jahre zuvor auf einer privaten Italienreise entdeckt. Viele junge Leute aus dem Großbürgertum oder Künstler träumten von einer „Grand Tour“ in das gelobte Land der gebildeten Schichten. Goethe und andere Künstler hatten es damals getan, und Zehntausende folgten ihm in den folgenden Jahrzehnten. Berichte aus Italien waren daher bei deutschen Lesern sehr beliebt. Noack konnte nun mit seiner Frau Ida und den Kindern nach Rom ziehen und wurde dafür gut bezahlt, denn die Zeitungen hatten damals noch Geld.
Italienische Lebensart
Noack berichtete mehrmals wöchentlich aus Rom: Politisches, Allerlei, Kurioses und in den Wochenendbeilagen immer wieder über das Leben in Italien, das vielen Menschen in Deutschland damals noch sehr exotisch vorkam. Die Texte erschienen in Köln aufgrund der Entfernung mit einigen Tagen Verspätung. Kurioserweise unterschrieben die Autoren der Kölnischen Zeitung ihre Artikel meist nicht mit ihrem Namen, sondern mit einem Zeichen: Noack war das dreiblättrige Kleeblatt.
Neben Noacks Berichten aus Rom gab es immer wieder Kurzmeldungen der Agentur WTB (Wolf’s Telegraphic Bureau), einer der ersten Nachrichtenagenturen.
Das Treiben auf der Straße, schrieb Noack in den 1890er Jahren, sei ganz anders als die Leser es gewohnt seien. „Während die Straße für die Bewohner einer deutschen Stadt in erster Linie nur ein Verkehrsmittel ist, das ihren Ausgangspunkt mit ihrem Ziel verbindet, ist sie für die Italiener vor allem ein Ort zum Verweilen.“
Allerdings leidet dieser Ort darunter, dass Passanten ständig spucken, alles wegwerfen und nachts oft die Straße als Latrine nutzen – Ognuno fa il comodo suo (Jeder macht, was ihm passt).
Auch die Osterie, die einfachen Speiselokale, betrachtet Noack differenziert. Sie sind billig, sie servieren guten Wein, aber die Kellner haben ihre eigenen Vorstellungen von Hygiene: Wenn man sich an den Tisch setzt, „wird eine Tischdecke über den rohen Holztisch gebreitet, die, wie die Servietten (…) zahlreich zeigt rote Flecken, die Erinnerungen an Rotwein und Makkaroni“ der Gäste zuvor. Während die High Society fast nie die Osterie besucht, kommen Reisende manchmal aus Neugier. Zu den Stammgästen gehören neben Einheimischen auch weniger wohlhabende deutsche Künstler, denen es in Rom anders ergeht als ihren Kollegen vor hundert Jahren, als Goethe seinen weniger wohlhabenden Landsleuten oft die Osteria-Rechnung bezahlte.
Auch beim Einkaufen unterscheiden sich die Italiener stark von den Mitteleuropäern.
Während in unseren Breiten damals wie heute der Kauf auf Vorkasse dominierte, kauften die Italiener nur tageweise, was damals angesichts fehlender Kühlmöglichkeiten verständlich war, sich aber heute natürlich geändert hat.
Da Noack seine Kinder auf italienische Schulen schickte, sammelte er auch eigene Erfahrungen im pädagogischen Bereich. Nachdem er sich an mehreren Beamten vorbei gearbeitet hatte, um die Kinder anzumelden, gelangte er schließlich zum Präsidium (Rektor), der seine Schule und sein Personal mit vollkommener, gebieterischer Strenge regierte und den Akt der Aufnahme durchführte. In den Klassenzimmern hingegen herrsche „eine glückselige Anarchie“. Außer Italienisch und Latein hätten die Kinder nicht viel gelernt, sagte Noack, was er auch auf die chronische Unterbezahlung der Professoren zurückführte.
Bilder aus Italien
Die Familie Noack war immer wieder auf Reisen und auf ausgedehnten Wanderungen in Italien, was zu sehr sensiblen Artikeln führte, die ihre Verbundenheit mit dem Land zum Ausdruck brachten. Noack malte seit seiner Jugend überwiegend Aquarelle und schuf in Italien eine Vielzahl von Landschaften und Städteporträts. Er bezeichnete sich bescheiden als „Dilettant“ und stellte nie aus. Seine Bilder können jedoch durchaus mit den Werken bekannter Namen mithalten und ergeben zusammen mit seinen Texten ein vielschichtiges Bild des ihm sehr ans Herz gewachsenen Landes.
Doch Malen und Schreiben waren Friedrich Noack nicht genug. Er engagierte sich im Deutschen Künstlerbund in Rom und veröffentlichte Bücher (ua „Deutsches Leben in Rom“, 1907 und „Das Deutschtum in Rom“, 1927). Für seine Recherchen bereitete er weit über zehntausend „Blätter“ mit Informationen über deutschsprachige Rom-Besucher vor.
Sie enthielten Informationen über An- und Abreisedaten, Wohnort in Rom, Unternehmen sowie Sinn und Zweck der Romreise. Die Einträge wären nicht sehr kompatibel mit unseren derzeitigen Datenschutzvorstellungen!
