„Löst unser aktuelles Problem nicht“: Spahn steht Impfpflicht skeptisch gegenüber – Politik

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Der amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hält die Debatte um die Einführung einer generellen Impfpflicht in der Corona-Krise derzeit nicht für zielführend. „Das löst unser akutes aktuelles Problem nicht“, sagte der CDU-Politiker am Dienstag im Deutschlandfunk.

„Wir brechen diese Welle nicht mit Zwangsimpfungen. Die Wirkung käme viel zu spät. Wir müssen jetzt die Kontakte reduzieren und als geschlossener Staat auftreten. Deshalb weiß ich nicht, ob alle Kräfte, die wir in dieser Debatte haben, im Moment richtig gebündelt sind“, sagte Spahn.

Spahn steht der Einführung einer Impfpflicht generell skeptisch gegenüber. Das ist nicht nur eine Rechtsfrage, sondern auch eine Frage des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger. „Es ist eine Frage von Freiheit und Verantwortung.“ Aus seiner Sicht besteht eine moralische, gesellschaftliche Verpflichtung, sich impfen zu lassen. Zudem gebe es offene Fragen bei der Umsetzung einer solchen Maßnahme, sagte Spahn.

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Die Befürworter einer generellen Impfpflicht gegen das Coronavirus bekommen nun auch Rückendeckung von Rechtswissenschaftlern. Renommierte Juristen halten sie für mit dem Grundgesetz vereinbar. In Österreich soll die Impfpflicht im Februar kommen. Dafür sprechen sich auch mehrere deutsche Ministerpräsidenten aus.

Die Regierungschefs von Baden-Württemberg und Bayern, Winfried Kretschmann (Grüne) und Markus Söder (CSU), schrieben in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Die Impfpflicht ist keine Verletzung der Grundrechte. es ist die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit wiedererlangen.“

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Im ZDF-„heute journal“ machte Kretschmann deutlich, dass er dies für verfassungskonform halte. Vor einigen Jahrzehnten gab es in Deutschland bereits eine Impfpflicht – und aktuell in abgeschwächter Form auch für Masern.

Auch die CDU-Regierungschefs Volker Bouffier aus Hessen, Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt stimmten zu. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (ebenfalls CDU) forderte eine gründliche Prüfung.

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) sagte, die Impfpflicht käme zu spät, um die vierte Corona-Welle zu stoppen, sei aber „mit Blick auf die bundesweite Lage für die Zukunft sicher nicht auszuschließen“. Dagegen Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans, der amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) oder FDP-Fraktionsvize Michael Theurer.

Eine generelle Impfpflicht gegen das Coronavirus wäre nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Ulrich Battis vom Grundgesetz gedeckt. „Eine solche generelle Impfpflicht ist absolut vertretbar – um das Leben anderer Menschen zu schützen“, sagte der Rechtswissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Battis verwies auf Artikel 2 des Grundgesetzes, der den Schutz des Lebens anderer Menschen vorschreibt. „Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das auch in Artikel 2 verankert ist, muss in den Hintergrund treten.“

Der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr sagte „RTL direkt“, dass im kommenden Frühjahr kein Weg an einer Impfpflicht vorbei führen werde. Sie können die Situation „plötzlich“ ändern. „Das Ende der Pandemie liegt mit der Impfpflicht in unserer Hand.“

Der Verwaltungsjurist Hinnerk Wißmann von der Universität Münster sagte der „Welt“, die Impfpflicht sei das mildere Mittel, „wenn die Alternative die Abschaffung des Freistaats in Lockdown-Endlosschleifen ist“. Uwe Volkmann, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt, sagte, die „Eingriffstiefe“ sei geringer als „die ansonsten erforderlichen gravierenden Freiheitseinschränkungen“.

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Der Bielefelder Rechtsprofessor Franz C. Mayer sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit und Gesundheit anderer gefährdet sind – das ist hier der Fall, wenn die Impfkampagne scheitert.“ Mayer stellte klar, dass es um Impfpflicht und nicht um Impfpflicht gehe. Für Impfverweigerer sind ein Bußgeld oder gesetzliche Regelungen zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes denkbar. Auch Ministerpräsident Kretschmann hält eine Geldstrafe für möglich. Niemand wird im Gefängnis landen oder von der Polizei zur Impfung abgeholt.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht die Impfpflicht als letztes Mittel. Er sagte den Funke-Zeitungen mit Blick auf aktuelle Corona-Maßnahmen: „Wenn all das nichts hilft und die allgemeine Impfquote nicht signifikant steigt, bin ich persönlich davon überzeugt, dass wir um die allgemeine Impfung nicht herumkommen werden, damit wir endlich durchbrechen können aus diesem Teufelskreis aus Lockerungen und Lockdowns ausbrechen.“

Länder diskutieren verschärfte Maßnahmen

Mehrere Landeskabinette wollen an diesem Dienstag über strengere Regeln beraten. In Bayern, Berlin und Brandenburg wollen die Landesregierungen entscheiden, auch in Niedersachsen soll eine neue Corona-Verordnung vorgelegt werden.

Baden-Württemberg will am Mittwoch die 2G-Plus-Regelung bei allen Kultur-, Freizeit- und Sportveranstaltungen einführen. Dann müssten auch Geimpfte und Genesene einen negativen Test vorweisen. Wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr, erweiterten die Regierung von Grünen und CDU ihren Katalog strengerer Maßnahmen. (dpa)