Wien (dpa) – Österreich will sich mit einer umfassenden Impfpflicht gegen künftige Corona-Wellen wappnen. Das Parlament hat dem in der Öffentlichkeit umstrittenen Schritt am Donnerstag mit großer Mehrheit zugestimmt.
Österreichs Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) verteidigte die Impfpflicht als Akt der Solidarität. „Je mehr Menschen eine Corona-Impfung haben, desto weniger sterben an den Folgen einer Corona-Pandemie“, sagte der Minister am Donnerstag im Parlament. Mit Ausnahme der rechten FPÖ unterstützt die Opposition die Maßnahme. Der Schritt ist die bisher weitreichendste Regelung in der EU. Italien und Griechenland haben nur Pflichtimpfungen für ältere Menschen.
Die Regierung handelt mit Zuckerbrot und Peitsche. Denn mit der Impfpflicht wurde auch ein milliardenschweres Anreizpaket verabschiedet. Eine Impflotterie soll die Impfbereitschaft erhöhen. Für jede Teilimpfung sind laut Regierung 500 Euro zu gewinnen, die als Gutscheine in Restaurants oder im Einzelhandel eingelöst werden können.
Belohnung angekündigt
Teilnehmen können nicht nur Spätentschlossene, sondern auch bereits Geschützte. Etwa jede zehnte Masche sollte auf diese Weise belohnt werden. Für Gemeinden mit einer Impfquote von 80 Prozent werden insgesamt 75 Millionen Euro ausgeschüttet, für 85 Prozent 150 Millionen Euro und für 90 Prozent 300 Millionen Euro. Insgesamt stehen bis zu 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP.
Die Impfpflicht soll für alle Bürger gelten, die mindestens 18 Jahre alt sind. Ausnahmen gelten für Schwangere und Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Auch Genesene sind bis zu 180 Tage nach der Erkrankung von der Impfpflicht befreit. Verstöße gegen die Pflicht werden mit einkommensabhängigen Bußgeldern von bis zu 3.600 Euro geahndet. Auch der Bundesrat, also die Länderkammer, muss dem Gesetz voraussichtlich am 3. Februar zustimmen – das gilt aber als Formsache.
Auch der Chef der oppositionellen Sozialdemokraten unterstützte den Plan. „Die Impfung rettet Leben, das eigene Leben und das Leben anderer“, sagte SPÖ-Vorsitzende und Epidemiologin Pamela Rendi-Wagner. Die liberalen Neos forderten einen Fahrplan zur Aufhebung von Freiheitsbeschränkungen. Die rechte FPÖ ist die einzige Fraktion, die gegen den Schritt ist. „Die Einführung dieses Zwangs ist ein gigantischer Angriff auf die Freiheit der Menschen in Österreich, ein Angriff auf die Menschenwürde der Bevölkerung“, sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl.
Schrittweise Umsetzung
Das Gesetz soll in mehreren Stufen umgesetzt werden. Stichprobenartige Kontrollen durch die Behörden sind erst Mitte März geplant. Beispielsweise soll die Polizei bei ihren Einsätzen auch den Impfstatus prüfen. Auch von der Gewerkschaft der Polizei gab es für diese zusätzliche Aufgabe Kritik. Die ursprünglich geplante vollständige Kontrolle durch Abgleich des Melderegisters mit dem Impfregister ist nur als Option vorgesehen. Diese Maßnahme sollte davon abhängig gemacht werden, ob die Durchimpfungsrate wie erhofft deutlich ansteigt.
Als Ziel nannte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) eine Quote von 85 bis 90 Prozent bei der impffähigen Bevölkerung ab fünf Jahren. Derzeit sind es rund 75 Prozent. Die Durchimpfungsrate der Gesamtbevölkerung liegt bei 72 Prozent.
Die Regierung von ÖVP und Grünen hatte eine Impfpflicht lange ausgeschlossen. Ein Strategiewechsel erfolgte im November 2021 in der vierten Corona-Welle. Der damals wieder verhängte dreiwöchige Lockdown soll die letzte Ausgangsbeschränkung gewesen sein, so die Hoffnung.
Gekennzeichnet durch Flexibilität
Auch der Charakter des ursprünglichen Gesetzesentwurfs wurde unter dem Eindruck einer Rekordzahl von Stellungnahmen erheblich verändert. Anstatt automatisch zu sein, zeichnet sich das Gesetz nun durch Flexibilität aus, so eine kürzliche parlamentarische Anhörung.
„Ich kann mich kaum an ein derart aufwendig ausgearbeitetes Gesetz erinnern“, sagte Verfassungsrechtler Heinz Mayer der Deutschen Presse-Agentur. Die Frist bis Mitte März, um die Impfung straffrei nachholen zu können, ist angemessen. Flexibel zeigt sich der Gesundheitsminister auch bei der Gruppe der zugelassenen Impfstoffe, die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgewählt werden können. Zugegeben, Impfgegner würden vermutlich Zehntausende von Verfahren ausprobieren, müssten dies aber jeweils gut begründen. „Es reicht nicht zu sagen: ‚Ich lasse mich nicht impfen, das Gesetz ist verfassungswidrig'“, sagte Mayer.
Auch auf europäischer Ebene sind die rechtlichen Aussichten im Streitfall gut. „Die Chancen stehen gut, dass es vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand hat“, sagte Mayer.
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