Gliome: Therapie-Updates

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Gliome sind die häufigsten primären Hirntumoren des zentralen Nervensystems. Sie entwickeln sich aus Stützzellen des Gehirns, den sogenannten Gliazellen. Zunehmende Erkenntnisse über molekulare Veränderungen in einzelnen Gliomen machen nun eine genaue Zuordnung möglich – dies spiegelt sich auch im wider neue WHO-Klassifikation von Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS), die Ende 2021 veröffentlicht wurde.

Die S2k-Leitlinie „Gliome“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) aus dem Jahr 2021 berücksichtigt die aktuelle Tumorklassifikation und die Ergebnisse neuester Studien. Für die neu definierten Gliom-Diagnosen gibt es jedoch kaum spezifische Behandlungsdaten. Außerdem sind die Behandlungsmöglichkeiten für Gliome derzeit begrenzt. Doch Forscher arbeiten intensiv an innovativen Alternativen: Was sind die ersten Erkenntnisse zu Immuntherapien, Impfstrategien und zielgerichteten Substanzen bei Gliomen?

Gliome: Die aktuelle Primärtherapie

Therapie von Gliomen vom Erwachsenentyp: Vereinfachte Darstellung, modifiziert nach Wick W. et al., Gliome, S2k-Leitlinie, 2021* © Krebsinformationsdienst, DKFZ

Seit Mitte 2021 gibt es eine aktuelle Version der S2k-Leitlinie* zur Diagnostik und Therapie von Gliomen bei Erwachsenen, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Es enthält alle wichtigen Informationen zu Diagnostik, Therapie, Nachsorge und Rehabilitation für erwachsene Patienten mit Gliomen.

Die aktuellen Behandlungsstrategien für die einzelnen Gliome außerhalb klinischer Studien sind in der beigefügten Übersichtsgrafik vereinfacht zusammengefasst. Die wichtigsten (neuen) Eckpfeiler sind:

Glioblastom:

  • Die Radiochemotherapie, dh Strahlentherapie mit gleichzeitiger Temozolomid-Chemotherapie und anschließender Temozolomid-Erhaltung über 6 Zyklen (sog. „Stupp-Schema“) bleibt bei jüngeren Patienten mit Glioblastom zunächst Standard.
  • Ältere Patienten mit Glioblastom profitieren von speziellen Bestrahlungsschemata. Die weitere Behandlung kann je nach Methylierung des Promotors der Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT) angepasst werden.
  • Elektrische Wechselfelder (TTF = Tumor Treating Fields) nach Radiochemotherapie und ein stabiler Verlauf verbessern in erster Linie das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben, so die Ergebnisse einer Phase-III-Studie. Es gibt jedoch keine bestätigenden klinischen Studien.
  • Der Nitrosoharnstoff Lomustin (CCNU, Chlorethylcyclohexylnitrosoharnstoff) kann zusätzlich zur Radiochemotherapie mit Temozolomid das Überleben bei Patienten mit neu diagnostiziertem MGMT-Promotor-methyliertem Glioblastom verlängern. Die zugrunde liegenden Studiendaten sind jedoch umstritten.

IDH-mutierte Astrozytome und Oligodendrogliome:

  • Patienten mit IDH-mutiertem Astrozytom und behandlungsbedürftigem Oligodendrogliom WHO-Grad 2 profitieren von einer Kombination aus Bestrahlung und anschließender Chemotherapie mit PCV (PCV = Procarbazin, CCNU, Vincristin) im Vergleich zur alleinigen Bestrahlung.
  • Patienten mit einem IDH-mutierten WHO-Grad-3-Astrozytom profitieren von einer Bestrahlung gefolgt von einer Temozolomid-Erhaltungstherapie im Vergleich zu einer alleinigen Bestrahlung. Die Gabe von Temozolomid gleichzeitig (begleitend) zu einer Bestrahlung hat wahrscheinlich keinen Zusatznutzen.

Gliome: Rezidivmöglichkeiten

Generell prüfen die behandelnden Ärzte bei Fortschreiten des Glioms immer die Möglichkeit einer erneuten Operation und/oder Bestrahlung. Gemäß der S2k-Leitlinie sind Nitrosoharnstoffe (CCNU) oder Temozolomid Mittel der ersten Wahl für die Chemotherapie bei Rezidiven. Weitere Optionen können zielgerichtete Medikamente sein – möglichst im Rahmen klinischer Studien.

