Rote Liste: Jeder vierte Käfer ist gefährdet – Wissen

Startseite » Rote Liste: Jeder vierte Käfer ist gefährdet – Wissen
Rote Liste: Jeder vierte Käfer ist gefährdet – Wissen

Karl der Käfer wurde 1983 vertrieben. Die Musikgruppe „Gänsehaut“ wies unter anderem in der ZDF-Hitparade mit ihrem Lied auf die grassierende Naturzerstörung durch den Menschen hin, der Karl dem Käfer zum Opfer fiel. Fast 40 Jahre später sieht es für Karls Nachfahren kaum besser aus. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat am Donnerstag eine neue bundesweite Rote Liste veröffentlicht, in der es 6.750 Insektenarten untersucht, die überwiegende Mehrheit davon Käfer. Ergebnis: 26,2 Prozent sind gefährdet.

Unter den vielen verschiedenen Käfern haben es diejenigen, die an bestimmte Lebensräume oder Wirtspflanzen gebunden sind, besonders schwer. Wenn ihnen zum Beispiel Menschen oder die Veränderungen durch den Klimawandel diese Lebensräume nehmen, haben sie kaum Möglichkeiten, sich dem Druck zu entziehen. Einem kleinen Mistkäfer namens Chilothorax pictus geht es laut BfN schlecht. Die Meldungen gehen seit Jahrzehnten zurück, viele Vorkommen sind verschwunden, die Art ist vom Aussterben bedroht. Als mögliche Ursache nennt das Bundesamt den Wandel der Landwirtschaft von der kleinbäuerlichen zur industriellen Landwirtschaft. Hinzu kommt die „Zerstörung ökologischer Nischen durch Flurbereinigungsmaßnahmen“. Da ein großer Teil der Gesamtpopulation des Käfers in Deutschland beheimatet ist, trägt das Land laut BfN eine große Verantwortung für den Erhalt der Art.

Der Chilothorax pictus ist nur ein Beispiel von vielen. Das Bundesamt für Naturschutz geht in der neuen Studie davon aus, dass 249 Arten (3,7 Prozent) bereits ausgestorben oder vermisst sind. Die 130 Autoren der Studie stellten eine Zunahme der Population von nur 190 Arten fest.

Auch Arten, die auf Gewässer angewiesen sind, stehen unter besonderem Druck

Die große Koalition hatte bereits ein Insektenschutz-Aktionsprogramm und neue Regeln für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln beschlossen. Auf Drängen der Europäischen Union gab es auch Einschränkungen beim Ausbringen von Gülle und Kunstdünger auf den Feldern, jedoch drohen aufgrund der weiterhin hohen Nitratwerte im Grundwasser weitere Verschärfungen. All das erregt den Ärger von Landwirten, die um ihre Erträge fürchten, mehrere Traktor-Demonstrationen sind bereits durch Berlin gerollt. Doch auch die bayerische CSU, die traditionell den Bauernverbänden nahe steht, musste feststellen, dass der Insektenrückgang in der Bevölkerung massiv beunruhigt ist. Die Volksabstimmung „Rettet die Bienen“ im Jahr 2019 war die erfolgreichste in der Geschichte des Freistaats.

Besonders betroffen sind laut der neuen Roten Liste viele Arten und Unterarten von Blattkäfern (41,1 Prozent gefährdet), Rüsselkäfern (39 Prozent) oder Blatthornkäfern (32,8 Prozent). Darunter sind bekannte Exemplare wie der Kartoffelkäfer, der Mistkäfer oder der Maikäfer. Noch stärker unter Druck geraten laut BfN Steinfliegen (46,4 Prozent) und Eintagsfliegen (40,5 Prozent), die sich gerne in der Nähe von Gewässern aufhalten. Anhaltende Verschmutzungen wie der Ausbau oder die Begradigung von Seen, Flüssen und Bächen führen seit Jahrzehnten zu einem Artenrückgang. Obwohl sich die Wasserqualität in der jüngeren Vergangenheit oft deutlich verbessert hat, haben sich viele Bestände noch nicht erholt. „Der hohe Anteil gefährdeter Arten bei Wasserinsekten zeigt dringenden Handlungsbedarf“, erklärt BfN-Präsidentin Sabine Riewenherm. Gewässer müssen naturnaher gestaltet und ihre Uferbereiche erhalten werden.

Der Biologe und Autor Klaus Enting erklärte für das BfN, dass die extrem seltene Steinfliege Isoperla silesica in Thüringen vom Aussterben bedroht sei, weil die einzige Population im Bundesland von einem „Gewässer zur Anlage einer Skipiste“ vertrieben worden sei. Dies zeigt, dass zunehmender Freizeitdruck auf die Natur auch ein Problem für die Biodiversität sein kann. Für zwei weitere Steinfliegenarten verschärft sich die Situation, weil sie vor allem in den höchsten Mittelgebirgen vorkommen und dort aufgrund der heißen und trockenen Sommer unter Wassermangel leiden. Diese Arten fallen somit in die Kategorie der Opfer des Klimawandels.

Die aktuelle Rote Liste ist Band fünf von acht geplanten Arbeiten zur Situation von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten im Auftrag des BfN. Und gleichzeitig der dritte und letzte Band einer 2009 begonnenen Studie über Wirbellose. „Die neue Rote Liste bestätigt den negativen Trend“, erklärt Riewenherm. Bereits die beiden Vorgängerbände zeigten ähnliche Risikosituationen. Knapp 30 Prozent der betrachteten Arten landeten in den Kategorien „vom Aussterben bedroht“, „gefährdet“, „gefährdet“ oder „gefährdet mit unbekanntem Ausmaß“.