Kolumne fürs Leben: Der schönste Tag unseres Lebens | Leben & Wissen

Startseite » Kolumne fürs Leben: Der schönste Tag unseres Lebens | Leben & Wissen
Kolumne fürs Leben: Der schönste Tag unseres Lebens |  Leben & Wissen

Was ist wirklich wichtig? Was berührt uns heute – und wird morgen nicht vergehen? Es sind die Dinge, die uns seit Menschengedenken bewegen: Glück, Liebe, Familie, Partnerschaft, Zeit, Stress, Einsamkeit, Abschied, Trauer.

BILD-Kolumnist Luis Hagen, aus einer deutsch-jüdischen Familie stammend, suchte bei Dichtern, Denkern und Forschern Antworten auf die ewigen Fragen der Menschheit. Und ein paar Antworten gefunden, die verblüffend einfach sind – und doch unser Leben bereichern können.

★★★

Seltsam: Wir kennen unsere Zukunft nicht, und wir wissen auch nicht genau, wie es uns jetzt geht. Aber wir kennen „den schönsten Tag unseres Lebens“. Was ich meine: der Hochzeitstag.

Am Gedenktag des Holocaust berichtete die KZ-Überlebende Inge Auerbacher in bewegenden Worten, wie sie als Kind Mord und Vernichtung überlebte. Am Ende ihrer berührenden Rede zog sie Bilanz: „Ich könnte niemals Kinder haben, aber alle Kinder der Welt sind meine Kinder.“

Und sie sagte: „Ich durfte nie ein Hochzeitskleid tragen.“ Ein vermeintlich unbedeutendes Detail war für sie ein schmerzlich vermisstes Highlight: das Hochzeitskleid.

Ich habe lange auf dem Land gelebt. Immer wenn ich bei einer Bauernfamilie eingeladen war, war das Fotoalbum schnell ausgepackt. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Finger über die Hochzeitsfotos strichen. Und immer hieß es: „Der schönste Tag unseres Lebens.“

Alle Fotos waren sich verblüffend ähnlich: Die verschleierte Braut lächelte verschmitzt in die Kamera, Konfetti, Menschenmassen, viele Menschen mit Sektgläsern. Bei diesen Besuchen wurde mir klar: Es ist egal, was nach der Hochzeit passiert. Wer sollte es wissen?

Was wichtig ist: die Hochzeit selbst. Es muss ein Fest sein, von dem das ganze Dorf spricht. Einige nahmen sogar Kredite auf, um den Tag unvergesslich zu machen.

BILD-Kolumnist Louis Hagen

Foto: Wolf Lux

Ich traf kürzlich einen Freund, dessen Ehe traurig geendet hatte. Dafür gebe es vermutlich viele Gründe, sagte er. „Aber meine Frau hat mir immer wieder eines vorgeworfen: Sie hätte gerne kirchlich geheiratet mit allem Drum und Dran, nicht nur eine Unterschrift auf dem Standesamt.“

Da, sagte mein Freund, wurde ihm eines Tages klar, wie wichtig das war. „Ich habe es total unterschätzt. Wenn ich noch einmal heiraten würde, wäre es im großen Stil.“

Wie die Eltern meiner Kollegin Caroline. „Jedes Jahr an ihrem Hochzeitstag schauen sie sich die VHS-Kassette ihrer kirchlichen Trauung an. Sie sitzen andächtig nebeneinander, halten Händchen und kichern – nach über 30 Jahren Ehe.“

Natürlich ist der glücklichste Tag Ihres Lebens keine Garantie dafür, dass eine Ehe ewig hält. Aber für Gefühle gibt es sowieso nie eine Garantie.

Der französische Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) hat es schön in Worte gefasst: „Die Liebe hat kein Alter, sie wird ständig neu geboren.“

Louis Hagen (75) war 13 Jahre lang Mitglied der BILD-Chefredaktion und ist heute Berater bei der Kommunikationsagentur WMP. Seine Texte sind als Buch erhältlich unter koehler-mittel-shop.de.