Einmal mehr ist es die weite und doch so extrem begrenzte Twitter-Landschaft, auf der sich dieser Tage die Verunsicherung, Verwirrung und Selbstwidersprüchlichkeit der politischen und medialen Elite die Hand reichen. Quasi über Nacht wurde aus einem empathischen „Nein zum Krieg“ ein nachdrückliches #closethesky – die Aufforderung, die NATO solle bewusst und konsequent in den Krieg eintreten. Wenn der Westen mit Produkten überschwemmt wird, ist es schwer zu warten; und wenn der Humanismus gestern langweilig wurde, muss es heute der Krieg sein, dem die eigene Ohnmacht und Weltentfremdung als frische, frische Antwort gegenübergestellt werden kann.
Fast alle sind sich einig: #closethesky!
Dass #closethesky nun auch am Dienstagabend auf der Eröffnungsbühne des lit.Cologne Festivals eine prominente Rolle spielte. Die Autoren Navid Kermani, Sasha Marianna Salzmann, Deniz Yücel und Sasha Filipenko sprachen dort bei einer Benefizveranstaltung über den Ukrainekrieg und wunter anderem die Forderungen nach einer von der NATO erzwungenen Flugverbotszone über der Ukraine erfüllt. Mit Ausnahme von Kermani, der eine solche Zone als solche einrichtete Schritt in Richtung „maximaler Eskalation“, die anderen Autoren zeigten sich überraschend sympathisch gegenüber dem Thema. Einen Krieg leugnen, hatte man das Gefühl, man müsse einen erst geführt haben. Aktiv.
Das klarste gebracht dies der Journalist und Präsident des Deutschen PEN-Zentrums Deniz Yücel äußerte sich: „Das wäre doch eine gute Idee, oder?“ sagte Yücel und forderte erneut den konsequenten Ausschluss aller russischen Banken Schnelle und andere Waffenlieferungen in die Ukraine. Ähnlich berichtete der Autor Position von Sasha Filipenko. In einem Text Filipenkos, der an diesem Abend – wie andere Texte – vom Schauspieler stammt Ulrich Noethen vorgestellt, Er vergleicht die aktuelle Situation mit ein Fußballspiel, für das Europa Schuhe und Bälle, aber keine Verteidiger liefert, während Putin Tor um Tor schießt. Dass in Belarus immer noch Demonstranten festgenommen werden, ist hierzulande eine Tatsache Übrigens wieder in Vergessenheit geraten, so der Autor. Der Dramatiker Sasha Marianna Salzmann erzählt, dass sie sich bereits vor dem Krieg in linken Kreisen für Waffenlieferungen eingesetzt habe. Sie schließt mit den Worten: „Schließt den Himmel über der Ukraine“
Navid Kermanis Lesung aus seinem Buch „Entlang der Schützengräben“ zeigte einmal mehr, dass der Krieg, der derzeit tobt, alles andere als unberechenbar ist und dass es schon vor Jahren Menschen gab, die wussten, was auf sie zukommt. Kermani weist auf die europäische Untätigkeit während der Bombardierung von Grosny und Aleppo hin. Ein solches Szenario, sagt Kermani, dürfe sich um keinen Preis wiederholen.
Was kann Literatur in Kriegszeiten leisten?
An diesem Dienstagabend flammten Fragen auf, die sich beim Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine nicht erst gestellt hatten; Fragen, die seit einiger Zeit in allen Gesellschaftsschichten ihr Unwesen treiben, jetzt aber angesichts der russischen Aggression so starke Konturen annehmen, dass sie gerade auf einem Literaturfestival kaum noch zu überhören sind. Was kann die Kunstproduktion in solch dunklen, zerrissenen Zeiten leisten? Wie verhalten sich Künstler und Schriftsteller? Warum versuchen sie, Antworten zu finden, wenn die Suche nach den richtigen Fragen der produktivere, vielleicht konstruktivere Weg wäre, mit einem offensichtlich schwer zu fassenden diffusen Phänomen umzugehen? Wie weit ist die Pflicht zur Lieferpflicht fortgeschritten?
Was der Versuch, diese Fragen zu beantworten, deutlich macht, ist eine Unterscheidung, die wir nicht im Dunkeln stehen lassen sollten: Die Kultur des politischen Kommentars – die wir zunehmend durch Tweets und One-Sentence-Meinungen bedroht sehen – unterscheidet sich grundlegend vom Kunstwerk, was niemals nur eine tägliche Reaktion ist. Die Forderung nach einer schnelleren Reaktion, nach einer Flugverbotszone; außerdem: Satiriker, die Parolen schwatzen und als Intellektuelle behandelt werden; Meinungen, die sich im Sekundentakt ändern, der Krieg als der wohl authentischste Actionfilm seit langem. Nein, Kunst hat hier keinen Platz – dort, wo Kulturvertreter, Moderatoren, Schauspieler, Politiker und andere Meinungsbildner beim Tippen aufblühen. Gar nichts. Das brachte auch der Eröffnungsabend der lit.Cologne zum Ausdruck: Du bist leer.