Stuttgart (dpa/lsw) – Auch nach mehreren tödlichen Corona-Ausbrüchen in Pflegeheimen ist die Auffrischungsrate in einigen Einrichtungen des Landes erschreckend niedrig. So habe es zuletzt in Baden-Württemberg Haushalte gegeben, in denen nicht einmal jeder zehnte Bewohner eine Auffrischimpfung erhalten habe, heißt es in einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage der SPD, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die bundesweite Aufstockungsquote lag zuletzt (Stand 25. Januar) im Schnitt bei 77,5 Prozent für Einwohner und 51,4 Prozent für Arbeitnehmer.
Die Sozialdemokraten haben bei Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) nach dem Stand der Impfungen in den Heimen in den einzelnen Stadt- und Landkreisen gefragt – und Mitte Februar für 33 Stadt- und Landkreise eine Antwort erhalten. Ergebnis: In den meisten Landkreisen lag die Boosterquote der Einwohner zum Befragungszeitpunkt noch unter 80 Prozent. Im Kreis Ravensburg, dem Wahlkreis Lucha, war sie mit 68 Prozent besonders niedrig, im Kreis Konstanz waren es nur 67 Prozent.
In einigen Heimen sieht die Situation noch düsterer aus, wie die Antwort des Ministeriums ergab. Denn für jeden Stadt- und Landkreis wurden auch die fünf Pflegeheime mit den niedrigsten Raten für die Auffrischimpfung befragt. In Ravensburg gibt es ein Heim, in dem nur 11 Prozent der Bewohner eine Auffrischungsimpfung erhielten. Im Kreis Karlsruhe liegt die schlechteste Wohnung bei nur 7,7 Prozent, im Ortenaukreis und im Kreis Esslingen gibt es laut Ministerium sogar Wohnungen, in denen kein einziger Bewohner aufgestockt wurde. In Stuttgart führt die Negativliste ein Heim an, in dem nur 12,5 Prozent der Bewohner eine Auffrischungsimpfung erhalten haben.
„Dass im Schnitt jeder Vierte in Pflegeheimen nicht aufgestockt wird, ist kein Erfolg, sondern fahrlässig“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. In Pflegeheimen geht es um das Überleben gefährdeter Gruppen. „Angesichts der jetzt verfügbaren Schutzmaßnahmen darf es keine Corona-Toten mehr in den Heimen geben. Es ist unverantwortlich, wenn Menschen sterben müssen, weil das Land nicht alles getan hat, um sie zu schützen.“
Im Durchschnitt ist die Auffrischungsrate bei den Beschäftigten deutlich geringer als bei den Bewohnern der Heime – trotz der anstehenden Impfpflicht für diese Berufsgruppe. Nach neuesten Daten erhielt nur jede zweite Pflegekraft in Baden-Württemberg (51,4 Prozent) ihre Auffrischungsimpfung. Besonders niedrig ist die Auffrischungsquote bei den Pflegekräften in den Heimen im Kreis Reutlingen mit 39 Prozent, in den Heilbronner Heimen sind es 41,4 Prozent. Die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht wird in Kürze in der Branche greifen. Ungeimpfte Beschäftigte beispielsweise aus Kliniken und Pflegeheimen müssen vor Inkrafttreten am 16. März geimpft werden, um weiter arbeiten zu können.
SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl forderte Lucha auf, mehr für die Impfung in den Pflegeheimen zu werben. „Das reine Impfangebot von außen reicht nicht aus, um die noch zweifelnden Bewohner, ihre Angehörigen und Rechtsbeistände sowie die noch nicht geimpften Mitarbeiter von einer Impfung zu überzeugen.“ Dies gilt insbesondere dann, wenn auch die Heimleitung nicht von der Impfung überzeugt ist. Unklar ist auch, was die Landesregierung gegen die niedrige Impfquote beim Pflegepersonal unternehmen will. „Wenn Minister Lucha nur mit der Verbandsleitung spricht, mit der es bereits einen Konsens zur Impfung gibt, hilft das nicht viel.“ Die Impfung muss direkt beim Pflegepersonal beworben werden.
Luchas Ministerium weist die Kritik zurück. Das Land hat für ausreichende Impfangebote gesorgt und das Impfen laufend gefördert. „Mehr kann das Land weder praktisch noch rechtlich tun“, betonte ein Sprecher. Die Gründe für die schlechten Quoten bei den Bewohnern sind vielfältig – neben Impfskepsis könnten akute Krankenhausaufenthalte oder Impfdurchbrüche einer Impfung im Wege stehen. Gerade bei neu aufgenommenen Bewohnern muss noch die Grundimmunisierung absolviert werden, weshalb eine Auffrischungsimpfung noch nicht in Frage kommt. Es wird auch berichtet, dass Bewohner oder ihre Betreuer nach der Grundimmunisierung weitere Impfungen verweigerten.
In einem Pflegeheim in Rastatt sind zum Jahreswechsel 15 Menschen an oder mit Corona gestorben. Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden ermittelt unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Das Landratsamt ist der Ansicht, dass sich das Coronavirus im Pflegeheim ausbreiten konnte, weil Hygieneregeln und Hygienestandards nicht eingehalten wurden. Der Betreiber wehrt sich gegen „allgemeine öffentliche Vorwürfe“ der Behörden – und wies darauf hin, dass trotz der Impfkampagne nur sehr wenige der verstorbenen Bewohner doppelt geimpft und niemand geboostet worden sei.
Auch wenn der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten sei, sei für die Zukunft leider nicht auszuschließen, „dass es wieder Todesfälle in Einrichtungen geben wird“, sagte der Ministeriumssprecher. Am Ende hilft nur eine hohe Impfquote. Deshalb wird die einrichtungsbezogene Impfpflicht derzeit mit großem Engagement umgesetzt.
© dpa-infocom, dpa:220303-99-361953/3