Auch die S2k-Leitliniengruppe betont:

  • In Kombination können Bevacizumab und Lomustin das progressionsfreie Überleben verlängern. Dies konnte jedoch in der entsprechenden klinischen Studie für das Gesamtüberleben nicht gezeigt werden.
  • Bei Patienten mit MGMT-Promotor-unmethyliertem Glioblastom sollte die Option einer erweiterten molekularen Diagnostik sowohl in der Primär- als auch in der Rezidivsituation diskutiert werden. Betroffene können dann bei Bedarf an einer klinischen Studie teilnehmen oder ein zielgerichtetes Medikament erhalten, das bereits für andere Tumore zugelassen ist.
  • Wenn ein Glioblastom unter Behandlung nachweislich wächst, sollte die laufende tumorspezifische Therapie nicht fortgeführt werden.

Lernen aus Gliomstudien

In zahlreichen präklinischen und klinischen Studien erforschen Mediziner, wie sie das Wachstum einzelner Gliome wirksam stoppen können. Künftig wollen sie wirksame und zielgerichtete Therapien für diese aggressiven Hirntumore entwickeln und anbieten. Einige der bereits getesteten Therapien haben sich beim Gliom als nicht ausreichend wirksam erwiesen. Daher ist es wichtig:

  • Verfahren, die sich in Studien eindeutig als nicht hilfreich für Gliom erwiesen haben, sollten bei betroffenen Patienten nicht angewendet werden.
  • Neue vielversprechende Behandlungsmethoden für Gliome sollten nach Möglichkeit zunächst in klinischen Studien zum Einsatz kommen – dies gilt sowohl für die Primärtherapie als auch in der Rezidivsituation.

Neue Therapieansätze bei Gliompatienten

Für einige der neu definierten Gliomtypen fehlen noch belastbare Studiendaten, um evidenzbasierte Therapieentscheidungen treffen zu können. Ärzte müssen daher immer abwägen, welcher Behandlungsansatz individuell für den Betroffenen gewählt werden kann.

Gezielte Ansätze sind beim Gliom bisher selten: Mit der Gen-Panel-Sequenzierung und anderen DNA- oder RNA-basierten Methoden haben Experten bisher nur sehr selten genetische Veränderungen bei Gliom-Patienten gefunden, die punktgenau behandelt werden können. Eine Ausnahme bilden BRAF-Mutationen oder seltene NTRK-Fusionen. Darüber hinaus wird der IDH-Hemmer Vorasidenib derzeit in einer klinischen Studie an Gliomen des WHO-Grades 2 mit IDH1/2-Mutation (INDIGO-Studie) untersucht.

Innovative Studienkonzepte sind bereits etabliert: In Umbrella-Studien erhalten Glioblastom-Patienten je nach vorhandenem Biomarker unterschiedliche zielgerichtete Erstlinientherapien. Ein Beispiel ist die deutsche Studie N2M2 (Neuro Master Match) der Neuro-Onkologischen Arbeitsgruppe (NOA). Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom ohne Hypermethylierung des MGMT-Promotors werden hier eingeschlossen. Im Rahmen der internationalen Plattform GBM-AGILE (Glioblastoma Adaptive Global Innovative Learning Environment) werden verschiedene Wirkstoffe in der Primär- und Rezidivtherapie des Glioblastoms untersucht.

Hoffnung auf Immuntherapie: Zudem forschen Ärzteteams an verschiedenen immuntherapeutischen Ansätzen und Impfkonzepten für Gliome. Dies ist bei diesen Hirntumoren aus mehreren Gründen schwieriger als bei den meisten anderen Tumorerkrankungen. Viele Strategien werden derzeit in präklinischen Studien untersucht.

In kleinen frühen klinischen Studien in Deutschland werden beispielsweise folgende Immuntherapien bei erwachsenen Gliompatienten getestet:

  • Ein IDH1-Peptid-Impfstoff in Kombination mit dem Checkpoint-Inhibitor Avelumab bei IDH1/2-mutierten Gliomen (NOA-16)
  • Der Multipeptid-Impfstoff XS15 zusätzlich zur Radiochemotherapie in der Primärtherapie des Glioblastoms (GLIO-XS15)
  • Impfung mit patienteneigenen, mit Tumorlysat behandelten dendritischen Zellen zusätzlich zur Radiochemotherapie in der Primärtherapie des Glioblastoms (GlioVax-Studie)
  • Der Multipeptid-Impfstoff EO2401 mit und ohne Immun-Checkpoint-Blockade in der Rezidivtherapie des Glioblastoms (ROSALIE)


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