Als er zur Tankstelle zurückkehrte, stellte er sich zunächst mit aufgesetzter Maske in die Schlange und wartete, bis er an der Reihe war, schilderte der Angeklagte, was sich am Morgen aus seiner Sicht abgespielt hatte. Dann habe er seine Maske heruntergezogen, etwas zu dem Tankstellenangestellten gesagt, „die Waffe gezogen, den Hahn gespannt und abgedrückt“, antwortete er auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Claudia Büch-Schmitz. Er kann sich nicht genau erinnern, was in seinem Kopf vorging. Andere Personen in der Tankstelle habe er nicht bemerkt.
Er erinnere sich nur noch bruchstückhaft an das, was nach dem Schuss passiert sei, sagte der 50-Jährige auf Nachfrage. Irgendwie ist er nach Hause gefahren und hat etwas zu seinem Partner gesagt: „Ich habe viel Scheiße gemacht.“
Der Angreifer leidet nach eigenen Angaben an Asthma und einer Verengung der Luftröhre. Deshalb wollte er keine Maske tragen. Masken setzte er nur ab und zu beim Einkaufen auf – und dann meist nur bis unter die Nase. Er isolierte sich über die Monate immer mehr, informierte sich in Internetforen, lebte immer mehr in einer „Blase“, und auch sprachlich war er „roh“.
Er fügte hinzu: „Irgendwann war ich richtig sauer“ über die Corona-Maßnahmen und die Politiker. Er habe das Gefühl, der Staat kontrolliere seine Bürger immer genauer – „wie früher in der DDR“. Die Familie des Angeklagten floh Mitte der 1970er Jahre aus der DDR in die Bundesrepublik; er selbst wurde in Leipzig geboren.
Er habe keine Bescheinigung, die ihn von der Maskenpflicht befreit hätte, entgegnete er dem Richter. Es sei ein „demütigender Gedanke“ für ihn gewesen, „seinen Gesundheitszustand preisgeben zu müssen“.
Aus seiner Sicht waren die Corona-Beschränkungen auch dafür verantwortlich, dass er nicht zur Beerdigung seines Vaters gehen durfte. Er erschoss sich nach einer schweren Krebserkrankung im Jahr 2020 und hatte zuvor seine Frau – die Mutter des Angeklagten – mit einem Schuss ins Gesicht schwer verletzt. Auch seine verletzte Mutter im Krankenhaus durfte er wegen der Corona-Auflagen nicht besuchen. Inzwischen ist sie an Krebs gestorben.
„Das Schlimmste war die Maskenpflicht“, sagte er mit Rückblick auf die Corona-Einschränkungen. Er fühle sich machtlos und „als stünde er mit dem Rücken zur Wand“. Dieses Gefühl entlud sich dann gegen den Tankstellenmitarbeiter. Auch in seinem Geschäft als freiberuflicher IT-Entwickler hätten die Corona-Schutzmaßnahmen 2020 zu einem Auftragseinbruch geführt. Deshalb musste er die Ratenzahlungen für sein Baudarlehen vorübergehend aussetzen.
Die Mutter des Opfers schildert ihre schrecklichen Erlebnisse
Die Tat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Dem 50-jährigen Deutschen wird zudem illegaler Waffenbesitz vorgeworfen. Vor Beginn des Prozesses hatten die Anwälte deutlich gemacht, dass sie Zweifel daran hätten, dass die Mordmerkmale Bosheit und niedere Beweggründe tatsächlich erfüllt seien.
Am Nachmittag schilderte die Mutter der 20-Jährigen ihre schrecklichen Erlebnisse an jenem Abend, als ihr einziger Sohn erschossen wurde – und wie sie von seinem Tod erfuhr. Ihr Sohn war ein sehr hilfsbereiter und fröhlicher Mensch, die Welt war seit seinem Tod dunkler geworden.