Er schrieb diese „Notizen“, die eigentlich Karteikarten waren, in der heute fast ausgestorbenen „Gabelsberger Kurzschrift“. Der Wiener Parlamentsstenograf Andreas Kloner, der bis 2021 auch an der Universität Würzburg arbeiten wird, ist einer der wenigen, die diese Schrift noch lesen können. Mit diesen Karten beschäftigte er sich in einem Projekt.
Aufgrund dieser Zettel gibt es in „Das Deutschtum in Rom, Bd.2“ einen Eintrag über einen gewissen Oskar Justinus, „Skript. aus Berlin; in R. Mitglied des DKV (=Deutscher Künstlerverein), Winter 1890/91.“ Noack mag über diesen Herrn nicht so erfreut gewesen sein, denn ein Jahr später veröffentlichte Justinus ausgerechnet in Noacks Zeitung unter dem Titel „Lucullus“ eine mehrteilige Artikelserie, in der er die Vorzüge und Besonderheiten der italienischen Küche erläuterte das deutsche Publikum, das die italienische Küche damals noch nicht so gut kannte, ihm aber nicht besonders zu gefallen schien. Justinus schreibt über die Besonderheit italienischer Speisekarten: „Der Katalog (=Speisekarte) enthält mehrere hundert Nummern. Die Buchstaben der Handschrift verwandeln diese Listen in wahre Mysterien und wenn Sie es geschafft haben, die Wörter zu entziffern, wissen Sie noch nichts, denn die Küche hat ihren besonderen Rotwelsch wie in Österreich“… Sie werden vom Schmackhaften angezogen auf die bei uns beliebten Genüsse muss komplett verzichtet werden (gekürzt) Noack war da sicher anderer Meinung!
Noack und die Casa di Goethe
Auch zur Goethe-Forschung leistete Noack einen wichtigen Beitrag: Er stöberte in Kirchenbüchern und konnte so nachweisen, in welchem Haus Goethe während seiner Rom-Aufenthalte zwischen 1786 und 1788 wohnte, nämlich in der Via del Corso 18.
Seit 1997 beherbergt dieses Haus das einzige deutsche Auslandsmuseum, die Casa di Goethe, die einen Besuch wert ist. Neben Erinnerungen an die Italienreise, dem Maler Tischbein und einem Goethe-Porträt von Andy Warhol werden auch immer wieder Sonderausstellungen gezeigt. Bis Mitte April 2022 findet in der Casa eine Schau über Friedrich Noack statt, in der auch zahlreiche seiner Gemälde erstmals ausgestellt werden (eine Verlängerung ist wahrscheinlich).
Noack in Wien
Als Italien 1915 auf Seiten der Entente in den Krieg eintrat, mussten Deutsche und Österreicher Italien verlassen. Die „Kölnische Zeitung“ schickte Noack 1918 erneut für kurze Zeit ins Ausland, von Februar bis September 1918 nach Wien.
Im Gegensatz zum sorglosen Leben in Rom erlebte Noack die Trostlosigkeit und das Elend der Bevölkerung am Ende des Krieges und den Niedergang des Staates in Wien.
Neben kurzen Berichten verfasste er aus Wien auch oft lange, sehr klare Kommentare zur Ausweglosigkeit der Lage und machte die Sinnlosigkeit des Krieges deutlich. Aufgrund der Zensur hätten diese Texte in Österreich nie erscheinen können.
Bemerkenswert ist ein Text, der am 28. April 1918 in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht wurde:
Unter dem Titel „Deutsche und Österreicher“ beschreibt er die aussichtslose Lage in Österreich, da die nichtdeutschen Bevölkerungsschichten kein Interesse an diesem Krieg haben und die Kriegsbegeisterung in Österreich keineswegs überall vorhanden ist und stark nachlässt. Er entlarvt die beliebte habsburgische Heiratspolitik („Bella gerant alii, tu felix Austria nube“) als hohl und endgültig überholt mit den Worten: „Man kann den Staat gewiss nicht glücklich nennen, aus dem die Feinde des Deutschtums in ganz Europa erstarrt und fest geworden sind glauben, dass es ohne große Anstrengung in Stücke geschlagen werden kann.“
In einem Feuilleton vom 2. Juni 1918 beschreibt Noack den Kontrast zwischen dem lebensspendenden Frühling in der Stadt und dem tödlichen Krieg: „Während die Menschen im 4. die Erde ist unerschrocken in Bewegung, um zu erschaffen, zu gebären (…).“
Noack ging im Oktober 1918 in den Ruhestand und lebte zunächst in München, später bei der Familie seiner Tochter Gisela in Freiburg im Breisgau. Er arbeitet als Sprachlehrer und Schriftsteller, vollendet sein in Rom begonnenes Werk „Das Deutschtum in Rom“ mit tausenden Karteikarten, wandert und malt viel.
Friedrich Noack stirbt am 1. Februar 1930.
Der intensiven Recherche der Kuratorin Dorothee Hock, die kurz vor der Eröffnung der Ausstellung verstarb, ist es zu verdanken, dass sein Werk wiederbelebt und nicht vergessen wurde.
Ausstellung: Schreiben, Kunst & Forschung. Friedrich Noack in Italien. Bis 18. April 2022 in der Casa di Goethe, Via del Corso 18, Rom. Täglich außer montags geöffnet. (Wahrscheinlich verlängert bis Sommer)
Gastbeitrag von Wolfgang Ludwig