Gesundheit: Impfung und Migration: Bildung braucht Booster – Inland

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Gesundheit: Impfung und Migration: Bildung braucht Booster – Inland

„Wir müssen uns stärker auf die aufsuchende Beratung konzentrieren“, betonte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan Rund 84 Prozent der Befragten mit Wurzeln in anderen Herkunftsländern gaben an, mindestens eine Corona-Impfung erhalten zu haben, sagte RKI-Wissenschaftlerin Elisa Wulkotte in Berlin. Dagegen waren es 92 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund. Obwohl man bei beiden Quoten von einer „Überschätzung“ ausgehen muss, ist die gefundene Differenz verlässlich.

An solchen Umfragen würden eher Menschen teilnehmen, die Institutionen wie dem RKI vertrauen und Impfungen positiv gegenüberstehen, erklärte Wulkotte. Für die neue Covimo-Studie wurden Ende 2021 1.000 Erwachsene mit und ohne Migrationshintergrund auf Deutsch, Russisch, Türkisch, Arabisch, Polnisch und Englisch befragt.

Sozioökonomische Aspekte wichtiger als Migration

Allerdings betonte der RKI-Experte, dass die Impfbereitschaft bei den Zuwanderern höher sei als bei der anderen Gruppe. Es ist davon auszugehen, dass es noch viele gibt, die für eine Impfung gewonnen werden können. Daher muss es „angepasst“ werden. Es ist sehr wichtig, nicht pauschal zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu unterscheiden, sondern die Einflussfaktoren genau zu betrachten. Das Herkunftsland ist nicht entscheidend. Deutschkenntnisse, Kriterien wie Bildung und Einkommen, aber auch das Alter spielen eine Rolle – je höher diese sind, desto größer sind die Chancen auf eine Impfung.

Negativ wirkten sich Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen aus. Nicht wenige beschwerten sich darüber. Als Grund gaben sie ihren Namen, ihr Aussehen oder ihre geringeren Deutschkenntnisse an, berichtete Wulkotte. Es gab auch eine große Wissenslücke. Falsche Angaben zur Impfung waren bei Befragten mit Migrationshintergrund häufiger und verunsicherten sie. Bei diesen psychologischen Faktoren seien Verbesserungen nötig, denn: „Die Chance auf eine Impfung steigt mit steigendem Vertrauen in die Sicherheit der Impfung und in das deutsche Gesundheitssystem.“

Kritik an Informationskampagnen der Regierung

Kritik an den Informationskampagnen der Regierung kam von mehreren Seiten. Menschen mit Migrationshintergrund seien eine sehr heterogene Gruppe, betonte Mosjkan Ehrari aus der praktischen mehrsprachigen Bildungsarbeit. Es gibt Einwanderer, die in den 1960er Jahren kamen, und ihre Nachkommen, Flüchtlinge oder Berufstätige. Sie müssen differenziert und gezielt angegangen werden. Mit pauschalen Impfappellen erreiche man „gar nichts“.

Auch die Bielefelder Forscherin Doris Schaeffer forderte Bildungsinitiativen, die speziell auf die nicht deutschsprachige, sehr heterogene Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund zugeschnitten sein müssten. Es soll nicht nur mehrsprachig, sondern auch kreativer und auch vielfältiger in den Informationskanälen werden. In den zwei Jahren der Pandemie ist hier vieles versäumt worden.

Überraschend aus Schaeffers Sicht: Menschen mit Migrationshintergrund sind in Sachen Gesundheitskompetenz – also Informationen finden, verstehen und nutzen – nicht schlechter gestellt als die Allgemeinbevölkerung, aber tendenziell besser ausgestattet. Eine Bielefelder Befragung von Menschen mit türkischen Wurzeln und aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion ergab zudem, dass Bildungsgrad, Sprachkenntnisse, Einkommen und Alter eine Rolle spielen. Hausärzte sind wichtige Ansprechpartner, gefolgt von Internet und Social Media. Die Bewertung der Informationen ist schwierig.

Das Ziel der Bundesregierung, bis Ende Januar 80 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal gegen Corona zu impfen, wurde verfehlt. Das RKI meldete zuletzt eine Erstimpfquote von 75,9 Prozent. In Bremen liegt die Quote nach vielen Maßnahmen deutlich höher. Mögliche Gründe? Mobile Impfteams steuerten schon früh sozial benachteiligte Stadtteile mit hohem Migrantenanteil an, wie der Leiter der Impfkampagne in Bremen erklärte. Und: „Wir haben mehrsprachige Gesundheitshelfer losgeschickt.“ Auch Flüchtlingsunterkünfte wurden ins Visier genommen, Dolmetscher halfen bei der Aufklärung, wie Kay Bultmann berichtete. Auch Akteure aus Religionsgemeinschaften wurden beispielsweise mit ins Boot geholt.

„Wir müssen stärker auf aufsuchende Beratung setzen“, betonte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD). Den Menschen muss die Möglichkeit gegeben werden, „einfach, direkt und persönlich“ über Unsicherheiten zu sprechen. Sie selbst informiert in 23 Sprachen über Corona und Impfungen. Multiplikatoren in Vereinen, Religionsgemeinschaften oder Lehrern sind wichtige Partner für eine höhere Impfquote.

© dpa-infocom, dpa:220203-99-961081/6

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